Re: Bill Frisell

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friedrich

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Und weiter geht’s mit meiner Wanderung durch die Musik von Bill Frisell. Wenn niemand anderes was erzählen will, tu ich es eben selbst. Einer muss den Job ja machen! ;-)

The Intercontinentals (2003)

Bill Frisell: git & loops; Christos Govetas: oud, bouzouki, voc.; Greg Leisz: pedal steel git., lap steel git, git.; Vinicius Cantuaria: git., perc., voc.; Jenny Scheinman: violin; Sidiki Camara: perc., voc

The Intercontinentals ist vor Unspeakable aufgenommen und veröffentlicht worden. Es wäre wohl auch sinnvoll gewesen, es chronologisch korrekt davor zu besprechen. Zwar weicht Intercontinentals ebenso wie Unspeakable stilistisch deutlich von Bill Frisells Americana-Erkundungen der 90er und frühen 00er Jahre ab – wenn auch in ganz unterschiedlicher Weise – hat aber anders als Unspeakable doch noch einen deutlich erkennbaren Bezug zu Frisells Beschäftigung mit Folklore oder anderer traditioneller Musik verschiedener Spielarten. Ist BF auf Unspeakable in der Stadt unterwegs, so streunt er auf Intercontinentals eher auf dem Land umher, aber nicht im american heartland, sondern – der Titel deutet es an – im globalen Dorf. Dabei wird er begleitet von dem Griechen Christos Govetas, dem/der Amerikaner/in Greg Leisz und Jenny Scheinman, dem Brasilianer Vinicius Catuaria und Sidiki Camara aus Mali. Eine ausgesprochen multikulturelle Gesellschaft also und jeder der Beteiligten hat die Musik seiner Heimat im Gepäck.

Das Ergebnis ist eine sehr hybride Musik, in die all diese verschiedenen Einflüsse mit eingewoben werden. Sie klingt wie Blues in Mali, wie Bossa Nova im Basar, wie Country & Western in Mazedonien oder wie Rembetiko in Rio. Das liest sich alberner als es sich anhört, denn all dies wird auf Intercontinentals zu einem feinen Teppich verwoben, in dem sich der Klang der verschiedenen Saiteninstrumente wie naturfarbene Fäden abzeichnet und die Perkussion wie feine eingewebte Perlen oder Steine, die gemeinsam eine schillernde Textur bilden und sich zu Mustern formen, während Jenny Scheinman noch ein paar Farbtupfer ergänzt oder einen Schleier darüber legt. Erst wenn man näher hinhört, sind die einzelnen Stimmen auszumachen. Vorder- und Hintergrund changieren miteinander, so dass kaum mal ein Solist herausgehoben wird, sondern das gemeinsame erzeugte Gewebe entscheidend ist. Eigentlich erstaunlich wie sehr Bill Frisell hier im Ensemble aufgeht.

Die 6-köpfige Karawane zieht meist in gemächlichem Tempo daher, manchmal verdichtet sich die Musik zwar zu einem Song – es gibt ja auch ein paar Stücke mit Gesang – bleibt aber meist doch abstrakt. Boubacar hat etwas von einem bluesigen groove, Listen hätte auch gut zum C&W von Good Dog gepasst, wenn es darauf nicht eine Oud und das Perkussionsinstrument Calabash zu hören gäbe (was ein ausgehölter Flaschenkürbis ist), Prosecissao ist eine Komposition von Gilberto Gil, die etwas Tänzerisches hat, Perristos hingegen ist von Vinicius Cantuaria komponiert und wird von ihm mit brasilianischer saudade gesungen. Das 7-minütige We Are Everywhere wirkt wie eine orientalische Träumerei, langsam auf und ab wogend, fast meint man den schweren Duft eines exotischen Öles zu riechen, der einen etwas benebelt und dann gibt es mit Anywhere Road, The Young Monk und Remember auch ein paar kleine Stücke, die von der introvertierten Stimmung auch gut auf Ghost Town gepasst hätten.

Ich weiß nicht, ob mich Intercontinentals interessiert hätte, wäre das Album nicht von Bill Frisell. Es wäre mir dann wahrscheinlich nicht einmal in die Hände gefallen. Reizvoll ist aber gerade der Kontext in dem es sich in der Diskografie von BF befindet: Das ist Musik für Saiteninstrumente, genau wie seine Americana-Sachen, aber er erweitert hier das Spektrum der Instrumentierung um solche Exoten wie Oud und Bouzouki oder Calabash, das Spektrum der Einflüsse um Brasilianische Musik und Griechische Folklore und verbindet das mit Perkussion aus Mali.

Einiges davon könnte auch als Begleitmusik für einen Reisefilm („Von Nashville über Rio und Bamako nach Thessaloniki “ oder so ;-)) durchgehen, so wie Nashville oder Good Dog auch für eine Dokumentation über Tennessee funktionieren würden. Aber ebenso wie dort findet sich auf Intercontinentals unter der gefälligen Oberfläche doch eine reich strukturierte Musik, die sich zu entdecken lohnt. Mir ging es jedenfalls so, dass ich der Platte zunächst eine gewisse Skepsis entgegenbrachte, sie dann aber ohne Ende laufen ließ und immer wieder lasse.

The Intercontinentals ist eine etwas exotisch gefärbte Facette im doch recht breit gefächerten Werk Bill Frisells. Insofern möchte ich die Platte gerade denen empfehlen, die meinen, Bill Frisell sei stilistisch etwas festgelegt. Den anderen sowieso.

We Are Everywhere: http://www.youtube.com/watch?v=M0fo5yfoSTE

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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)