Re: Blind Fold Test #9: Friedrich

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gypsy-tail-wind
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#1 – Eine Suite zum Auftakt… europäisch oder Zorn’isch? Ersteres vermute ich. Ich denke an Trovesi wegen der Bassklarinette natürlich, aber auch wegen des Cellos, den folkloristischen Klängen, ans Italian Instabile Orchestra, an Willem Breuker wegen des Theatralischen, an den Instant Composers Pool… aber Bennink ist das nicht hier. Wohl keine der genannten Gruppen. Aus den USA kommt mir höchstens das Either Orchestra in den Sinn, denn nach Zorn klingt das irgendwie doch nicht, am Ende. Gefällt mir jedenfalls, wie die Stimmen sich aus dem Ganzen herausheben – das heisere Tenor in b) etwa, und immer wieder die Trompete, die durchaus etwas vom schränzenden Spiel Steven Bernsteins hat. Darunter ein toller, enorm satter Bass, der schlafwandlerisch führt, ein manchmal betrunkenes, dann zum Auftakt von c) aber von Romantik trunkenes Piano… charmant der afro-kubanisch tänzelnde Beat, der mitten in c) einsetzt, mit Harfe? Oder doch Gitarre? Das schickt mich dann wieder kurz auf die Zorn-Spur (die judao-kubanische NYC-Connection…).

#2 – Der Übergang hier ist enorm raffiniert… heute morgen hörte ich plötzlich Vibes, was mich dann für die Suite wieder auf die Zorn-Spur katapultierte – ich hatte gar nicht gemerkt, dass die Suite eben zu Ende war. Der Beat hier ist allerdings doch anders, der Bass ist ebenfalls weicher aufgenommen… und das könnte jetzt wirklich aus der Downtown-Szene aus NYC kommen? Klingt jedenfalls einigermassen nach Dave Douglas in einem guten Moment. Ein melancholischer Auftakt, der aber voller kleiner Überraschungen steckt und mir durchaus auch Freude macht!

#3 – Mit dem Stück hier habe ich etwas Mühe… das ist Retro-Zeugs, das ich irgendwie nicht hören mag, auch wenn die erste Trompete ganz enorm charmant ist und mein Herz sofort schmelzen lässt! Der Bass ist viel zu steif, das ganze viel zu perfekt intoniert und phrasiert… da lob ich mir den echten kesselnden Jazz der späten 20er! Klar, man kriegt das natürlich nie in dem Sound wie hier, aber hey… das Altsax ist ganz hübsch, etwas dünn im Ton. Finde es hier schwierig, das einzuschätzen, denn die Adepten machen den Job doch so gut, dass ich kaum mehr hören kann, woher die wirklich kommen – sie gehen in der Rolle auf.
Das ist nicht gut oder schlecht, aber es interessiert mich eben nicht wirklich. Hier im BFT funktioniert’s allerdings ganz gut.

#4 – Kansas City… mit einem guten Altsax zum Auftakt, aber danach stimmt der Rhythmus nicht, die Drums sind zu flüssig und zugleich zu zickig, der Bass zu hart… das fliesst nicht so schön, wie die echte KC-Musik, die von Basie, McShann etc. Das Altsax ist toll, der Einstieg des Tenors (haarscharf an „Exactly Like You“ vorbei) ebenfalls, aber danach wird es leider nicht besser, finde ich…

#5 – Das Stück kenne ich, komm aber nicht drauf (dasselbe natürlich bei #3 und #4)… gefällt mir gut, das ist jetzt auch tatsächlich älteren Datums, oder? Die Gitarre erstaunt mich ein wenig… und das am Altsax kann eigentlich fast nur Johnny Hodges sein, oder? Die Aufnahme kenne ich jedenfalls nicht, glaube ich… habe jetzt doch meine Zweifel, aber heute morgen dachte ich sofort: „Hodges!“ – und das könnte auch durchaus Ellington sein, der so unglaublich toll am Piano werkelt!

#6 – „Days of Wine and Roses“ in einem irgendwie etwas Zirkus-mässigen Arrangement (ja, das ist negativ gemeint, Zirkus macht mich eigentlich nur traurig). Nachdem das Thema abgehakt ist, wird’s etwas besser, das Trompetensolo gefällt mir anfangs jedenfalls sehr gut, dann gehen die Ideen aus und es folgt ein Slide hoch und einer runter und wieder hoch und runter ad nauseam. Der Beat ist wieder eher steif hier, metronomisch, clean. Sind da zwei Drummer am Werke? Oder ist das einfach mal wieder etwas komisch abgemischt? Das erste Sax-Solo ist gar nicht mein Fall, eine Zirkus-Version von Eric Dolphy oder David Murray… die Posaune ist dann ganz hübsch, aber das Piano ist für mich hier mit Abstand das beste, neben dem an sich grossartigen und heiss geliebten Stück… und ja, das sind zwei Drummer. Fazit: Das gibt mir nicht sehr viel hier – es tut nicht weh, aber er berührt mich auch nicht, zieht einfach an mir vorbei, zu brav. Pardon.

