Re: Paul Weller – Sonik Kicks

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annamax

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Herr Borcholte ist nicht ganz so skeptisch. Ich bin mir noch nicht ganz schlüssig. Die Beschreibung im Text zügelt meine Neugier, die Soundschnippsel finde ich nicht uninteressant.

Paul Weller – „Sonik Kicks“

England, du hast es besser. Hätte man am Wochenende denken können, als die Nachricht die Runde machte, dass sich Alt-Mod Paul Weller auf den ersten Platz der UK-Album-Charts gerockt hat. Und bei uns so? Platz eins: Shantys von Santiano, Platz zwei: Xavier Naidoo, Platz drei: Mia. Auf Rang vier immerhin Bruce Springsteen. Ansonsten: Puh.

Weller hatte allerdings in seiner Heimat nur knappe 150 Alben Vorsprung vor David „Brechreiz“ Guetta – und brauchte für seinen Triumph laut „Billboard“ auch nur 30.000 verkaufte Alben. Vor zwei Jahren rauschte er noch mit 52.000 an die Spitze. Das zum Zustand der Plattenindustrie. Für Weller ist es erst der vierte Spitzenplatz seiner langen Karriere, und dass er es mit „Sonik Kicks“ geschafft hat, ist umso überraschender, da sich der Mann mit Anfang 50 noch mal so richtig unbequem für sein mit ihm alterndes Klientel macht. Erst die Folk- und Hippie-Exkursionen von „22 Dreams“, dann pseudo-juvenile Agitprop-Lärmerei auf „Wake Up The Nation“ – und nun Elektronik und Krautrock. „Groundbreaking“ sei sein elftes Solo-Album für ihn, sagte Weller, und die Freude über das späte Pioniertum mag man ihm gönnen. Der gemeine Weller-Fan jedoch, der insgeheim eigentlich nur neue Versionen von „The Weaver“ oder „Peacock Suit“ wünscht, auch wenn man das als Modernist nicht zugeben darf, muss zwischen den klanglichen Barrieren, die Weller hier aufhäuft, lange nach den liebgewonnen Melodien des Modfathers suchen. Immerhin: Vorhanden sind sie. „That Dangerous Age“, „Dragonfly“, „Around The Lake“ oder die Ballade „By The Waters“ – pures Paul-Weller-Gold, aber halt zerhackt und sonisch aufgemöbelt, wie der Titel ja auch annonciert.

Interessanter sind Wellers Streckungen nach tatsächlich neuen Genres: „Study In Blue“ ist nicht nur ein schön turtelndes Duett mit seiner neuen, 27 Jahre jüngeren Gattin Hannah, sondern wird im Mittelteil zum veritablen Space-Jazz-Dub. Nicht nur hier, auch in „When Your Garden’s Overgrown“, einer Hommage an Syd Barrett, klingt kräftig der Ganja-schwangere World-Pop von Damon Albarn durch. Ob Absicht, Wellers dritter Frühling oder Einflüsterung von Produzent und Simon Dine – egal. „Kling I Klang“ ist reines NEU!-Zitat; „Twilight“ 20 Sekunden purer Wahnsinn – und am Ende dürfen Wellers Kids im kitschigen Dadrocker „Be Happy Children“ zur allgemeinen Versöhnung von Vergangenheit und Zukunft beitragen. Mit 53 noch so beweglich zu sein, halbstark geradezu, das wirkt bei Weller nicht wie Midlife Crisis, es entspricht einfach seiner Gewohnheit, sich selbst und sein Gefolge stets zu neuen Experimenten zu pushen. Das muss man respektieren. Ein Meisterwerk ist „Sonik Kicks“ deswegen noch lange nicht. Aber eine weitere faszinierende Facette des Mannes mit den „ever changing moods“. Los Paul, zeig’s dem Froschfresser-DJ! (7) Andreas Borcholte

Quelle:
http://www.spiegel.de/kultur/musik/0,1518,823959,00.html

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I'm pretty good with the past. It's the present I can't understand.