Re: Ich höre gerade … klassische Musik!

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Oh, ich lese auch noch mit …

grünschnabelIch sehe das so: Brendel merkt, dass seine Mimik dem musikalischen Ausdruck nicht nur nicht entspricht, sondern wirkungstechnisch sogar kontraproduktiv ist. Er sieht dies als verbesserungsbedürftig an und achtet entsprechend mehr darauf. Für mich ein von A-Z völlig nachvollziehbarer Vorgang. Hat auch nur mit ihm und seinen künstlerischen Vorstellungen zu tun. Mehr ist da nicht.
Auch der Bezug des Zitats zu Gould offenbart sich mir bislang überhaupt nicht. Brendels Ablehnung diesem gegenüber hatte meinem Kenntnisstand nach mit einer völlig unterschiedlichen Auffassung von „Werktreue“ zu tun.

Mehr ist da nicht … komm, ich habe nichts anderes gesagt. Mehr als eine persönliche Überlegung von Brendel samt Entscheidung ist da nicht. Es ist seine persönliche Auffassung von irgendeiner Relevanz des Wirkungstechnischen (gefällt mir gar nicht, das Wort, aber gleich). Um es so kurz wie möglich zu sagen: So etwas wie Werktreue nun gar noch an die Mimik zu knüpfen, empfinde ich als bizarr.

Was den Bezug zu Gould betrifft; es gibt etliche Äußerungen von Brendel zu dessen Manierismen, gut, das mag eben auch aus seinen Mimikgeschichten motiviert sein. Es geht mir überhaupt nicht um die Bewertung von beider Interpretationen, da überschneidet sich ohnehin wenig. Auch wenn das jetzt wieder nicht nachvollziehbar sein sollte: Gould hat die Konzerte sicher nicht aufgegeben, weil er seine Gestik und Mimik nicht abstellen konnte (zum Summen hat er ja gesagt, es störe ihn, aber wenn er das unterlasse, spiele er schlechter). Anders, was hätte Brendel denn nun gemacht, wenn er eine Gesichtslähmung wie die Violinistin, die Du erwähnst, gehabt hätte und zugleich seine Gedanken? Sodass ich meine Meinung zu alldem auch so formulieren kann: Es liegt in dem so sehr stillschweigenden Postulat einer möglichen Übereinstimmung von Mimik und Interpretation, werktreu hin oder her, auch etwas Denunzierendes. Was kümmert’s mich, wenn ein Musiker beim Spielen blinzelt, wenn mir das nicht gefällt, mache ich halt die Augen zu, wenn ich anders nicht zuhören kann.

Was ich also kaum verstehe, ist Dein Beharren auf einem richtigen Zusammenhang von Mimik und Interpretation. Aber das habe ich ja schon gesagt. Denn darum:

Geht es eventuell darum, dass der spannungsreiche Septsprung aufwärts im langsamen Satz durchaus mit einer hochgezogenen Augenbraue korrespondieren könnte?

geht es hoffentlich nicht. Ob jemand die Augenbraue hochzieht, sie absenkt oder die Augen schließt oder einfach nur guckt bei irgendeinem Akkord, wird hoffentlich von niemandem gegenüber dem, was dann da aus den Saiten oder sonstwoher kommt, kritisiert. Also stört mich an Brendel wahrscheinlich genau diese Suggestion, da sei etwas möglich, wirkungstechnisch kontraproduktiv. Und nochmal anders: Wenn Brendel in einer Stelle im Es-Dur-Konzert leidend guckt, wird er dafür einen Grund haben.

gypsy tail windDa liegt für mich der Hund begraben – beim merken, dass die Mimik die Musik stört. Das ist ja reines persönliches Empfinden. Natürlich mit der Einschränkung, dass – entschuldige, ich kann wieder nur Beispiele aus dem Jazz liefern – McCoy Tyners kaum hörbares, hohes und feines Mitsingen der Linien seiner linken Hand niemanden stören wird, während Keith Jarretts lautes Gestöhn und spastisches Gezucke wohl viel mehr seiner Zuhörer irritieren dürfe (erst recht, wenn die sich während des ganzen Konzerts nicht rühren dürfen) … aber dennoch, das ist ein individuelles Gefühl, und darüber wundere ich mich eben immer noch: dass man sein Verhalten während dem Spiel überhaupt auf eine solche Weise „überarbeiten“, „verbessern“ mag, denn beim Spielen ging es einem doch auch davor ganz gut, weil doch das, was man tat, für einen selbst passte.

Für mich auch, also der Hund und deshalb darf Jarrett auf der Bühne auch machen, was er will und McCoy Tyners Mitsingen von Linien ist ohnehin die Linie, die viel interessanter ist als die einer durch den Werktreue-Einfall unterfütterten Idee richtiger Mimik.

grünschnabelDass ein Künstler es als problematisch ansieht, wenn es da kontraproduktive Tendenzen gibt, macht mir kein schlechtes Gefühl. Zudem betont Brendel in diesem Zitat am Ende auch, dass die Physis z.T. sogar substanziell (!) die Musik mitgestaltet. Das halte ich für symptomatisch hinsichtlich seines Selbstverständnisses.

Darum, dass jemand etwas persönlich etwas als problematisch ansieht und dann etwas ändern möchte, geht es doch gar nicht. Dass die Physis beim Spielen beteiligt ist, geschenkt, was sonst? Die Betonung von Mimik und Gestik „im Dienst des Werks“ bleibt aber eine Umdeutung dieser schlichten Erkenntnis, was heißt „Erkenntnis“, es ist ja nur eine Tatsache.

Etwas launisch gerade, ich weiß.

Hier jetzt:

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