Re: Die Toten Hosen – Ballast der Republik

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annamax

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Das Interview aus der Südwestpresse gibt für meinen Geschmack nicht allzu viel her. Allen Komplettisten soll es aber nicht vorenthalten bleiben.

Campino: „Die alten Wurzeln sind noch da“

Auf ihrem Album „Ballast der Republik“ setzen die „Die Toten Hosen“ auch im 30. Jahr der Bandgeschichte auf den bewährten Mix von Rockpunk, Aufrüttelsongs und Mitsing-Liedern. Sänger Campino im Interview über das neue Album, den überraschenden Erfolg der Single „Tage wie diese“ und über den Humor der Kollegen „Die Ärzte“.

Es gibt auf dem neuen Album im Titelstück „Ballast der Republik“ die Zeilen „Es ist wie Pech das an uns klebt, der Ballast der Republik“ zu hören. Was genau klebt denn da?

CAMPINO: Ich habe den Text zusammen mit dem Rapper Marteria geschrieben. Andreas Frege aus Düsseldorf und Marten Laciny, aufgewachsen in Rostock, haben versucht, ein Gefühl zu beschreiben, das wir beide teilen. Ob du in den neuen oder alten Bundesländern groß geworden bist, du lebst immer mit dem Bewusstsein, dass es diese Konsequenz der Geschichte gibt, die Last der Eltern und Großeltern und dem, was die verbrochen haben. Auch wenn man damit nichts zu tun haben möchte, am Ende kann man sich nicht davon wegstehlen, und das ist auch gut so. Ich habe oft gehört, dass Leute gesagt haben, dass sie es leid sind, im Ausland immer noch mit der deutschen Geschichte konfrontiert zu werden. Oder die Verunsicherung im Land, ob man jetzt ein Deutschland-Fähnchen schwenken darf oder nicht. Oder diese völlig überbewertete Günther Grass-Diskussion. Sein Gedicht wurde auf einer Ebene behandelt, die nie möglich wäre, wenn dieses Land nicht immer noch traumatisiert wäre. Das ist unser Versuch, dies in Worte zu fassen.

Sie haben mit dem Stück „Europa“ ein Thema angepackt, das die Flüchtlingsdramen auf dem Mittelmeer intensiv beschreibt. Wollt Sie Ihre Fans wachrütteln?

CAMPINO: Es ist unheimlich schwer, sich solchen Themen zu nähern, ohne dabei in Peinlichkeiten oder Plattheiten abzurutschen. Es ist nicht einfach, politische Lieder zu schreiben. Die sollten ja eine gewisse Halbwertszeit haben, aber die Entwicklungen überschlagen sich ja förmlich und man wird ständig von der Realität eingeholt. Die Idee zu „Europa“ ist entstanden, weil ich mich selber dabei erwischt habe, wie abgestumpft man vor dem Fernseher sitzt und fast täglich diese Bilder von den Menschen konsumiert, die dort sterben oder in Flüchtlingslager gesteckt werden. Man denkt, das ist in Spanien oder Italien, und wir haben nichts damit zu tun. Aber wir haben diese Festungspolitik mitunterschrieben! Ich finde es schockierend, dass man das im Bewusstsein so auskoppelt.

Zu Erfreulicherem. Mit der Single „Tage wie diese“ spielt die Band nicht nur ganz oben in den Charts mit, sie klingt auch fast so breitwandig wie „U2“.

CAMPINO: Viele Melodien entstehen, in dem wir uns ein ganzes Wochenende in eine Bauernscheune zurückziehen, in der wir von morgens bis abends Musik machen. Andere Stücke entstehen zuhause. Kuddel klimpert auf der Gitarre, nimmt das auf und spielt es uns im Proberaum vor. Das war eine dieser Ideen. Wahrscheinlich hat Kuddel zehn „U2“-Platten zuhause, und irgendwann hört man’s dann auch mal.

Wie schwierig ist es, den Song zu finden, der als Single-Vorbote des Albums eine Bugwelle auslöst?

CAMPINO: Da steckt keine Strategie hinter. Wir kommen zu dieser Nummer wie die Jungfrau zum Kind. Wir hätten auch niemals gedacht, dass sie so einschlagen würde. Wir haben das komplette Album durchgehört, aber eine Single gab’s nicht – wie immer. „Tage wie diese“ war das einzige Stück, bei dem wir die Chance sahen, dass es eventuell im Radio gespielt wird. Und nach all den Jahren, in denen wir keinen Top 5-Hit hatten, werden wir sogar in bayerischen Radios gespielt. Nun haben wir das Gefühl, die Todsünde des Bayernliedes ist verjährt.

„Du bist Verzweiflung, ich bin der Strick“ – die Zeile des neuen Liedes „Alles hat seinen Grund” ist die Beschreibung einer Liebe, die man nicht unbedingt teilen möchte.

CAMPINO: Ich will damit zeigen, dass wir immer in dieselben Muster fallen. Es gibt bei Paaren so oft die Rollenverteilung des Schuldigen und des Opfers. Es ist wie im Theater. Die Rollen werden verteilt und man hält sich auch daran. Man braucht diese Muster unter Umständen auch. Das ist wie mit der Frau, die sagt: Ich habe so ein Pech. Alle Männer, in die ich mich verliebe, sind verheiratet. Dass sie vielleicht eine Bindungsphobikerin ist, ist ihr in diesem Moment nicht bewusst.

Fällt es schwer, die intellektuelle Fallhöhe für Songtexte bisweilen nach unten zu verlagern und Inhalte griffiger zu gestalten?

