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Vorhin im Konzert Bachs Johannes-Passion mit Ton Koopman – grossartige Sache! Das Tonhalle Orchester in reduzierter Besetzung, Koopman am Orgelpositiv (mit einem zweiten Mann am Rand, der da und dort einsprang, wenn Koopman dirigierenderweise zu beschäftigt war), dazu ein paar alte Instrumente im Orchester (Emanuele Forni an der Laute oder Theorbe or whatever, man hörte von ihm leider oft nicht viel, Hille Perl – phantastisch! – an einer Gambe, die aber fast wie ein modernes Cello aussah, man steinige meine Ignoranz) … das Orchester spielte schlank, schnörkellos, die Soli (Oboe, Flöten, Fagott, Bratschen oder Viole d’amore – oder was auch immer, ich konnte sie nicht genau sehen, da Koopmans Orgelkistchen im Weg stand) sehr schön gespielt … der Chor war derselbe wie neulich mit Haitink in der Missa solemnis von Beethoven, die Zürcher Sing-Akademie (Einstudierung erneut Tim Brown), aber viel kleiner besetzt (etwas über 30 Leute, bei Beethoven waren es wohl 80) und sehr viel agiler, mit fein abgestimmter Dynamik, mal heftig, bewegt, nervös, dann beschwingt und leichtfüssig und dann wieder wunderbar zart … Koopman als Dirigent sehr faszinierend, meine Mutter meinte am Ende er habe was von einem Kasper, stimmt irgendwie, aber sehr faszinierend, wie man ihm manchmal quasi in Echtzeit beim Formen des Klangs zuschauen konnte, wie Orchester und Chor sehr wach reagiersten und alles zusammenkam.
Die Solisten waren gut, ganz besonders Tilman Lichdi als Evangelist (+Tenor-Arien), Klaus Mertens (Jesus + Bass-Arien) war auch gut, Altus Maarten Engeltjes etwas gewöhnungsbedürftig, aber die grosse Arie am Schluss („Es ist vollbracht“) sang er sehr schön und wurde bestens begleitet – wobei soweit ich sehen konnte (da stand der Solist selbst im Weg) übernahm das der Musiker, der neben Perl sass. Die erste Alt-Arie fand ich etwas weniger gelungen. Bleibt Hana Baziková, die Sopran-Solistin, deren erste Arie mir gut gefiel, aber später klang sie mir zu agressiv, zu metallisch und schrill – zu hart für diese so reiche Musik. Den Pilatus und die anderen, kleineren Rollen, gaben Mitglieder des Chores, was sehr gut klappte. Auch die Solisten sangen grossteils fast gänzlich ohne Vibrato – es gibt auch andere Mittel, Intensität zu erreichen … ausgeschmückt wurde durchaus da und dort (so wenigstens mein Eindruck, ich lege die nächsten Tage meine drei HIP-Einspielungen der Passion wohl wieder mal ein).
Alles in allem aber ein grossartiges Konzert – solche kleinen Abstriche gehören wohl dazu, wenn so viele Faktoren zusammen kommen (ich glaube da gerne, hoffe auf Wunder, aber die treffen ja bekanntlich höchst selten ein).
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