Re: Irrlichts Introducing

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irrlicht
Nihil

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[B]Little dragon Twice

„Twice“
ist schon lange einer meiner liebsten Pandorasongs. Kennengelernt habe ich ihn erst durch Bryan Sledges wehklagenden Schwanengesang, der unter dem Künsternamen BJ the Chicago kid letzthin eine Version entworfen hat, die beim genauen Hinhören eigentlich keinerlei Unterschied zum großen Original zu machen scheint; sie ist nur etwas schwächer, das ist alles. Yukimi Nagano geht bei ihrem betäubenden Beziehungs Post Mortem weitaus mehr mit Feile und Teppichmesser ans Werk. Schon die ersten Töne des Klaviers strömen sanft und nebelartig, repetitiv und so derart verschwommen und endgültig, als würde man die Sequenz im Schlaf durchs Kissen hören, eine fast leblose Skizzierung der Spektralwelt, aus der die Träume stammen. Bereits die dämpfenden Anfangszeilen zerstören jede innere Ruhe in dieser Welt: „Twice I turn my back on you/I fell flat on my face, but didn’t loose“. Naganos „Twice“ ist der Kreislauf um das substanzielle Gefühl nichts zu verstehen. Und die Dringlichkeit Fragen nie ungestellt zu lassen. Kurz: Sich zu erinnern, an etwas, das die eigene Welt aus ihrer Fassung geworfen hat. Nun ist „Twice“ allerdings kein rührseliges Wolkenbild, sondern viel mehr – es ist ein Song, dessen Inhalt verstört, weil er fast gleichmütig erzählt und für keine Konkretheit zu haben ist.

Zu Anfang gibt es noch ein paar Hinweise – die erneute Enttäuschung, der harte Schlag ins Gesicht, die Unmöglichkeit sich zu lösen – und all die unbeantworteten Fragen. „Was ließ Dich weitermachen?“. I’d love to know, so endet der erste Passus. Der Song gerät musikalisch bis zum Ende nie aus seiner Bahn, ist der Gerüststoff, auf dem sich Tage und Nächte errichten. Faszinierend sind für mich auch die dezenten elektronischen Einspeisungen: Leicht gurgelnde Subbässe, scratchs, bleeps und dazu bedrohliche Streicher, die wie verästelte Wälder aus dem Nebel auftauchen, dann, wenn der Song zur restlos verlassenen Mondscheinsonate geworden ist.

„Was it the blue night, gone fragile?“ – nochmehr gefallen mir aber all die Bilder, die der Song mit recht wenigen Worten entwirft. Und die Weise, in der diese Zeilen durch einen selten ausdrucksstarken, emphatischen Gesang, allesdurchdringend werden. Was mich an Naganos Gesang hier fasziniert, ist meist die Klangfarbe selbst, aber auch die dicke Luftschicht zwischen den Zeilen, das leichte Kratzen in „gone fragile“ und das unförmige „would I go“, dieses leichte Voranschleppen; ein ganz gnadenloses Zittern, das man nicht hören kann, aber mit jeder Silbe spürt.

Eins ist sicher: Es ist eine gewaltige Verwunderung, die in diesen Worten lebt. Gleichermaßen eine nicht minder klare Entschiedenheit. Etwas ist geschehen, was unerwartet war – „Thought I had an answer once/But your random ways swept me along“. Aber ab dann wird es zum Kaleidoskop: Was waren die „colossal signs“, die dazu geführt haben, das (dann?) ganz unmittelbar alles verloren war, auch all die Liebhaber, die derweil/danach/ewig leichte, liebliche Lieder gesungen haben – und daran wohl doch nie etwas ändern konnten. Man möchte es sich nun einfach machen, etwas über Schuld oder Schande oder ewige Liebe oder den Irrsinn selbstaufopferischen Wahns schreiben und die Geschichte entzwirnen – aber es scheint hier um ein wenig mehr zu gehen. Der Refrain ist nun die eigentliche Pandorabox dieses Songs, denn inmitten all der Fragen gibt es keine Antworten. Fast.

Der Song zoomt in die Nacht, die brüchig geworden war – aber wieso war die Nacht überhaupt blau? Und mehr: Warum sollten die „light ways“ beängstigend gewesen sein? Aber am Wichtigsten: „Was it both men/In wonder steady gone under“? Das ist schon durchaus konturiert und man hat einen leisen Verdacht, aber ganz erschließen sich die Zusammenhänge nicht. Meine Gedanken sind dahingehend, dass hier ein Zustand beschrieben ist, der allzu häufig ist, aber hier mit Gewichten beschwert wird: Die Unfähigkeit zu entscheiden. Es ist bezeichnend, dass der Song mit einem zeichenhaften Twice beginnt, dem Geständnis etwas immer und immer wieder zu tun. Wer ist „you“ in diesem Kontext? Vielleicht nur einer von vielen (was allerdings weniger zu den klar zentrierten Zeilen der zweiten Strophe passen will). Anderseits deutet both men etwas an, was einen schon ein wenig auf die Eifersuchtsfinte treiben kann. Zumindest ist hier offensichtlich etwas vorgefallen, was zu völlig unverständlichen Folgehandlungen führte. Was auch immer es gewesen ist. Zu Ende kehrt der Gedankenrausch in seinen Fokus zurück: Waren es vielleicht nur zwei (ungleiche?) Wünsche, zwei unvereinbare Willensäußerungen? („Was it two wills?“)

Und dann Schnitt. Nagano verlässt die Szene mit einer seltsam unversöhnlichen Aussage, die alles meinen kann („One mirror holding us dearer now“). Es ist markant, dass der Song beständig zwischen den Zuständen schwankt. I & you, once & twice, one & two. Zuletzt ist es der eine Spiegel, an den beide gebunden sind. Damit treibt der Song leise aus, bis ihn sein Puls verlässt. Breathless.

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Hold on Magnolia to that great highway moon