Re: Top of Switzerland

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skylord

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Kraft durch Freude „I’ve gotta whole lotta Love“ / „I don’t mind“
Off Course Records / Another Swiss Label ASL/FFC 8015/5 1980

Die Story Teil 1

Ob es an der kühlen Fassade der Bank Welt Hauptstadt lag oder einfach am Umstand der bohrenden Langweile von Grossstadtkids, der Punk Virus hielt in Zürich bereits im Sommer 1976 Einzug und bald gab es eine blühende neue Musikszene mit neuen frischen Bands, innovativen Labels, coolen Musikclubs und handgemachten Punk-Fanzines. Eine dieser Band nannte sich Nasal Boys welche auch schon bald mit ihrer ersten Single „Hot Love“auf Periphery Perfume Records im Januar 1978 für reichlich Wirbel sorgten. Eine Single die ihre Frische und Originalität bis heute bewahrt hat und gerade in den USA auf Sing Sing Records im Original Cover nochmals aufgelegt wurde. Doch die Freude über die Platte hielt nicht lange an, bereits interessierten sich die grossen Major Labels für die Band und vereinnahmten nicht nur die ungestüme Originalität der Band sondern änderten mit dem ersten Unterschrift unter einem Plattenvertag auch gleich den band Namen von „Nasal Boys“ auf das Massenverträglichere „Expo“, Zuviel für das Bandmitglied und Gitarristen Rudolph Dietrich, er stieg aus der Band aus und veröffentlichte seine Abrechnung mit den Plattenmoguls dieser Zeit seine Solosingle „B.O.F.’s“ / „No CBS“ auf einem ebenfalls neuen Punklabel „Off Course“. Im Jahre 1979 gründete Rudolph Dietrich dann auch seine eigene Band und nannte diese für diese Zeit immer noch unglaublich provozierend „Kraft durch Freude“ und spielte auch gleich mal mit seinen beiden neuen Mitstreitern Heinrich Heinricht (Bass) und Beat Schlatter (Schlagzeug) eine 8 Song 12“ EP ein und zur Ueberraschung aller regierte hier bereits der Modpunk so wie man ihn neu auch von England her bereits kannte. Beat Schlatter verliess kurz darauf die Band um sich kurzfristig der Mädchenband Liliput (Ex Kleenex) als männliches Bandmitglied anzuschliessen um dann später noch über den Umweg der tollen aber sehr kurzlebigen Powerpop band „Ladyshave“ sich ins Komödien/Schauspiel Fach zu verabschieden, wo er auch bis Heute eine feste Grösse der Schweizer Filmszene blieb. Kraft durch Freude machte mit neuem Schlagzeuger in Form von Thomas Wydler weiter. Gegen Ende des Jahres 1979 spielten nun dieses Trio in den Sunrise Studios in Zürich die Single „I’ve gotta whole lotta Love“ ein.

Das Interview

Doch am Besten lassen wir hier Rudolph Dietrich selber zu Wort kommen, wie er die Ereignisse und Umstände dieser Aufnahmen rund 30 Jahre danach sieht.

RS; „Zur Zeit der Single Aufnahmen, habt ihr Euch da noch als Punk gefühlt oder war die Single bereits im Powerpop Sound geplant?“
R. Dietrich; “Für uns war bis ca. 1979 Punk einfach ein Ueberbegriff für neue, direkte und etwas härtere Musik. Dann kamen die unseligen Verfeinerungen wie Powerpop oder New Wave und ähnliches. Für mich war Punk nie ein bestimmter Stil, sondern eine bestimmte Haltung wie man Musik macht. In diesem Sinn haben wir uns sicher in der Punk Tradition gesehen, verfolgten aber auch die Mod Geschichte genauso wie auch das Ska Revival. Wir alle mochten auch Musik aus den 60’s was uns auch beeinflusst hat.“

RS; Bei Eurer Band kommt man nicht darum herum auch Heute noch die Frage nach dem Bandnamen zu stellen. Würdest Du Heute in derselben Situation noch einmal diesen Namen verwenden oder war das reine jugendliche Provokation?“
R. Dietrich; „Als sich 76’ praktisch Weltweit eine neue Musikszene herauskristallisieren begann, war die Provokation ein gemeinsamer Nenner für alle. Man akzeptierte alte Regeln nicht mehr und signalisierte auf verschiedene Weise dass man mit der erstarrten und unkreativen Rockszene der 70’ nichts zu tun haben wollte. Wir gebrauchten den Begriff „Kraft durch Freude“ schon bei den „Nasal Boys“ weil er in musikalischer Hinsicht gut betitelt, was wir machten. Ja ich würde auch Heute wieder einen Bandnamen wählen der auf die Pauke haut.“

