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Anonym
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Blues to BechetSchon in den ersten Takten explodiert das erste Klavierkonzert geradezu, besonders in der Interpretation mit dem London Symphony Orchestra / George Szell von 1962. […] Vom Orchester her hat wie gesagt die Aufnahme von 1962 meiner Ansicht nach den Vorrang.
Glaube ich gern, dass Szell den Ofen ordentlich heizt. Ich kenne ihn vor allem aus seinen Einspielungen mit Leon Fleisher (Beethoven, Schumann, Grieg), die mir sämtlich immer gerne ins Ohr kommen, auch wenn sie alles andere als „historisch informiert“ sind.
Jetzt ein weiterer Vergleich: Curzon 1953 vs. Claudio Arrau, Philharmonia Orchestra / Carlo Maria Giulini, 1961.
1961? Das erste Konzert habe ich in der Arrau-ICON, Philharmonia, Giulini. Aber da steht April 1960 (Abbey Road). Muss ich wiederhören, um etwas sagen zu können, der erste Durchlauf vor einiger Zeit ließ mich, wie soll ich sagen, etwas räkelnd zurück. Ansonsten schätze ich die von gypsy erwähnte Einspielung mit Weissenberg und Giulini auch sehr. – Ach so, Fleisher und Emerson – ich kenne ihn nur aus der Zeit vor dem Handdesaster.
Nur mit den Symphonien tue ich mir schwer, der bleierne Bombast, gerade mit Bernstein, ist halt keine leichte Kost.
Dann höre einmal den Herrn „Fu“, den ich hier gestern wieder, wenngleich nicht mit Brahms, sondern mit Beethoven geschätzt habe. („Fu“ ist Furtwängler, „Kna“ Knappertsbusch, wie die großartige – „Ich hatte mich verliebt, am ersten Januar zwischen 10 und 11″ – Elisabeth Furtwängler erzählt; es gibt ein paar aufschlussreiche Sachen in dem Filmchen, über das Familiengeplänkel hinaus, aber gut, nur notabene.)
gypsy tail windOh, die Klavier- und Kammermusik geht bei mir auch immer.
Das geht mir anders; es gibt Zeiten, gerade bei Brahms, in denen ich keine Kammermusik hören kann, auch keine solistischen Klavierminiaturen – aber das Umgekehrte, dass ich die großen Formen seltener höre, ist auch bei mir häufiger.
newkDie Stücke von Brahms mit den ich die größten Probleme habe sind aber wohl die Streichquartette, -quintette und -sextette, die so unangenehm herbstlich klingen, also so wie ich mir Brahms immer vorgestellt hatte als ich ihn noch nicht kannte.
Blues to BechetDas ist aber schade! Gerade die Streichquartette sind grandios, sie fassen meiner Ansicht nach das gesamte Genre des 19. Jahrhunderts zusammen. Eine Art Quintessenz aus Schubert und Beethoven, sozusagen.
[…]
Das Attribut herbstlich verstehe ich aber schon. Ja, diese Musik ist herbstlich, denn mit den Streichquartetten von Brahms ist gewissermaßen etwas zu Ende gegangen. Dann könnte man sozusagen die späten Quartette Dvoraks als winterlich bezeichnen, was sie in ihrem Temperament natürlich nicht sind.
Seltsamerweise hatte ich mit den Sextetten gar keine Probleme, mit den Streichquartetten hingegen lange Zeit, bis zum Lasalle Quartet, jetzt gerade habe ich sie mal wieder aufgelegt, allerdings mit dem Amadeus Quartet, aus 1951:
Mit der Herbstlichkeit von Brahms – das überall umlaufende Etikett – habe ich wenig Schwierigkeiten, höre sie nicht minder auch in den Violinsonaten.
Die Streichquartette aber höre ich wohl sehr anders, auch jetzt wieder mit dem Amadeus Quartet keineswegs als Zusammenfassung von Schubert und Beethoven – überhaupt bin ich skeptisch gegenüber dieser anachronistischen Teleologie (kürzer vermag ich es nicht zu sagen), die das Spätere als Abschluss des Früheren ansieht. Sind es nicht eher Anknüpfungen, Auseinandersetzungen, immer im Offenen? – Jedenfalls, die erste und entschiedene Anknüpfung an Beethoven und Schubert höre ich bei Mendelssohn und auf diesen Mittler scheint mir Brahms zurückzugehen, zudem, natürlich, auf die Quartette von Schumann.
Anders gesagt, zum „Abschluss“ ist gar nichts gebracht, vielleicht liegt gerade darin der Herbst von Brahms.
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