Re: Der deutsche Jazz

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gypsy-tail-wind
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Na ja, irgendwie ist das ja alles etwas zwiespältig… ich bin immer noch der Ansicht, dass der deutsche Jazz erst mit Albert Mangelsdorff und den Kühns und dem frühen Doldinger wirklich interessant wird. Davor gab’s natürlich den Österreicher Hans Koller und seine Gruppe mit Jutta Hipp (und Mangelsdorff), aber abgesehen von Kollers schon da sehr reifen und eigenständigen Stimme, war die Musik dieser Gruppe eben doch… derivativ? Und ging dann – mit Kovac – genau in die falsche Richtung, nämlich in jene, die der Komposition, dem Arrangement noch grösseren Wert beimass als dem individuellen Ausdruck.

Dass übrigens der traditionelle Jazz – ich würd mich bei den damaligen Fans und Kritikern jetzt mit meiner Terminologie bestimmt als völligen Ignoranten blossstellen -, der New Orleans Jazz, der Hot Jazz, oder wie immer man ihn nennen soll, das Dixieland-Etikett wurde ja anscheinend abgelehnt, dass es da also weit her war mit der Freiheit, sich ausdrücken zu können, ist natürlich eine völlige Illusion… genau das straffe Korsett der frühen Jazz-Formen hat ja auch dazu geführt, dass sukzessive immer weitere Öffnungen – oder aber neue starre Formen – gesucht, gefunden und geschaffen wurden.

Jedenfalls ging’s nach den Anfängen in den frühen Fünfzigern irgendwie nicht so recht weiter, erst in den frühen Sechziger tauchen neue Leute auf, die mit einer neuen Spielhaltung an die Sache herantreten, experimentierfreudig sind, die Musik öffnen und eben auch der individuellen Stimme, dem meinetwegen „menschlichen“ Ausdruck, den Weg wieder öffnen. Vielleicht sehe ich das falsch, ich kenne ja auch längst nicht alles, was in Deutschland lief, aber man nenne mir die spannenden Ansätze, die zwischen, sagen wir 1954 und 1962 zu hören sind.

Im Vergleich dazu scheint anderswo mehr gelaufen zu sein. In Frankreich jedenfalls bildeten sich um Leute wie Barney Wilen, Bobby Jaspar, Martial Solal, Maurice Vander, Roger Guerin, Rene Urtreger und andere spannende Bands, es wurde ein Jazz gepflegt, der irgendwo zwischen West Coast, Lester Young, Bebop und Cool eine Nische fand. In der Schweiz lief auch nicht besonders viel, aber es gab doch Ansätze zum Bop, wie sie auch in Italien zu beobachten waren. Kurz gefragt: Gab’s deutsche Bebopper? (Also nahmhafte/gute/whatever Bebopper… natürlich gab’s Jungs in irgendwelchen Kellern, die sich dran versuchten und einige von ihnen hätten es wohl auch verdient, dass ich sie heute noch kannte… Und nein, ich will nicht „Hans Koller!“ zur Antwort! Ob der eher dem deutschen als dem österreichischen Jazz zuzuordnen ist, ist mir Wurst, er mag ein Bopper gewesen sein, so wie die Cool Jazzer in den USA Bopper waren, aber er war eine Ausnahmeerscheinung im frühen modernen Jazz in ganz Europa!)

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