Re: Blind Fold Test #9: Friedrich

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vorgarten

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ich hasse es, posts zu ignorieren, deshalb gerne wieder als erster ;-)

toller bft & ein schönes selbstporträt! ;-)
erkenne dich sehr in dem ganzen wider, aber das ist vielleicht mein privileg, da wir uns ja auch nicht-virtuell kennen.
der anfang macht’s mir irgendwie schwer, aber direkt danach lasse ich mich gerne hineinziehen in diesen ziemlich sonnigen film noir, der natürlich auch ein spiel mit klischees ist oder stücke, die eben solch ein spiel spielen, montiert hat – aber es gibt auch echte skurrile stimmen hier, die sich in anderen umlaufbahnen bewegen, überlebensstrategische postmoderne sozusagen.

#1 a)-e)
mhhh… ich mag den rahmen, anfang & ende, mit diesem bassklarinetten- und cello-läufen, den gestopften und versetzten bläserspitzen und dem perkussiven schlagzeug. das ist musik mit frack und pomade, auch cartoon-begleitungs-tauglich, wenngleich natürlich auf anhieb als post 1990er einordbar. aber dann kommt mit dem gestrichenen cello schon das suite-programm. sofort ist witz & drive weg und kommt auch erst ganz zum schluss wieder. also wird jetzt alles um verkopfte cluster herum gesetzt, ohne dass es mal losgehen kann oder für sich schon schön genug ist. und: es nimmt sich als ganzes irgendwie die luft, weil kaum was vertieft wird. ein film geht da auch nicht los, auch wenn’s viele schöne details hat.
ich tippe natürlich auf NY downtown, joey baron könnte der drummer sein, der klarinettist ist jedenfalls nicht don byron, dessen schöne BUG MUSIC vergleichbar, aber ein anderes kaliber ist. mag aber nicht weiterrätseln, weil ich’s nicht mag. findet man wahrscheinlich leicht raus.

#2
der bft, der mich interessiert, fängt hier an. schrubbelwalzer, in der luft hängende vibes, die sich langsam senken, eine großartige trompete, eine geheimnisvolle flöte. das thema wird ja mehr oder weniger nur umspielt, was durchaus reicht. ob das der von mir so häufig geschmähte dave douglas ist? mich hat diese abwärtsbewegung jedenfalls erfasst, ich lasse mich treiben.

#3
ups, full stop. meine idee zu #1 kommt hier als verspätetes echo. toll, wie ernst der ellington hier genommen wird. der posaunist mit dem muskulösen ton war ein spezieller crush von mir in den 90ern. das album hier mag ich sehr, den leader auch – gegen alle unkenrufe, auch hier im forum. viel schöner als #1 und hier reichen auch 3 minuten.

#4
das hier könnte ellington in echt sein. auch hier hat der spaß tiefe. klingt fantastisch – eine sehr gute aufnahme aus den 50ern? hier kann ich mich eigentlich nur blamieren, weil ihr die musiker wohl auf anhieb erkennen dürftet und behrend darüber bestimmt 50 seiten geschrieben hat, aber ich sag nur, dass mir das tenorsolo super gefällt. und der sound. und der spaß mit tiefe.

#5
es bleibt spaßig. und auch das liegt außerhalb meines akustischen horizonts. trotzdem gefällt mir das sehr gut, an allen ecken und enden. es funkelt und strahlt. jeder musiker hat meine volle sympathie, sogar der gitarrist (vor allem der). schön.

#6
grandios, tausend dank! wenn ich „days of wine and roses“ höre, bin ich grundsätzlich gerührt. aber das hier ist darüber hinaus unglaublich schön – das fängt bei diesem herzergreifend verschrobenen klavier intro an – kurz stutze ich (kann er das sein??), spätestens beim altsax bin ich mir sicher, womit ich’s hier zu tun habe, und entdecke die aufnahme. schön, wie brav der bläsersatz ist und wie hip das dann wieder durch die doppelte schlagzeugbegleitung mit verschleppter latin-percussion wird. muss ich haben. und wer ist das jetzt tatsächlich an der trompete? TT und nicht DC, oder? schön. den hype um den tenoristen habe ich dagegen nie ganz verstanden.

#7
ja!!! wir haben die umlaufbahn verlassen, erst mit coltrane, dann mit tortoise im geist oder gepäck. ist das das orchester des explodierenden sterns? egal bzw. sternschnuppe – ganz toll, mit den glockenschlägen, den kleinen flöten, der nicht enden wollenden extase, den marimbas und vibraphonen, dieser ganzen bewegung nach oben und darüber hinaus. der minimal-teil, der sich daraus schält, ist auch ganz wunderbar. ein perpetuum mobile, das gerne weitergehen könnte. sehr schön auch die idee, #6 und#7 hintereinander zu setzen.

