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Jan Ladislav DUSSEK: Klavierkonzerte
g-moll op. 49 (Craw WVZ 187), B-Dur op. 22 (Craw WVZ 97), Tableau „Marie Antoinette“ op. 23 (Craw WVZ 98)
Andreas Staier (Hammerflügel)
Concerto Köln
„… der rechtschaffenste, gesittetste und in der Tonkunst der vortrefflichste Mann …“ – so sprach der alte Haydn über Dussek, nachdem er ihn 1792 in London gehört hatte. Der 1760 in Böhmen geborene Musiker hatte schon einige Stationen einer Karriere durchlaufen. 1779 war er auf seiner ersten Konzertreise nach Mechelen (Belgien) gekommen und blieb dort als Klavierlehrer. Die nächsten Stationen waren Amsterdam und Den Haag, 1782 traf man ihn in Hamburg an, bereits als nahmhaften Virtuosen. Dort soll er mit CPE Bach Bekanntschaft gemacht, vielleicht bei ihm Unterricht gehabt haben. Im Jahr darauf spielte Dussek in Petersburg am Hof Katharinas II. auf, musste die Stadt aber bald wieder verlassen – er soll in ein Komplott gegen die Herrscherin verwickelt gewesen sein. Mitte der 1780er tourte er ausgiebig durch Deutschland, trat nicht nur als Klavier- sondern auch als Glasharmonika-Virtuose auf. 1786 gelangte er nach Paris, wo er bis 1789 am Hofe und besonders vor Marie-Antoinette auftrat und als Musiklehrer tätig war. Den Revolutionären war er danach verdächtig und er floh wie viele seiner Kollegen nach England.
In London verbrachte Dussek dann elf Jahre seines Lebens und befand sich auf dem Gipfel seines Ruhms – als Musiker wie auch als Pädagoge. Nach seiner Heirat mit Sophia Corri, einer Sängerin und Harfenistin, gründete er mit seinem Schwiegervater den Verlag „Corri, Dussek & Co.“. Er überzeugte den Klavierbauer John Broadwood, den Umfang der Instrumente zu erweitern. Der Verlag geriet bald in Schieflage, im Winter 1799 flog Dussek vor Gläubigern nach Hambug – seine Frau und Tochter sah er nie wieder (die Frau war jedoch auch schon mal mit einem Geliebten durchgebrannt, wie es scheint), nannte sich jedoch noch lange Zeit „grossbritannischer Kapellmeister an dem Drurylane-Theater“ (der Schwiegervater landete wegen des Bankrotts im Gefängnis). In Hamburg traf Dussek auf Ludwig Spohr, den Violin-Virtuosen. Eine Konzertreise in seine böhmische Heimat war ausserordentlich erfolgreich. Gemäss einem Zeugnis des tschechischen Kollegen Dusseks Vaclav Jan Tomasek war Dussek der erste Pianist, der den Flügel quer auf die Bühne stellte, so dass das Publikum Hände und Profil des Solisten sehen konnte.
Im Oktober 1804 verpflichtete Prinz Louis Ferdinand von Preussen Dussek als Kapellmeister. Zwei Jahr später verstarb der Prinz im Kampf, Dussek schrieb im Andenken an ihn seine Sonate „Elégie harmonique sur la mort du Prince Louis Ferdinand de Prusse“, sein Opus Nummer 61 und wohl sein bekanntestes. Die letzte Station von Dussek sollte wieder Paris werden, er trat in die Dienste von Talleyrand und gab ab 1807 bis zu seinem Tod 1812 einige sehr beachtete Konzerte. Ein Kritiker schrieb über „l’un des créateurs du véritable jeu au pianoforte“, es sei „vraiment très souhaitable qu’un homme comme Dussek vînt ici pour réformer ce jeu et redonner à l’instrument sa destination première, sa dignité et son caractère propre.“ Anscheinend war Dussek in seinen letzten Jahren viel zu korpulent und sprach dem Wein zu sehr zu – 1812 verstar er an der Gicht und wurde in der musikalischen Welt ganz Europas betrauert.
