Re: Ich höre gerade … klassische Musik!

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gypsy-tail-wind
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Ich griff nach dem MonteVerdi-Tag nicht nach Pettersson, dem ich mich ein anderes Mal widmen will, sondern nach einer anderen CD aus dem Hause cpo mit einem Violinkonzert und demselben Solisten, der für cpo Petterssons erstes Violinkonzert eingespielt hat, Ulf Hoelscher. Zu hören ist er in Benjamin Frankels Violinkonzert „In Memory of the Six Million“ Op. 24 (1951), es folgen dann das Viola Concerto Op. 45 (1967) und die Serenata Concertante für Klaviertrio und Orchester Op. 37 (1960) mit den Solisten Brett Dean bzw. Stephen Emmerson (p), David Lale (vc) und Alan Smith (v). Begleitet werden alle Werke vom Queensland Symphony Orchestra unter der Leitung von Werner Andreas Albert.

Die CD war ein Zufallskauf, ich war schlicht neugierig. In den Liner Notes lese ich, dass Frankel (1906-1973) in seinen letzen fünfzehn Lebensjahren acht Symphonien komponiert habe und damit „als ein führender Symphoniker“ hervortrat, während er davor „vor allem mit einem umfangreichen und gewichtigen Kammermusikschaffen und einem bedeutenden Violinkonzert hervorgetreten war“. Neben seinen musikalischen Studien arbeitete der in London geborene Sohn polnisch-jüdischer Eltern als Pianist und Hot-Geiger in Jazzbands, war gefragter Arrangeur und übernahm die musikalische Leitung diverser Shows (darunter auch welche von Noël Coward).

Das Violinkonzert von 1951 war eine Auftragsarbeit seines Freundes Max Rostal für das Festival of Britain. Es ist intensiv, quälend, wuchtig – gefällt mir vom ersten Eindruck her sehr gut. Die Musik klingt eher nach Spätromantik als nach Avantgarde, aber ich denke doch, man hört ihm auch die Zeit an, in der es seinen Ursprung hat.

Rostal spielte eine erste Sonate für Solovioline (Op. 31) ein, das Amadeus Quartett führte Frankesl viertes Streichquartett im Konzert, aber auch im Rundfunk auf. Frankel trat in der Folge auch öfter als Komponist von Filmmusiken hervor, so stammt von ihm die Musik zu „The Night of the Iguana“ (1964). 1957 zog Frankel in die Schweiz, erhoffte sich mehr Ruhe und Zeit für seine „ernsthafte“ Musik. Es folgten dann die acht erwähnten Symphonien (die erste gleich 1958), ein fünftes Streichquartett, das Bratchenkonzert, und weitere Werke.

Frankel wandte sich Ende der Fünfziger der Zwölftontechnik zu. Das Bratschenkonzert scheint – so lese ich, hören kann ich das nicht, aber es klingt für meine Ohren deutlich abenteuerlicher und moderner als das Violinkonzert – von seiner Arbeit mit seriellen Kompositionstechniken zu profitieren, ohne dass es selbst als serielle Musik daherkommt, wenigstens nicht in jedem Satz (der langsame zweite Satz scheint in Zwölftontechnik geschrieben zu sein).

Das dritte Werk auf der CD stammt von 1960 und wurde im Jahr darauf mit dem Kölner Trio und dem BBC Symphony Orchestra unter Frankels Leitung 1961 in England gespielt. Aus Frankels Programmtext wird in den Liner Notes der CD zitiert:
„Das Werk entstand im Auftrag des Trios Rostal-Cassado-Schneider. Die Idee war, ein Pendant zu Beethovens Tripelkonzert zu schreiben. Es entstand ein virtuoses Stück, das jedem einzelnen Spieler sowie auch dem Ensemble Enftaltungsmöglichkeiten bietet. Man kann as Werk entweder bildhaft oder formal hören.
Bildhaft erinnert das Stück an eine nächtliche Strassenszene mit allen nur vorstellbaren Geräuschen. Menscchen schlendern gemächlich vorüber; Autos fahren vorbei; in der Ferne spielt eine Band; aus den benachbarten Cafés hört man Jazzklänge; plötzlich eine Verfolgungsjagd; Liebende in dunklen Ecken; seiner Umgebung entrückt, dreht sich entfernt ein Paar im Walzertakt, Strassenmusikanten spielen – und so weiter.
Formal ist das Stück eine Fantasie, eine Folge also natürlich ablaufender Episoden, die miteinander verbunden sind – wobei nur eine einzige dieser Episoden wiederholt wird. Alle Abschnitte basieren auf der Zwölftonreihe, die ganz am Anfang zu hören ist und mit grosser Strenge beibehalten wird. Trotz dieses strengen Serialismus will das Werk ein unterhaltsames Divertimento sein.“
Das Ding besteht übrigens aus einem einzelnen, zwölfeinhalbminütigen Satz. Ich bin mal gespannt, die „bildhafte“ Beschreibung lässt ja eher Schlimmes befürchten, aber man muss dem Publikum ja manchmal Hand bieten …

Die Liner Notes, die ich schamlos ausgeschlachtet habe, stammen von E.D. Kennaway bzw. Buxton Orr (er verfasste Texte zu den drei Werken, während Kennaway den biographischen und werksgeschichtlichen Überblick, der vorangestellt ist, schrieb). Die Aufnahmen entstanden 1996/97.

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