#7 – Das hier ist ja irgendwie auch schon fast wieder Retro, oder? Es weckt jedenfalls viele Erinnerung. Aber er gefällt mir gut, dieser dichte Teppich aus Klängen, Flöten und Piccolos, Röhrenglocken, Becken, Bässe, obenaus der Singsang der Trompete, mittendrin die anderen Bläser, ein Saxophon, das auch zunehmends heraussticht, sehr schön, wie sich die Stimmung allmählich etwas verdüstert, wie sich das Gewebe oben etwas lichtet, unten kraftvoller wird. Das ist Musik, die ich eher im Konzert hören müsste als auf CD, aber das eine Stück hier gefällt mir gut!
Sehr schön dann der Übergang in diesen Minimal-Groove… Klarinette, Vibes, ist da noch ein Rhodes oder eine Farfisa oder sowas drin? Klingt jedenfalls plötzlich mehr nach Rzewski als nach Sun Ra, Don Cherry oder Pharoah…

#8 – Das hier ist wieder ein sehr gelungener Übergang! Der Groove klingt afrikanisch, einer dieser Grooves, der endlos weiterlaufen könnte… die Bläser verschieben sich darüber, scheinen ein eigenes Tempo zu spielen, das ergibt eine tolle Wirkung. Leider fällt das dann nach zwei Minuten in einen eher simplen Groove. Das Sax hier erinnert mich – wie oben angedeutet – streckenweise sehr an Eddie Harris, diese leicht träge Phrasierung und diese Rhythmik, die genau den endlosen loopenden Groove in sich trägt, wie ihn hier zum Auftakt die Rhythmusgruppe spielt… schönes Stück, das zwischendurch irgenwie etwas Filmisches hat. Definitv aus den USA, aber keine Ahnung, wer das ist (ca. frühe 90er, würd ich schätzen).

#9 – Eine Sun Ra-Hommage, nehme ich an? Sind das Kesselpauken? Irgendwie gefällt mir das ganz gut, aber es ist eben auch wieder Retro… und diesmal haben wir defnitiv eine Farfisa, ja? Die Beats sind toll, die Melodie wunderbar (klingt bekannt… aber ich komm wie üblich nicht drauf – schätze schon Sun Ra, ja?) – Posaune und Trompete sind toll!
Aua, harter Schnitt in den neuen Track, der heute morgen noch fehlte…

#10 – … und was ist das denn? Pastiche, aber irgendwie grandios! Wow! Darauf bin ich echt gespannt! Ellington-Nummer, oder? Und wieder krieg ich den Titel nicht auf die Reihe… ach ne, Mingus! Verdammt! YEAH! :sonne:

#11 – Und das hier ist nun endgültig nicht meins… Terje Rypdal auf ECM? Oder doch Frisell? Das lässt mich so kühl zurück, wie es klingt. Den Saxophonisten könnte ich vielleicht in einem anderen, weniger elegischen Kontext durchaus mögen, wer weiss. Hm, am Ende kommen diese kleinen folky Licks rein, das ist Frisell, ja? Kenne von ihm noch viel zu wenig, vielleicht müsste ich hier die ganze Scheibe hören, um das wirklich beurteilen zu können. Ich mag ihn an sich ganz gerne, bisher…

#12 – Das hier ist toll! Klingt irgendwie nach Mischung aus Gil Evans und Mingus. Grossartig das Barisax am Boden, dazu die Posaunen mit ihrem Endlos-Riff… crime jazz, irgendwie… tolles Alt, hübsche Trompete, starkes Piano. Kommt mir nicht bekannt vor, aber auch hier würde ich sehr gerne mehr hören!

#13 – Wie gesagt: Whisky und Gin trinkt man eben straight! Wunderbares Trompetensolo, all die knapp doch nicht versauten Töne… der warme, weiche Ton… genau so, wie redbeans die Trompete liebt. Und dann kommt der unnachahmliche Herr am graden Horn… sehr, sehr toll! Auch das Piano, gespielt vom Arrangeur/Leader. Toll auch der Drummer, irgendwie verschleppt-lässig, aber doch auch treibend. Der Bassist ist sehr trocken, erinnert mich von der Phrasierung her ein wenig an Al McKibbon. Woher kennt man den sonst noch? Das ist einer, dessen Name ich zwar kenne, aber überhaupt nicht zuordnen kann… klingt irgendwie nach prä-Bop, so Milt Hinton-mässig?
Warum dauert die Version auf der CD fast eine halbe Minute länger? Muss die in meinem Chaos mal suchen gehen… Monk kann man ja eigentlich nicht Covern, aber so kann man das durchaus machen, das passt!

#14 – Warum der Herr so gern gedisst wird, kann ich zwar irgendwie verstehen, aber ich gebe mir grosse Mühe, nicht mit einzufallen, denn wenn immer ich mir seine Alben anhöre, gefallen sie mir sehr. Ich habe ihn hier sogar ziemlich klar erkannt, diese kleinen, hohen „cries“ gegen Ende des Solos, der leicht verhangene Ton. Für die neugierigen, das kommt von dieser grossartigen und auch den Dissern absolut empfohlenen Scheibe.

#15 – Das Intro erinnert mich etwas an Moodys „Last Train from Overbrook“ – wie das Thema aufgeschichtet wird, mit grossem Vorwärtsdrang phrasiert. Kenne ich einmal mehr nicht… die Trompete hier ist sehr viel prahlender als jene in #13, aber macht die Sache gut, bleibt irgendwie linear, lyrisch, bei allem demonstrativen Chops-Gezeige. Tenor klingt nicht unvertraut, aber ich kenne das hier nicht… ein schöner Closer, auf jeden Fall!

Tausend Dank, Friedrich! Auch wenn manche Stücke bei genauerer Betrachtung nicht mehr so gut wegkommen, macht mir Deine Zusammenstellung grossen Spass und kein Stück ist wirklich unhörbar oder richtig schwach! Ich werde gerne die weiteren Kommentare verfolgen und mich an der Diskussion beteiligen!

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