CAMPINO: Überhaupt nicht. Ich bin ein Freund schlichter Bilder, und möchte die Dinge auch lieber einfach erklärt bekommen. Ich lege keinen Wert auf Verpackung. Was mich dazu bringt, Themen zu Papier zu bringen, das muss der Hörer auch nicht wissen. Es ist das alte Spiel: Es geht nicht um einen Seelenstriptease. Wenn ein Lied fertig ist, dürfen die Hintergrundinformationen keine Rolle mehr spielen.

In „Alles hat seinen Grund“ erlebt man Campino singend und poetisch.

CAMPINO: Das Lied ist eher ein Spalter. Einige finden es zu soft. Mir ist das egal. Ich hatte Spaß an den Bildern und freue mich über jeden, der den Weg mitgeht. Beim Schreiben darf man sowieso keine Schere im Kopf haben – man muss alles raushauen.

Wie wichtig waren auf diesem Album Produzenten und andere Mitstreiter?

CAMPINO: Unheimlich wichtig. Vincent Sorg, unser Produzent, hat inzwischen seine Position gefunden und prägt unseren Sound. Tobias Kuhn, der ja auch schon die Sportfreunde Stiller oder Thees Uhlmann produzierte, war als Arrangeur für uns ein wichtiger Außenbordmotor, und Marteria ist ein Sprachtänzer. Die drei haben einen guten Anteil daran, dass wir wieder in der richtigen Spur sind und frisch klingen.

Was war in 30 Jahren Tote Hosen der größte Fehler?

CAMPINO: Es gab viele Fehler, aber ob wir eine Platte versemmelt haben, ist doch total unwichtig. Ich denke bei Fehlern eher an Privates und die Haltung, die wir früher hatten. Wir sind eine Achterbahn gewesen. Betreten auf eigene Gefahr. Das war immer sehr naiv und locker daher gesprochen. Am Ende hat es dann doch mal geknallt, und man fragt sich heute: Hätte man bei Freunden Entwicklungen beeinflussen können? Das waren Erlebnisse, die im Rückblick traurig machen. Und: Ich hätte auch mit der Hälfte der Fernsehsendungen, die ich gemacht habe, auskommen können und habe sicherlich viel Käse geredet, aber im Verhältnis zu anderen Unglücken und Problemen waren das Bagatellen.

War die Band jemals vor dem Aus?

CAMPINO: Mehrfach. Da waren der eigene Anspruch und das, was wir abgeliefert haben nicht mehr im Einklang. Auch live. Wenn einer nüchtern auf der Bühne steht und der andere ist betrunken, hat man eine sehr unterschiedliche Wahrnehmung von dem, was da gerade abgelaufen ist. Wenn das unkritische und egomane Verhalten überhand nimmt, wird das für eine Band kritisch. Aber wir haben die Kurve immer wieder gekriegt.

Was ist die größte Stärke der Toten Hosen?

CAMPINO: Wir konnten hart austeilen, haben aber auch Nehmerfähigkeiten. Jeder in der Band hat seine Rolle gefunden.

Geht Ihnen manchmal die Selbstironie ab, die „Die Ärzte“ pflegen?

CAMPINO: Wir haben viel über uns gelacht, aber auf eine andere Art als „Die Ärzte“. Ich war ja vor den Toten Hosen Sänger in einer Band namens ZK. Die haben den deutschen Funpunk damals ausgelöst. Nach drei Jahren lustig sein müssen auf der Bühne, habe ich das gehasst. Es gibt keine schwerere Rolle als die des Clowns. Damals wusste ich: Wenn ich noch einmal in einer Band spiele, will ich mich so geben können, wie ich bin. Wie „Die Ärzte“ das durchziehen, bewundere ich. Das ist eisenharte Arbeit.

Wieviel Punk steckt nach 30 Jahren noch in der Band?

CAMPINO: Es ist nicht wichtig, zu wissen, wieviel Prozent Punk die Hosen ausmacht. Wir haben uns schon 1982 nicht wirklich um eine Definition bemüht. Wir haben ein Lebensgefühl und einen Humor gehabt, der aus der Szene entsprungen war. Ich glaube, das kann man heute bei uns immer noch spüren. Die alten Wurzeln sind noch da.

Sie sind derzeit auf Eurer Magical Mystery-Tour durch heimische Wohnzimmer. Könnte man dieses Zurück ins Live-Kleinformat auch Midlife Crisis-Tour nennen?

CAMPINO: Es geht unter anderem auch darum, einen Chorgeist zu finden. Es ist aber auch das Skurrile der Begegnungen, was es so lustig macht. Vielleicht sind wir noch Kindsköpfe, weil wir in den Wohnungen unserer Wohnzimmer-Konzerte auch noch übernachten wollen. Aber es gibt hier Berührungen, die im normalen Tourneebetrieb nicht mehr stattfinden. Und man lernt auch etwas über die jungen Leute von heute. Als ich in der WG in Bern stand, hatte ich das Gefühl, ich komme nach Hause. Da war nichts fremd. Da war ein Geist, den man noch fassen kann. Ich könnte fast deren Vater sein, aber ich dachte nur: Wenn ich 20 Jahre wäre, würde ich hier wohnen wollen.

Quelle:
http://www.swp.de/ulm/nachrichten/kultur/Campino-Die-alten-Wurzeln-sind-noch-da;art4308,1453193

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I'm pretty good with the past. It's the present I can't understand.