Re: Ich höre gerade … klassische Musik!

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Anonym
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gypsy tail wind Ich bin von Milstein gerade äusserst beeindruckt.

Das ist ein ganz feines Spiel, ein flüssiges, ein weiches, fast ohne Staccato, er lässt eher den Bogen hüpfen – seine Geige singt so facettenreich, überhaupt so reich, mit so vielen Obertönen, wie ich es glaube ich noch nicht gehört habe. Dabei ist er stets fern von jeder Anbiederung, selbst das Tschaikowski-Konzert klingt bei ihm meist ziemlich fein.

Heute also den ganzen Tag Milstein! :-) Ich verstehe ihn aber nicht, bis zur Minute. Gehört habe ich das Beethoven-Konzert, dann Mendelssohn und Dvorák, schließlich immer wieder die zweite Bach-Partita für Solo-Violine. Fern der Anbiederung ist er – er kaschiert die Entscheidung zur langen Phrase, das Wagnis zum Atem, mit einer unglaublichen Virtuosität. Für mich ist er im Augenblick jemand, der „Momente“ hat, zu Beginn des Beethoven-Konzerts, bei Mendelssohn, auch in der Partita. Aber eben – Momente; fast wünsche ich mir bei Milstein einen Geiger, der schlechter, aber lebendiger spielt.

Bei den Konzerten ist die Lebendigkeit eine besondere Sache, weil da das Orchester genauso wichtig ist wie die Violine. Aber ich höre sie einfach, trotz aller Wiederholungen, nicht gemeinsam. Woran liegt das? Mal abgesehen davon, dass es schlicht an mir und an meinen Ohren liegen könnte: Milstein lässt nichts zu, er hört nicht auf die anderen, und die sind ihrerseits eingeschüchtert oder können dieser Virtuosität nicht begegnen. Was ich mir da gern wünschte, wäre die Peitsche Toscaninis.

Dann die Partita von Bach. Das ist ungefähr die Zusammenfassung meines Zweifels an Milstein. Ich höre da keinen Fluss, es sind nebeneinandergesetzte Stückchen – die Gigue ist rasend schnell, aber wenn man das kann, kann man es eben, doch wozu, wo ist die Verbindung zur Sarabande? – in der Chaconne dann wiederholt und bestätigt sich das, trotz der „guten Stellen“. Die Variationen fügen sich wie Fetzen aneinander, das hat für mich gerade den Eindruck des „jetzt mach ich mal dies und jetzt das, ich kann das“.

Auch gehört habe ich die Kreutzer-Sonate, mit Artur Balsam, wieder der falsche Mann, weil er am Klavier Milstein nur hinterherläuft oder die Zeit verpasst. Das ist heute mein Haupteindruck: Milstein sind die anderen egal. Aber er löst diesen Anspruch nicht ein, wenn er allein ist, wie bei Bach.

Ich werde ihn noch oft und oft hören müssen, das sind nur meine ersten Wiedereindrücke, und bei den Obertönen muss ich gewiss erst an Ida Haendel denken. Und tue es auch, vielleicht stört sie mich dabei, Milstein zu verehren. Nicht, dass ich etwas gegen zwei Welten hätte, aber bei der von Milstein bräuchte ich noch etwas Hilfe.

gypsy tail windÜbrigens wird im Booklet der Milstein-Box eine Einspielung des Brahms-Konzertes von Isaac Stern erwähnt, die von „vulkanischer Intensität“ sei – welche wäre das denn? Philadelphia/Ormandy? Gibt’s da nur eine?

Die vulkanische Intensität wird oft beschworen, aber welches Ereignis hier gemeint ist, weiß ich leider nicht. Philadelphia Orchestra mit Ormandy könnte aber gut sein!

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