Re: bau Haus | Albencover und Architektur

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tolomoquinkolom

Registriert seit: 07.08.2008

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Friedrich
Ich würde die Unterscheidung zwischen Architektur und Ingenieurbau vielleicht so treffen: Ingenieurbau ist zunächst nur der Funktion verpflichtet, ohne einen gestalterischen Anspruch zu haben. Eine Brücke überspannt einen Fluss, ein Tunnel unterquert einen Berg, eine Staumauer staut Wasser und der Turm ist hoch, damit man von seiner Spitze aus z.B. weit schauen kann. Damit ist die Funktion erfüllt und das ist auch gut so. Es gibt dann aber auch so etwas wie Ingenieurbaukunst. Davon könnte man sprechen, wenn auf eine sehr bewusste Weise mit Material und Konstruktion umgegangen wird um dem Bauwerk auch eine ästhetische Qualität zu geben. Der Eiffelturm ist ein sehr gutes Beispiel dafür, auch wenn das noch mal ein paradoxer Sonderfall ist, denn meines Wissens hat der eigentlich keinerlei Funktion, sondern war ausschließlich dazu gedacht, die Leistungsfähigkeit und Schönheit seiner eigenen Konstruktion zu zelebrieren.

Wie man den Begriff Architektur definiert, ist naturgemäß sehr schwierig, denn es ist ja gerade typisch für (gute) Architektur, dass sie sehr komplex ist und verschiedenste Ansprüche unter einen Hut bringt, von der Funktion über die Ästhetik bis zur sozialen, emotionalen, kulturellen, historischen usw. usf. Bedeutung. Architektur muss vor allem auch Sinn ergeben, über die reine Funktion hinaus.

Die Abgrenzung zwischen Architektur und Ingenieurbau ist fließend. Beim Münchner Olympiastadiom verbinden sich Architektur und Ingenieurbau sehr schön miteinander, bei manchen Brücken ist das auch der Fall. Ein schmuckloser, rein funktionalistischer Schweizer Autotunnel ist nur sehr bedingt Architektur zu nennen, die Hagia Sophia aber auf jeden Fall. Eigentlich hat das nicht unbedingt etwas mit der Art der Bauaufgabe zu tun. Es hat etwas damit zu tun, ob man dem Bauwerk – egal ob Brücke, Mehrzweckhalle oder Kirche – so etwas wie einen Geist einhauchen will und kann oder auch nicht.

Deine Erläuterungen finde ich sehr interessant. Die Unterscheidungsmerkmale zwischen Ingenieurbau und Architektur scheinen nicht immer leicht zu sein, und – wie von dir bereits angesprochen – hauptsächlich mit der ästhetischen Wirkung bzw. Bedeutung und weniger mit dem funktionalen Charakter solcher Bauwerke bzw. Konstruktionen zusammenzuhängen. Und in der Tat werden dann (vielleicht mit Ausnahme der Tunnels) auch Grenzen von Ingenieurbau bzw. Ingenieurbaukunst und Architektur fließend.

So dürfte man nach meiner Meinung in Monumentalbauwerken wie z.B. den Pyramiden in Gizeh oder einer Wohnbrücke, wie dem Ponte Vecchio in Florenz, sowohl Eigenschaften von Funktions- als auch Architekturbauwerke sehen. Bei genauer Betrachtung sind erwähnte Pyramiden nach ihrer Funktion her in ihrem Innern und unter dem sichtbaren Bauwerk komplexe Grabstädten, äußerlich handelt es sich um von vier Seiten nach oben zulaufende überdimensionale Treppenstufen aus unterschiedlich großen Quadern. Der sichtbare Teil dient mehr als Machtdemonstration und Zeichen des Ansehens seiner allerdings verstorbenen Besitzer. Manchmal verändert auch einfach die Zeit den Charakter einer Konstruktion. So war der Ponte Vecchio in Florenz zunächst tatsächlich nur eine steinerne Brücke über den Arno und somit eine reine Funktionskonstruktion. Erst ein Jahrzehnt später wurde durch beeindruckende Aufbauten ein weltberühmtes architektonisches Bauwerk daraus.

Auch bei Fernsehtürmen verwandelt Form und Gestaltungswille deren ursprünglich reinen Funktionscharakter. Der CN Tower in der Innenstadt von Toronto kann ohne Problem neben jedem anderen Bauwerk des Futurismus bestehen. Die Mischform scheint mir überhaupt bei Fernsehtürmen – die ja immer auch etwas repräsentatives haben – besonders deutlich zu sein. Bei dem als Beispiel genannten CN Tower handelt es sich genaugenommen um ein sehr hohes Stahl-Betonbauwerk (das nicht direkt mit der Funktion zu tun hat) und einem oberen Teil, den eigentlichen fernsehtechnischen Kommunikationseinrichtungen.

Die Golden Gate Bridge ist als Funktionskonstruktion ohne Zweifel zunächst ein erfolgreiches Ergebnis des Ingenieurbaus. Zu ihrer Bedeutung als Symbol, aber vor allem in ihrer optischen Wirkung (die mit der Landschaft harmonisierende Rostschutzfarbe, die beiden eindrucksvollen Pylone und die geschwungenen Stahlseile), kommt dann der – von dir ebenfalls angesprochene – Kunstgeist hinzu, der in diesem Fall mit dem Willen der Designer zusammenhing. Die Entscheidung zur Verwendung von Elementen des Art Déco war dabei mehr der Architektur geschuldet, als dem Ingenieurbau. Somit rückt dieses Beispiel von Ingenieurbaukunst für mich noch mal ein Stück näher an architektonische Ansprüche.

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