Re: Jazz & Brasil

#8359191  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
Moderator
Biomasse

Registriert seit: 25.01.2010

Beiträge: 67,069

vorgartenwas ich aber ungeheuer interessant finde, ist gerade der focus auf das thema, wie sich jazz und brasilianische musik wechselseitig beeinflusst haben. auf die schnelle finde ich da auch im netz nichts, obwohl es bestimmt diverse musikhistorische untersuchungen dazu gibt.

Weil ich das selber auch sehr spannend finde, hab ich die Liste überhaupt mal gepostet und den Thread eröffnet… aber ich weiss zum Thema selber fast gar nichts. Falls Du fündig wirst, lass uns hier teilhaben!

Ein paar Ergänzungen:

Die Shank/Almeida-Aufnahmen gab’s komplett in zwei Volumes mit dem Titel „Brazilliance“, die dürften aber inzwischen vergriffen sein. Sie sind vermutlich (auch wenn man einer Porschee-Fahrerin den Gefallen ungern tut) in der Tat die ersten wirklichen Kollaborationen von Jazzern mit einem Brasilianer (Harry Babasin und Roy Harte sind 1953 dabei, der Follow-Up von 1958 auf Vol. 2 enstand dann mit Gary Peacock und Chuck Flores und wurde auf den Alben „Holiday in Brazil“ und „Latin Contrasts“ veröffentlicht).

Das Quincy Jones-Album ist □ Schrott / □ Kitsch / □ irrelevant (bitte Auswahl selber treffen). Hochglanz-Pop mit viel period charm, aber wirklich nichts grosses.

Das Adderley-Album hingegen ist ganz nett, wenngleich Adderley sich wenig um die Begleitung schert. Einige siener Soli sind allerdings absolut fantastisch und die Band macht Spass… Sergio Mendes sitzt am Piano, Durval Ferreira spielt Gitarre, Octavio Bailly Jr. ist am Bass und Dom Um Romão am Schlagzeug zu hören. Auf fünf der acht Tracks stossen zudem Pedro Paulo (t) und Paulo Moura (as) hinzu – ob sie auch ein Solo abkriegen werde ich demnächst mal nachhören müssen, denke aber eher nicht. Die CD (es gab Ende der 80er eine bei Landmark, dem damaligen Keepnews-Label, und dann 1999 wieder eine bei Capitol, das Album gehört zu den sieben, die Adderley bei seinem Abgang von Riverside zum neuen Label mitnehmen durfte) enthält zudem die Single-Version von „Clouds“, dem Opener, und einen Alternate Take von „Corcovado“.

Übrigens – das wird im Heft in einem kleinen Kasten kurz angesprochen: Miles‘ Flirt mit der brasilianischen Musik war sehr kurz, fand 1962 unter dem Einfluss Gil Evans‘ statt und hat sich auf dem schwächsten der gemeinsamen Alben, „Quiet Nights“ (das ist der englische Titel von Jobims „Corcovado“), niedergeschlagen, auf dem neben dem Titelstück auch „Aos Pes Da Cruz“ von Marino Pinto/José Goncalves zu hören ist – anscheindend die ersten Aufnahmen beider Stücke von Jazzmusikern.
1969 hat Joe Zawinul Miles dann einen Perkussionisten empfohlen: Airto Moreira. Die Story geht so, dass Miles gefragt habe: „Ist er Schwarz?“ – worauf Zawinul geantwortet habe: „Was spielt das für eine Rolle“, Miles zu Walter Booker eingeladen habe, bei dem Airto untergekommen war, und von da an spielten Airtos cuica, berimbau, reco reco und pandeiro für einige Zeit eine wesentliche Rolle in Miles‘ Musik.

Von Mendes (den ich noch sehr schlecht kenne) sollte das schöne Album „Bossa Nova York“ (Elenco 1964) einigermassen einfach aufzutreiben sein – neben seiner Rhythmusgruppe (Sebastião Neto und Chico Batera) wirken als Gäste Jobim, Hubert Laws, Art Farmer und Phil Woods mit.