Staier spielt auf der CD ein Klavier von 1806 – ein Modell gleicher Bauweise wie jene, die Broadwood auf den Wunsch seines Freundes Dusseks hergestellt hatte. Christopher Clarke nennt die englischen Instrumente jener Zeit „laut, rund, volltönend, dramatisch, vielleicht sogar ein wenig gewöhnlich; die Wiener sind weicher, mit mehr hohen Farbtönen, behende, fein und irgendwie beherrscht. Bei einem Wiener Klavier ist der Rahmen massiv und starr, im Gegensatz zum Resonanzboden, der leicht und flexibel ist. Trotz seiner eher massiven Erscheinung ist ein englisches Instrument tatsächlich von recht leichter und flexibler Bauart, hat aber einen Resonanzboden, der drei- bis viermal so dick ist wie der seines Wiener Gegenstücks. Daher vibriert das gesamte Instrument mit den Saiten, einer Violine vergleichbar. Die anderen Unterschiede liegen in der Mechanik: die leichten, an den Tasten befestigten Hämmer streifen die Saiten ziemlich am Ende und erzeugen eine stark nuancierte, abwechslungsreiche Klangfarbe. Die schwereren, an der Leiste befestigten egnlischen Hämmer streifen die Saiten mehr in der Mitte; dies ergibt einen dumpferen, weniger nuancierten, doch sehr viel kräftigeren Klang.“ Auch die Dämpfung der Instrumente unterscheidet sich – Clark schreibt: „Insgesamt hört sich ein klassisches englisches Klavier für unsere Ohren überraschend ‚modern‘ an.“
Dusseks Musik aus Englang nutzt den massiveren Klang der Instrumente – auf einem Wiener Instrument müssten manche seiner Werke „sempre fortissimo“ gespielt werden, wobei natürlich alle Nuancen verschwänden, die gerade das faszinierende an Dusseks Musik ausmachen. Die Musik ist, wie Clarke schreibt, „grosses Theater“ und da „zählt die grosse Geste, nicht das zarte Detail.“ Das vorliegende Instrument – so detailliert sind Clarkes Kommentare im Booklet! – hat übrigens ein Gehäuse aus Eiche, furniert mit honduranischem Mahagoni, Längsträger aus Buchsbaum und Unterfurnier erneut aus Mahagoni (die Mechanik wird auch noch ausführlicher beschrieben).
Auf Staiers CD ist zuerst das späte Konzert op. 49 zu hören, 1801 veröffentlicht und von Dussek mehrmals aufgeführt. Ein virtuoses Konzert, das alle Register des romantischen Klavierkonzertes zieht – „con foco ed anima“, wie eine der Solostellen des Klavierparts überschrieben ist. Op. 22 ist ein früheres Werk, das Ende 1793 erstmals von „Corri, Dussek & Co.“ angezeigt wurde. Es knüpft viel stärker an das klassische Klavierkonzert des 18. Jahrhunderts an, das Orchester ist schlanker, die Musik gemahnt durchaus an die Wiener Klkassik. Staier erlaubt sich – wie er im CD-Booklet schreibt – das Konzert, dessen drei Sätze allesamt in derselben Tonart geschrieben wurden, durch eine ergänzende Introduktion, dem dritten Satz vorangestellt, aufzulockern.
Den Abschluss der CD macht ein langes Rondo – Programm-Musik mit erläuternden Zwischenüberschrieften, die von Jean-Michel Forest rezitiert werden. Es geht um Marie „Qu’ils mangent de la brioche“ Antoinette und ihren Gang von der Festnahme bis zum Moment, in dem die Guillotine fällt – ein Werk voller lautmalerischer Phrasen und Figuren.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #165: Johnny Dyani (1945–1986) - 9.9., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba