Re: Der deutsche Jazz

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gypsy-tail-wind
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Zu einer Jam-Session aus dem Jahre 1949.
„Wir haben uns gewundert und können uns nicht erklären, dass solch fragwürdige Veranstaltungen einiger irrsinniger, erotischer Menschen möglich sind, dass polizeiliche Genehmigungen für derartige sittenwidrige Auswüchse erteilt werden. Wir können nicht verstehen, dass solch schmutzigen Gesellen nicht das Handwerk gelegt wird … Es ist an der Zeit, auch dem kulturschändenden Treiben der sogenannten Musikpiraten den Kampf anzusagen … Wir appellieren an alle! DGB, Gewerkschaft Musik, Bühne, Artistik, Film, Ortsverwaltung Bochum. H. Herbert.“

Die Zeitungsnotiz (wohl eine Leserzuschrift) hat Joachim E. Berendt seinem Artikel „Louis Armstrongs ‚Original Be-Bop‘: Eine Glosse zur Jazzkritik in der deutschen Presse“ vorangestellt, Jazz Podium, Nr. 3/II, April 1953, S. 13

Sehr interessanter Text von Berendt, der in der folgenden Passage – ohne allzu explizit werden zu müssen – die politische Einordnung nachliefert:

Mit einer wahrhaft frappierenden Einmütigkeit scheinen die Zeitungen aller Richtungen und Parteien in Ost und West, von Stadt und Land, davon überzeugt zu sein, dass man vom Jazz nichts verstehen müsse, um darüber schreiben zu können.

Der Unterschied ist nur derr: vor ein paar Jahren war die Jazzmusik so ungefähr das einzige, woran man seinen Zorn auf ie „amerikanischen Kulturschänder“ auslassen konnte. „Es lebe die Jazzkritik! Hier kann man sagen, was man denkt und was im politischen Teil verboten ist.“ Dann merkten die Herren, dass das alles doch nicht so einfach war . . . . dass es da gewisse Widersprüche gab, die ein verantwortungsbewusster Redakteur nicht auf sich nehmen konnte. Also begann man plätzlich und beinahe über Nacht, f ü r den Jaz zu schreiben. Aber damit wird alles nur noch verwunderlicher.

Solange man sich nur mit denen, die dagegen waren, auseinanerzusetzen brauchte, war alles ziemlich einfach. Wenn aber diejenigen, die dafür sind, aus Gründen dafür sind, die für uns allenfalls Gründe wären, dagegen zu sein, dann wird es kompliziert.

Der Titel des Artikels stammmt übrigens aus einer Armstrong-Kritik des Hamburger Abendblattes – Berendt:

Den schönsten „lift“ gab mir das Hamburger Abendblatt. Nach ihm präsentiert Louis Armstrong „seinen begeisterten Anhängern den Cool-Swing und Original-Be-Bop“.

Ein ziemlicher Brüller!

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