Re: Quartalsauflage Rolling Stone

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der-hofacker

Registriert seit: 07.04.2005

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Meiner bescheidenen Meinung nach mangelt es dem RS seit langer Zeit schon auch an handfestem Journalismus. Nur ein Beispiel: Hier im Forum wurde ein Thread zum Thema „Illegales Edelholz bei Gitarrenherstellern“ eröffnet. Die Redaktion hat dieses Thema ignoriert (genauso wie die seit Wochen wogende Diskussion um das Urheberrecht). Und ich frage mich, wer in Deutschland sollte solche Themen aufgreifen, wenn nicht der Rolling Stone? Am Ende des Tages ist das Magazin eben nur ein Nobel-Fanzine, nicht sonderlich relevant, außer für die treuen Springsteen-, Dylan- und Stones-Fans (nicht zu vergessen die Miridiaden von Go-Betweens-Jüngern). Das hat nicht wirklich Perspektive. Wenn dann demnächst die Super-Nobel-Box von, sagen wir mal: „Beggars Banquet“ kommt, werden Mick und/oder Keith ein Exklusiv-Interview für den US-Stone machen, das die deutsche Ausgabe dann übernimmt, dazu wird Doebeling die definitiven Bootlegs aus der entsprechenden Phase bejubeln – und gut is. Ich will nicht ungerecht sein. Denn was auch sonst sollte man zum Thema machen – die Stones-Geschichte ist weitgehend auserzählt. Fakt ist daher: Selbst ich als Stones-Fan brauch das nicht wirklich (die Box allerdings schon).
Da können die RS-Macher froh sein, dass wenigstens Springsteen noch regelmäßig neue Alben und damit News produziert…

So lange es nicht gelingt, aktuelle Pop-Entwicklungen relevant zu begleiten – und da beziehe ich eine niveauvolle Auseinandersetzung mit Chartsthemen jenseits von Lady Gaga und Lana Del Rey ausdrücklich mit ein – hat die Idee eines anspruchsvollen Musikmagazins keine Zukunft mehr. Jedenfalls nicht für Menschen unter 40. Der ganze Bereich des Metal etwa bleibt im Stone außen vor, obwohl er längst im Mainstream angekommen ist. Warum? Es gibt keine Lobby in der Redaktion. Dasselbe gilt für Black Music. Was bleibt? Schöngeistige Individualisten, ein paar mehr oder weniger spannende Britpopper, dazu die üblichen Verdächtigen von Jack White und Ryan Adams über U2 und R.E.M. (nun nicht mehr, bald also Stipe solo) bis zu den alten Meistern. Dazu nun auch noch halbgare Experimente in Richtung Kulturmagazin (noch dazu mit fatalem Hang zur Berlin-Mitte- und FDP-Schickeria). All das mag auch an einem Mangel an faszinierenden neuen und mehrheitsfähigen Musikhelden liegen, vielleicht ist es aber auch ein Mangel an Mut, Phantasie oder was weiß ich. Keine Ahnung, worüber die Redaktion zurzeit diskutiert. Als sicherlich der Zielgruppe zugehöriger Konsument jedenfalls fühle ich mich bei der (sehr selten gewordenen) Lektüre des Heftes nicht mehr über die aktuelle Musikszene informiert – eher habe ich den Eindruck, der RS ist eine Art Vereinszeitung für Rock-Nostalgiker.
Was mir außerdem fehlt, ist schlicht Spaß. Mal eine ordentliche Portion unkorrekten Humor, Ans-Bein-Pinkeleien, die auch mal Mut erfordern (bei den Scorpions kann das jeder Depp) und überhaupt was Freches. Stattdessen wird ehrfürchtig das Frollein Westernhagen bei der künstlerischen Selbstfindung begleitet. Menno, denkt es da in mir…

Im übrigen glaube ich, dass es sehr wohl Sinn macht, mit einer Marke wie dem Rolling Stone, die immer noch einen weltweit guten Ruf genießt, konsequent auf z. B. eine coole iPad-Version zu setzen. Denn gelesen wird mindestens genauso viel wie vor 20 Jahren, auch von jungen Leuten – nur eben immer weniger auf Papier. Lohnende Erlösmodelle werden sich dann auf Dauer auch auf dem Werbemarkt ergeben.
Wenn Sokrates sagt, dass sich die Welt weiterdreht, hat er völlig recht. Sicher ist aber auch, dass sich die Menschen weiterhin lesend informieren werden. Ich allerdings weniger beim RS, so wie es leider aussieht.

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