Re: Irrlichts Introducing

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irrlicht
Nihil

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Noch ein etwas älterer Text, der aber gut ins Konzept des Threads passt.

[B]Laura Nyro New York Tendaberry

Für mich war und ist Laura Nyro eine der größten Entdeckungen der letzten Jahre, daher widme ich dem Herzstück und Titelsong ihren dritten Albums ein paar Zeilen mehr als sonst. Was zunächst auffallend ist: Das Werk wird von den beiden sanftesten Song umrahmt, während „You don’t love me when I cry“ eine zwiespältig empfundene Liebe besingt, handelt der Abschluss allerdings von einer Stadt, von großen Boulevards, nächtlichem Feuerwerk, Flucht und Wiederkehr. Es beginnt schon beim Titel: Nyro verwendet das Wort „Tendaberry“, eine Verslangung von „tender berry“ (jemand meinte, es handele sich dabei um ein Getränk, mag dem vielleicht auch so sein?), das Industrielle, das Staubige und Laute findet also bereits in den ersten Worten sein Gegengewicht: Zartheit, Empfindlichkeit. Und dann ist da noch die Beere, die so vieles bedeuten kann: Schönheit zunächst, Süße, vielleicht auch Fruchtbarkeit (wobei mir da eher Misteln und Granatäpfel eingefallen wären, als blaue Beeren). Immerhin weiß der Kräuterkundler, dass Heidelbeeren am liebsten im Halbschatten aufblühen, na dann, weiter im Text (andere Ideen sind natürlich sehr erwünscht!).

Die Lyrics teilen sich im Grunde zu Anfang in zwei Abschnitte und laufen zum Ende hin wieder zusammen. So wird die Blaubeere im ersten Absatz zur Welt der Betäubung („of rush and rum“), der Kunst („of brush and drum“), aber auch zum Heimatort für Erinnerungen an Vergangenes; New York, Stadt des Blues, Stadt der Harmonie. Doch schon am Morgen folgt die Flucht. Denn alles hat bekanntermaßen zwei Gesichter, bei Städten gilt zudem: mindestens. Nyro erwähnt Verschiedenes, das verschleiert, das umhüllt und weg sehen lässt („rugs and drapes and drugs and capes“), weg von den Schattenseiten, weg von Slums, von Armut, von Hunger – ach, sieh doch da oben, Biofeuerwerk!

Missmutig kehrt das Ich dann allerdings doch zurück. Denn was Peter Fox wusste („Siehst nichtmal schön von Weitem aus/Doch die Sonne geht grade auf/und ich weiß, ob ich will oder nicht/dass ich Dich zum Atmen brauch“), erkannte man auch schon Jahrzehnte zuvor: Es gibt zuweilen eine ganz spezielle Bindung zwischen Dingen, auch zwischen Lebendem und fiktionaller Welt, die sich nicht begründen lässt, die aber da ist. Das Wort „unpacked“ finde ich in diesem Zusammenhang besonders besonders, denn was meint es? Wer entpackt hier wen, was durchschaut sich? Der Mensch die Kulisse oder wird der Maler zum Bild? An den Gehsteigen sitzen Tauben und eines ist dann zumindest sicher: New York ist hier mehr als schnödes Wohnen, es ist Heimat, Zuhause, Nyro erwähnt auch „religion“, quasi als Synonym für einen ganz besonderen „lifestyle“.

Der letzte Absatz vereint dann alles, gibt aber dennoch Rätsel auf. Jedenfalls knabbere ich noch ein wenig am Augenlicht („I lost my eyes/In east wind skies“). Allerdings gibt die Zeile davor vielleicht auch den Schlüssel zur Hand – aus „blue“ wird „true“. Was freilich auch wieder vieles meinen kann: Echtheit, die alle Schattierungen der Welt projeziert, Treue, der Hafen, zu dem man immer wieder findet oder einfach nur ein salopes: „Die ist genau die Richtige für mich!“? In diesem Zusammenhang sind die Augen dann womöglich gar nicht verloren: Sie haben nur ihren ernsten Blick verloren, wurden gemildert, haben erkannt, dass jeder Fluss, mag er am Ursprung auch klar sein, seine Stellen zeigt, die nicht mehr sind als Matsch. Sie bleibt es dennoch, der Ort, der zum Weinen brachte und auf die Probe stellte, der Großes hervorbringt. Der Ort „where god and the tendaberry rise/where quakers and revolutionaries join for life“ – und dann wieder: Der Genuß des Lebens, die Kostbarkeit des Seins – nie wird es makellos sein. Hochhäuser stehen auf Gräbern, nach dem Sommer verdorrt der Herbst die Welt und nach den „precious years“, die das Leben beschert, folgen eben doch, ein ums andere Mal auch „silver tears“.

So ist das und wie ich gerade zum Ende einer der schönsten Quasiballaden komme, die auch stimmlich (musikalisch begleitet sich Nyro hier fast nur am Klavier) den Worten, jedem Einzelnen, seinen Sinn einflüstert („Jetzt raus aus dem Schwelgen, wir singen hier von Armut!“), fällt mir auf, dass der Rahmen doch stimmt: Auch beim Opener folgt nach einem „I will go“ ein mindestens ebenso entschiedenes „I will stay“. Manchmal ist es schön, dass die Welt nicht einfach ist. Thank ya, Tendaberry.

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Hold on Magnolia to that great highway moon