Re: Steven Bernstein

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friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

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So, jetzt habe ich wortreich und verschwurbelt versucht DIASPORA HOLLYWOOD zu beschreiben und verstehe am Ende selber nicht mehr so ganz, was ich eigentlich sagen wollte. Versuchen wir mal es ein wenig einzudampfen: Jüdische Melodien und West Coast Jazz „rub shoulders“ auf DIASPORA HOLLYWOOD. Sie drehen ein gemeinsames Tänzchen miteinander, es werden ein paar Tanzschritte der einen Kultur zu Melodien der anderen Kultur ausgeführt, so richtig vermischen will man sich dann aber doch nicht. Man hat einen kleinen Flirt miteinander, geht danach aber wieder seiner Wege und hält sich lieber an seine eigenen Leute. Ein kleines Abenteuer, sehr reizvoll zwar, das aber nicht von Dauer sein kann.

Ich frage mich eigentlich, warum Steven Bernstein in der DIASPORA SERIES Ur-ur-altes (traditionelle jüdische Melodien) mit mindestens Ur-altem (z.B. West Coast Jazz) zusammenbringt. Aber vielleicht kann einem das auch herzlich schnuppe sein, wenn das Ergebnis so gut klingt.

DIASPORA SUITE von 2008 ist der vierte und (bislang?) letzte Teil der DIASPORA SERIES. Die Platte ist die einzige dieser Serie, auf der es ausschließlich Originalkompositionen von Steven Bernstein gibt, die sich aber harmonisch auch aus der traditionellen jüdischen Musik speisen. Die Besetzung besteht hier aus vier Bläsern (tp, tb, ts + fl, cl+ b-cl), 3 x E-Gitarre, E-Bass, Percussion und Drums. Man ahnt es bereits: DIASPORA SUITE ist eine Electric Jazz Platte mit deutlichem Funk-Einschlag. Die Musik hört sich so an als würde der elektrische Miles Davis der 70er Jahre, dem Gil Evans bei ein paar Bläserarrangements noch mal unter die Arme gegriffen hat, in einer Synagoge in Andalusien spielen. Die Bezeichnung als „Suite“ erklärt sich aus den Titeln der 12 Stücke, die nach den biblischen Oberhäuptern der 12 Stämme Israels benannt sind. Die erkennbare Sinnhaftigkeit der Titel kann ich nicht beurteilen. In jedem Fall bilden sie aber einen sehr spannungsvollen Bogen, der von fast tanzbar über verträumt und geheimnisvoll bis zu dunkel und unheimlich reicht.

Mit dem Funk greift Steven Bernstein wohl die Musik wieder auf, die er schon als Heranwachsender gehört und gespielt hat. Mit einigen der beteiligten Musiker hat er auch schon in seiner Schulzeit zusammengespielt. Im Booklet ist jedenfalls das Foto einer Schülerband von 1973 abgebildet, das einen damals noch langhaarigen Steven Bernstein mit seinen auch auf der DIASPORA SUITE beteiligten Bandkollegen Peter Apfelbaum und Jeff Cressman zeigt. In sofern wird auf DIASPORA SUITE Traditionspflege in gleich zweifacher Hinsicht betrieben. Großartige Platte, die mit DIASPORA SOUL und DIASPORA HOLLYWOOD ein sehr schönes Dreigestirn bildet.

ZEBULON: http://www.youtube.com/watch?v=krbjnDfpi3Q

Das ist im Wesentlichen das, was ich von Steven Bernstein kenne. Zu anderem müssen andere was erzählen. Aber diese drei Alben sind aus meiner Sicht absolut zu empfehlen.

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)