Bei Getz halte ich an „Jazz Samba Encore“ fest… klar, „Jazz Samba“ und „Getz/Gilberto“ sind tolle Alben und v.a. die beiden Klassiker, wenn’s um Getz und die Bossa geht, aber „Jazz Samba Encore“ mit Luiz Bonfa und Jobim ist für mich musikalisch das ergiebigste. Zudem ist die Sängerin Maria Toledo (1937-2010) sehr toll! Sie war Bonfas Ehefrau und beider gemeinsames Album „Braziliana“ (Philips 1965) liegt in der Verve Originals Reihe auf CD vor (kein grosser Wurf allerdings, aber charmant). Ich kenne sonst noch kaum was von ihr, aber für weitere Hinweise gibt’s hier einen schönen Nachruf.

Luiz Bonfa fehlt in der Liste ebenfalls… kann man auch so machen, wenn’s um Jazz geht, aber schade ist das doch. „Le roi de la Bossa Nova“ (Fontana 1962) ist ein hübsches Album, ebenso die beiden Verve Originals „Composer of Black Orpheus Plays and Sings Bossa Nova“ (Verve 1963 mit Lalo Schifrin und Oscar Castro-Neves) und „The Brazilian Scene“ (Philips 1965).

Von Jobim fehlt natürlich das unsterbliche Debut: „Antonio Carlos Jobim“ (Elenco 1963), in der Verve-Ausgabe (die auf CD in der Master Edition vorliegt) hiess die Scheibe „Composer of Desafinado Plays“. Claus Ogerman hat arrangiert, unter den Musikern sind George Duvivier, Jimmy Cleveland und Leo Wright. Toll finde ich auch „Matita Perê“ von 1973 (Philips), auch von Ogerman arrangiert.

Zudem: Tania Maria kommt erst 2000… schade! Ich habe von ihr die beiden Volumes von „Via Brasil“ (Barclay 1974/75) im Trio und das etwas grösser angelegte „Brasil with My Soul“ (Barclay 1978). Und ich will mehr von ihr!

Und was ist mit Baden Powell passiert? Zuwenig jazzy? My foot!
Ich habe „Le monde musical de Baden Powell“ (Barclay 1964), das MPS 2CD-Set „Tristeza / Poema / Canto / Images on Guitar – The Legendary MPS Albums“, „Baden Powell Canta Vinícius de Moraes e Paolo César Pinheiro“ (Festival 1977) und zu guter letzt das grandiose „Os Afro Sambas de Baden e Vinicius“ (Forma 1966).

Dass die ziemlich durchgeknallten Sivuca-Aufnahmen in der Liste auftauchen, freut mich sehr – das entschädigt für einiges ;-)
Es handelt sich dabei um zwei 10″-LPs, die 1961 bzw. 1962 in Paris aufgenommen wurden, neben Sivucas Leuten taucht daher auch Guy Pedersen auf und zwei weitere weniger bekannte Leute aus der französischen Jazz-Szene (Bill Tamper, ein Ex-pat wohl, und Marcel Hrasko).

Zu guter letzt: Moacir Santos – auch da brauche ich mehr… er taucht bei mir bloss als Arrangeur von „Vinicius & Odette Lara“ (Elenco 1963) und als Gast-Arrangeur von „Nara“ (Elenco 1964) auf. Sehr schöne Alben!

Ach ja, noch was: Deodato… wer/was ist das? Taugt das was? Ich sehe immer nur die CTI-schreienden CTI-designmässig-gestalteten CTI-Cover und denke: „CTI, igitt!“ (na ja, die Hubbard-Alben sind schon gut, aber auch da brauch ich immer eine gewisse Angewöhnungszeit, um in den Softporno-Sound reinzukommen… ich bevorzuge Hardcore…)

--

"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba