Re: Ich höre gerade … klassische Musik!

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gypsy tail wind[…] Jetzt bin ich noch einmal bei Harnoncourts Einspielung der „Vesperae solennes de confessore“ (KV 339) und diesmal schwer beeindruckt! Der Sopran im Laudate Dominum allerdings ist so anders zu als die show pieces in der Grossen Messe, dass ich Mühe habe, da überhaupt einen Vergleich zu ziehen. Das hier scheint mir innig, tief, fernab von jeglicher Zurschaustellung vokalen Könnens – und genau das packte Mozart in die Grosse Messe mit rein (und das stört mich nun gar nicht, wie gesagt, das war ja Teil meiner vereinfachenden Vermischung oben).

Show pieces also … Vorhin habe ich im alten Kretzschmar, Führer durch den Concertsaal, Leipzig, 4. Aufl., zur c-moll-Messe gelesen – Kretzschmar, der in den „Dr. Faustus“ Eingang fand. Ich wollte, wenn ich mir jetzt die Mühe des Abtippens mache, die betreffenden Beiträge hier in den Mozart-Thread kopieren, aber wie man das mit Zitaten in Zitaten macht, ich fand’s nicht heraus. Also hier. Kretzschmar, gypsy, hört und sieht die Arien eher wie Du, was die Chöre betrifft, bin ich auch bei ihm; zuerst geht’s um die Masse der eher unbedeutenden frühen Messen, ein paar Zeilen nur, dann:

„Die hervorragendste Arbeit ist eine unvollendet gebliebene C-moll-Messe, die Mozart im Jahre 1782 begann und als eine Art Votivmesse in Salzburg aufführen wollte, wenn er Constanze als Frau dahin brächte. Sie ist am 25. August des folgenden Jahres auch wirklich in der dortigen Peterskirche – in den Lücken durch ältere Arbeiten ergänzt – gesungen und von Mozart später zum größten Teil für den „Davide penitente“ benutzt worden. Die früheren Messen überragt dieser Torso durch die größere Anlage der Sätze, durch einen strengeren an Bach und Händel genährten Stil [wohingegen die frühen Messen napolitanischen Schulen verpflichtet gewesen seien]. Den Chören ist er allen zugute gekommen, und einzelne (das „Kyrie“, das „Gratias“, das „Qui tollis“) sind Perlen Mozartscher Kunst, die den Vergleich mit der Kantate „Misericordias Domini“, mit den „Confutatis, maledictis“ und ähnlichen Sätzen seines Requiems wohl aushalten. An andern Sätzen aber zeigt sichs, daß der Meister noch nicht durch die Schule des Lebens gegangen war, am deutlichsten an den Sologesängen. Die Sopranarien „Laudamus te“ und „Incarnatus est“ fallen sogar nicht bloß aus dem Gesamtton der Messe heraus, sondern in den altmodischsten äußerlichen Bravourstil herein. Es ist somit auch [wie die Jugendmesse Nr. 6 in F-dur) diese Messe eine stark ungleiche Arbeit.“ (In der ersten Auflage von 1888 wird die Messe übrigens gar nicht erwähnt, sondern nur die Jugendmessen bekommen eine kurze Watsche.)

So bleibt – ganz abseits von einem Vergleich mit dem „Laudate Dominum“, das zweifellos die größere Schnörkellosig- und eine pfeilgerade Innigkeit aufweist – für mich gerade die seltsame Selbstbeobachtung, dass ich der Stader Mozarts (nach Kretzschmars Worten) mangelnde Lebenserfahrung untergejubelt habe. Daher: Ich wünsche mir diese Arien ja auch anders, höre sie dennoch sehr gerne, aber wenn ich sagte, dass mir etwas fehle, dann hätte ich mich wohl direkt an Mozart wenden sollen. (Ich lese hier die drei Meinungen nur gegen- oder wahlweise miteinander, aber das sieht man, glaube ich.)

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