#8
das finde ich auch toll. erst denkt man: pseudo-afrika, dann kommt dieses etwas platte prä-m-base-funk-schlagzeug, dann der schreckliche sing-sang-bass, aber je mehr dazukommt, desto toller wird es. das erste saxophon, dass da so klagend auf sich aufmerksam macht, ist von john lurie, oder? also könnten das die von mir bisher völlig ignorierten lounge lizards sein… kenne lurie nur außerhalb davon. würde aber zu dir passen. jedenfalls gefallen mir diese minimal-cluster mit der dezent extrovertierten ausbruchsgestik. auch wenn man jetzt nicht mehr durch’s weltall schwebt, sondern eher über einsame amerikanische landstraßen fährt.

#9
da ist sie ja wieder, die farfisa des terrors! und welche von den abertausend versionen der weltraumliebe ist das jetzt? eine der bodenständigsten und irdischten – insofern ist der sprung von den landstraßen gar nicht so groß. meine ahnung ist, dass wir es hier mit einer coverversion zu tun haben. ich das nicht frank lacy an der posaune? wie auch immer: neben den tagen des weins und der rosen ist das ein anderer meiner alltime favorite jazz songs. es gibt übriges auch eine schöne gesungene version von jimi tenor davon. das ist aber dann eher hip shit. das hier ist hip. ach – jetzt habe ich’s! die hier ist das. wollte ich mir immer mal besorgen, weil die ganzen musiker darauf toll zusammengestellt sind und der herr selbst ein riesentalent war, das dann wieder in der versenkung verschwand (glaube ich). großartig! eine wirklich liebevolle, fast chamäleoneke hommage!

[edit] #10
fehlt oder gibt’s gar nicht. oder es ist das missing link zwischen weltraum und orangenplantage…

#11
da kennt aber jemand seinen guitar synthesizer! frisell (der einzige, der ihn spielt und nicht von ihm gespielt wird) oder nicht frisell, das ist hier die frage… na klar ist er’s. und dann sehe ich auch die orangenplantagen, die aufgeschlitzte killekätzchen-nase. sie ist meine tochter – meine schwester – meine tochter – meine schwester. und der großartig elegant-verkommene soundtrack von jerry goldsmith. das machen sie schön hier, weil sie wirklich wissen, wie ein film funktioniert. kennt wahrscheinlich jeder hier, ist aber eine tolle wahl.

#12
ob menschen, die in den 50ern in eine bar gegangen sind und livejazz gehört, geraucht und getrunken haben und es angenehm fanden, dass das licht im raum nicht allzu hell war, bewusst war, dass diese szenerie noch jahrzehnte später als klischees daurch die ohren von menschen geistert, die jazz nicht wirklich ernst nehmen? also barjazz hier – und vom film clair zum film noir. hat aber weniger bedrohlichkeitspotential und zumindest bei mir weniger bilder. ist das echt oder zitat? hodges oder tim berne? weiß nicht. ganz schön aber als sketch. und natürlich gut programmiert.

#13
ein flirren aus klaviertrillern und wasauchimmer und los geht die jagd. straight, no chaser. klingt verdammt nach miles, aber die herren hier werden mich schnell eines besseren belehren. mit dem drummer habe ich leichte schwierigkeiten, aber toll sind die bläserwolken, die da reinschweben, und dieses versponnene klavier, das sich nicht so richtig traut. ziemlich schräges arrangement… bin gespannt.

#14
„angel eyes“ – auch schön. komplexes streicherarrangement, claus ogermann in memoriam. harfe und alles drum und dran. und dann der erste tenorsaxophonton und ich weiß sofort, wer das ist. ich stehe dazu und finde den großartig, egal, wie geschmäcklerisch oder kokett seine konzeptalben sind. ein ton reicht, un man weiß wo der hammer hängt. was sie hier aus diesem geistergesang machen, den ich immer mit ella fitzgerald verbinde, ist etwas verrückt und sehr liebenswürdig. toll, wie das ganze wieder ins intime trio-format rutscht,um sich dann wieder durchgeknallt aufzutürmen. excuse me while i’m growing bigger and bigger.

#15
jetzt könnte ich mich blamieren, weil ich jemand nicht sofort erkenne. tu ich nämlich nicht. wir bleiben im bigger-than-life-format, was ich sowieso ganz toll an diesem bft finde, die ganzen völlig spannend in die breite gehenden besetzungen. hier stehen irgendwie 40 musiker im studio herum, scheint mir. und spielen eine schöne, leichte, schnelle swingnummer (obwohl nach der logik der dramaturgie hier jetzt wirklich mal ein obskures gruselstück erwartet hätte, was mich wirklich in die zwischenwelt entführt). aber die sonne darf aufgehen und siegen. ich glaube, ich kenne die alle, die hier spielen, ohne dass ich mich schon mal in sie verliebt hätte. ich setze mich zu den streichern auf die rosa kitschwolke und fühl mich da ganz gut, egal, was die jungs da unten abfeuern. und jetzt, aus der ferne, höre ich: das ist henderson, oder? den würde man aus der kitschwolke heraus natürlich besonders scharf hören… und verliebt habe ich mich in den auch schon mal. blamage abgewendet?

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