RS; „ Deine musikalische Karriere ist bekannt, aber was ist aus Deinen Mitmusiker geworden?“
R. Dietrich; „Bassist Heinrich Heinricht wechselte nach dem frühen Ende von „KdF“ zu den „Mother’s Ruin“ und gründete später mit „Captain Henry“ seine eigene Band. Er war zuletzt 2007 mit „Mother’s Ruin“ live zu sehen. Drummer Thomas Wydler blieb 1980 während eines „KdF“ Aufenthaltes in Berlin hängen. Er spielte zuerst mit „Die Haut“ und später mit den „Bad Seeds und Nick Cave“. Thomas macht auch immer wieder interessante eigne Projekte.“

RS; „Was gefällt Dir auch Heute noch speziell an dieser Single?“
R. Dietrich; „ Anh „I’ve got a whole lotta Love“ gefällt mir noch die witzige „Hallo, hier sind wir“ Attitüde. Frisch und nichts gekünsteltes, kein Overdubs. Du bist im Prinzip mit der Band in einem Raum. Diese Formation war eine meiner Lieblingsformationen mit denen ich die Ehre hatte arbeiten zu dürfen.“

RS; „ Gibt es noch eine Story / Anekdote zur Platte / Aufnahme?“
R. Dietrich; „Eine eher ungern erzählte, Ja. Wir kamen beim Studio um 10.00 Uhr morgens an und um 16.00 Uhr hatten wir dass fertig aufgenommene und gemischte Master in der Hand. Um meine Stimme zu schonen nahmen wir die B Seite „I don’t mind“ ohne Pilot Vocals auf. Als dann der Gesang an der Reihe war, stellte sich heraus, dass einige Takte der Strophe fehlten und die Strophen deshalb eine Zeile kürzer als gedacht waren. Warum wir das nicht korrigierten ist für mich Heute noch ein Rätsel, weil der Song so missgestaltet einfach nicht funktioniert. Damals hat man das einfach hingenommen….und war schon wieder wo anders.“

Die Story Teil 2

Kurz nach den Aufnahmen und einer kleinen Deutschland Tour lösen sich „Kraft durch Freude“ auf. Geblieben sind verteilt auf die 8 Song EP, der Single und zweier Stücke auf einem „Swiss Wave The Album“ betitelten Langspielplatte. Rudolph Dietrich gründet kurz darauf die Industrial Rockband „Blue China“ und bringt es sogar auf ein Gastspiel auf einem Glitterhouse Sampler „Out of the Blue Vol. 2“ Als 1995 seine Blues/Liedermacher Platte „Monsieur L’ti Bon Age“ erscheint. 2006 dann kommt eine Werkschau von Ihm als DoCD auf den Markt mit dem Namen „Sheer Hillariousness“ auf der sich auch fast alle „Kraft durch Freude“ Songs befinden und auch eine komplette Version (viel später nochmals fertig gestellt) der verhunzten B Seite „I don’t mind“

Die Single / A Seite „I’ve gotta whole lotta Love“

Grossartige Teenage Mod Hymne mit allem musikalischen was zu dieser Zeit in England eigentlich direkt in die Hitparaden hätte führen müssen. Ein Refrain der so immer wiederholend zu einem hypnotischen Teenager Psalm mutiert. Der typische Mod mässige pumpender Basslauf, treibendes Schlagzeug und eine verquere 60’s orientierte Gitarre.
Schlicht weg ein Klassiker an englischem Powerpop mit dem kleinen Fehler das er aus dem musikalischen Niemandsland Schweiz kam.

Die Single / B Seite „I don’t mind“

Rudolph Dietrich hat es schon beschrieben und genauso erlebt man es wenn man sich die B Seite anhört. Zwar ist alles wieder da was auch die A Seite ausgemacht hat, aber irgendwie wird man das Gefühl nicht los das es hier etwas zu sehr zusammengebastelt wirkt. Von der Musik, dem Gesang und den Chören. Dank dem Interview wissen wir das hier einfach beim abmischen geschluddert wurde, leider unüberhörbar.

Da aber die Single bereits bei erscheinen im Januar 1980 auch in Deutschland vertrieben worden ist (Unterm Durchschnitt Vertrieb) ist ihr gelegentliches auftauchen nicht auf die Schweiz beschränkt. Zum Kauf dieser Single braucht es jedoch ausser der nötigen Geduld vermutlich auch den einen oder anderen Euro mehr. Die Angebote die ich in den letzten Jahren auf Auktionsseiten gesehen habe reichen von 25 Euro bis zu 60 Euro. Auf Flohmärkten dürfte diese Single allerdings kaum die erste Welle der „Stirnlampen Sammler“ überstehen.

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Ich bin ein Arbeiter der Liebe, ich habe immer Vollbeschäftigung