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gypsy tail wind
@katharsis: nein, diese Transkriptionen kenne ich nicht – lohnen sie denn?
clasjazZemlinsky ist bei mir fast unbekannt. Leider – denn ich habe seine Streichquartette (mit den LaSalles) sehr geliebt, bin aber nicht weiter eingestiegen, warum auch immer. Was sind das für Transkriptionen? Ich meine mich zu erinnern, dass Du mit Zemlinsky sehr vertraut bist, berichte doch einmal.
Mir liegen derzeit zwei Transkriptionen für Klavier zu vier Händen vor, die im Rahmen des Klavier-Festivals Ruhr eingespielt wurden. Einmal handelt es sich um Mozart’s Zauberflöte, das andere mal um den Fidelio. Zemlinsky hat insgesamt sehr viel mehr transkribiert, nicht nur Opern, sondern u.a. auch Mahler’s Sechste oder Mendelssohn’s Paulus und Elias. Zemlinsky war um die vorletzte Jahrhundertwende so etwas wie der Hauptarrangeur von bekannten Werken für Klavier des Universal Edition Musikverlages. Aus unterschiedlichsten Gründen waren Transkriptionen von großen (Orchester)Stücken damals gern gesehen und recht verbreitet.
Ob sie lohnenswert sind, kann ich schlecht beurteilen, da es sich primär danach richtet, wie gern man die Werke an sich mag und wie sehr einen die Partitur fesselt. Die Transkriptionen an sich sind sehr exakt, aber zugleich kunstvoll ausgeführt. In den Booklets stehen unterschiedliche Hinweise, wie Zemlinsky mit schwierigen, sperrigen Stellen umgegangen ist. Das lässt den Rückschluss zu, dass er sehr partiturgetreu gearbeitet hat, gleichzeitig aber auch wichtige Anpassungen im Hinblick auf Balance und Gesamtklang vorgenommen hat. Spannend ist bspw., wie er die unterschiedlichen Orchesterstimmung auffängt und auf das Klavier übertragt. Die Musik ist dadurch zuweilen recht ’nackt‘ und offenbart harmonische Details und Verbindungen, die durch das Orchester durchaus untergehen. Ich bin mit beiden Werken nur mäßig vertraut, habe aber von Fachkundigen sehr wohlwollende Äußerungen vernommen. Einzig Rezitativstellen wirken manchmal etwas stockend, aber das gehört dazu.
Insgesamt gesehen fehlt vielleicht etwas die Frische, die zueinanderstehende Spannung und Abwechslung von einzelnen Sonaten, die zueinander in Beziehung stehen. Aber eine – zumindest andersartige – Entdeckung sind die Stücke in dieser Form schon. (Vielleicht gibt es mittlerweile weitere Einspielungen?)
Zemlinsky an sich ist so etwas wie mein ‚Hausgott‘, mein Antipode zu so manch gesättigteren Kollegen wie Richard Strauß. Anfangs ziemlich von Brahms und auch Wagner beeinflusst, fand er über die Bekanntschaft zu Schönberg ziemlich schnell seinen eigenen Stil. Dominierend sind natürlich die Opern und die Streichquartette, aber auch die anderen Gattungen sind keine Nebenschauplätze, sondern jedes Stück für sich lohnenswert. Ich schätze an ihm diese nüchterne Sachlichkeit, die nie glatt und kalt wirkt und im nächsten Atemzug die schmerzlich stechende Emotionalität, die er gerne auskostet, ohne in den Kitsch oder das Banale zu verfallen. In vielen Stellen ist seine Musik purer Existenzialismus und ich konnte außer in Rachmaninoff noch niemanden finden, der über weite Strecken und über so viele Musikstücke hinweg so bezaubernd nahe Musik geschrieben hat. Seine Biographie tut da sein übrigens.
Durch Zemlinsky eröffnen sich auch wunderbare Welten, hin zu Schreker, Korngold, Franz Schmidt, Egen Wellesz, oder Karl Weigl…
clasjazJa, das Ding kann packen … es gibt noch eine spätere Überarbeitung von Schönberg, für Kammerorchester. Aber die frühere Fassung ist mir lieber. Übrigens nahtlos übergehend in Goulds Streichquartett, so viele Jahre auch dazwischen liegen mögen.
Hier existiert eine sehr schöne Verbindung zu Zemlinsky. Er und Schönberg waren ja später nicht nur verschwägert, Zemlinsky war auch musikalisch für Schönberg prägend. Es gibt Hinweise darauf, dass Zemlinsky während eines gemeinsamen Urlaubs maßgeblich bei der Konzeption des Stückes beteiligt gewesen sein soll. Wie auch immer, Verklärte Nacht ist mit Sicherheit eines der schönsten Werke Schönbergs – zumindest seiner tonalen. Es gibt dazu nicht nur Bearbeitungen von Schönberg selbst, sondern bspw. auch eine Fassung für Klaviertrio von Eduard Steuermann, oder Klaviertranskriptionen von Berg und Webern.
Eine schöne Verbindung, wenn auch nicht direkt musikalischer Art, gibt es von hier zu Pelleas und Melisande.
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"There is a wealth of musical richness in the air if we will only pay attention." Grachan Moncur III