Re: Kenny Clarke with Francy Boland and the Bands

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Das nächste Kapitel der Band folgte im Januar 1963. Am 25. und 26. Januar wurden in Köln die Aufnahmen gemacht, die auf den beiden Alben Now Hear Our Meanin‘ (CBS) und Handle with Care (Atlantic) veröffentlicht wurden.

Die Band war aus diesem Anlass erweitert worden und umfasste 21 Musiker: sechs Trompeten, fünf Posaunen, fünf Saxophone, sowie in der Rhythmusgruppe zusätzlich Joe Harris an Perkussionsinstrumenten. Zum ersten Mal dabei waren zwei der fortan wichtigsten CBBB-Musiker: aus den USA Trompeter Idrees Sulieman, ein Bebopper der allerersten Stunde, sowie Ronnie Scott, der Engländer mit dem kantigen Tenorsax-Sound. Statt Zoot Sims war dieses Mal Billy Mitchell zu hören, ebenfalls dabei waren der Österreicher Erich Kleinschuster an der Posaune und dank einem eigenartigen Missverständnis Keg Johnson an der Bass-Posaune.

Mike Hennessey berichtet auf S. 225 der deutschen Ausgabe seiner Klook-Bio:

Es hatte sich einfach kein Posaunist für die Band auftreiben lassen. Doch dann kam Ake Persson mit einem Album in der Hand zu Nat Peck. „Ich hab ihn“, sagte er, „hör dir das mal an.“ Er spielte einen Track aus Out of the Cool von Gil Evans. Nat war beeindruckt. Persson zeigte auf den Namen, der auf der Plattenhülle stand, und sie riefen Campi in Köln an. „Du musst Keg für diesen Termin kriegen“, sagten sie. Campi, stets empfänglich für die Begeisterung der anderen, versprach, Johnson aus New York herüberzuholen. Während der Session spielte Keg recht ordentlich, aber irgendwie, dachten Peck und Persson, klang er nicht so wie auf dem Evans-Album. Nach dem ersten Aufnahmetag sassen Persson und Peck mit Johnson bei einem Drink zusammen und erzählten ihm, wie sie ihn auf der Evans-Platte gehört hatten. „Einer der besten Bassposaunisten, die ich je gehört habe“, sagte Peck. „Absolut fantastisch“, bestätigte Persson.
„Vielen Dank“, sagte Keg. „ABer das war gar nicht ich. Auf dem Album habe ich keine Bassposaune gespielt. In Wirklichkeit bin ich nämlich gar kein Bassposaunist. Ich musste mir für diese Session hier ein Instrument leihen.“
Auf der Platte hatte in Wirklichkeit Tony Stutt gespielt. Ake und Nat verrieten es Campi erst ein Jahr später.

Hennessey zitiert dann auch, was Clarke ihm 1966 gesagt habe, als er über die CBBB einen Artikel für Down Beat schrieb (auch S. 225):

Diese Aufnahme ist der Beweis dafür, dass es in Europa genauso gute Musiker gibt wie in den Staaten. Ich habe nie das Gefühl gehabt, der Standard in Europa sei niedriger als der in Amerika. In Deutschland ist er genauso hoch, wenn nicht höher. Ich habe in vielen Studios in Amerika gearbeitet, aber ich glaube, die Musik hier in Europa hat ein höheres Niveau.

Die Band bestand insgesamt aus folgenden Musikern: Benny Bailey, Idrees Sulieman, Jimmy Deuchar, Maffy Falay, Roger Guerin, Edmund Arnie (t); Ake Persson, Nat Peck, Erich Kleinschuster, Raymond Katarzynski, Keg Johnson (tb), Derek Humble (as), Karl Drewo, Billy Mitchell, Ronnie Scott (ts), Sahib Shihab (bari, fl), Francy Boland (p, arr), Jimmy Woode (b), Kenny Clarke (d), Joe Harris (timp), Fats Sadi (bgo).

Das Album Handle with Care (Atlantic LP/SD 1404) beginnt mit dem „Long Note Blues“ von Boland. Clarke öffnet mit Unterstützung von Bill Harris, dann setzt die Rhythmusgruppe ein, Boland spielt ein bluesiges Piano-Intro, unter dem die Bass-Posaune zu hören ist. Allmählich schleichen sich die anderen Bläser ein, legen leise Linien unter das Piano. Dann setzen die Posaunen zu einem Riff an, über dem Sahib Shihab einzelne Töne bläst, aus denen sich ein swingendes Solo entwickelt. Die Saxophone setzen Gegenlinien, dann ist (bei 1:33) erstmals diese schnarrende Abwärts-Bewegung, die Boland so gerne mochte – genau rechtzeitig für Shihabs immer intensiveres Solo, in dem er die Flöte überbläst und in sie hereinsingt. Gegen Ende gesellen sich kurz die Trompeten hinzu, dann übernimmt Billy Mitchell am Tenor, spielt ein ebenso intensives Solo. Die Band rifft, Klook boppt. Etwas ruhiger wird’s zu Beginn des Trompetensolos von Idrees Sulieman, aber die Bläser sammeln sich nur einen Moment lang, um gegen Ende dieses tollen Openers ihre volle Power zu zeigen. Bolands Ideen sind eine Freude – die lange, liegende Trompeten-Note, dahinter Clarkes geschäftiges Getrommel, dazu eine ganze Reihe von geschichteten Riffs, kleinen Einwürfen (Humble!) – einmal mehr wird schon beim ersten Stück klar, dass hier eine Band am Werk ist, kein Haufen von Individualisten, sondern Musiker, die sich hier einem gemeinsamen Ziel verschrieben haben.
Es folgt Cole Porters „Get Out of Town“ – mittlerweile sind Bolands Künste als Arrangeur von Standards wohlbekannt. Die Melodie gehört dem Blech, abwechselnd präsentiert von Trompeten und Posaunen. Der wichtigste Solist ist Ake Perrson mit einem sehr tollen Posaunensolo (Åke, um wenigstens einmal seinen Vornamen korrekt zu schreiben), ebenso zu hören sind Derek Humble mit einem bittersüssen Alt-Solo, sowie die Trompeter Jimmy Deuchar und Idrees Sulieman, deren kurze Beiträge von einem tollen Sax-Soli unterbrochen werden. Hinter Sulieman dreht die Band wieder richtig auf, dieser lässt sich aber nicht beirren und bläst seine leicht kauzigen, etwas verschleppten, Dizzy-Linien.
Die erste Seite der LP endete mit Clarkes Original „Sonor“, einem der künftigen staples der Band. Die Soli des kurzen Stückes stammen von Scott (ts), Sulieman (t), Mitchell (ts) und Bailey (t), bevor am Ende der prägendste Musiker der Nummer, Klook, auch noch kurz zu hören ist.
Weiter geht’s mit „Speedy Reeds“, einem Stück, das wie der Name sagt, der Sax-Section gehört. Und die hat es in sich… kaum eine Sax-Section überzeugt mich mit derartiger Konstanz wie jene von Clarke-Boland, am ehesten bietet sich wohl die langjährige Ellington-Section mit Johnny Hodges, Russell Procope, Jimmy Hamilton, Paul Gonsalves und Harry Carney an. Aber auch die Four Brothers-Sections von Woody Herman haben ihre Zeichen hinterlassen, schon in der Besetzung (1x as, 3x ts, 1x bari). Die Soli stammen von den drei Tenoristen, in der Reihenfolge Drewo, Scott, Mitchell. Letzterer ist dabei der flüssigste, während Scott Drewo in Sacken Ecken und Kanten durchaus Konkurrenz macht! Die Fours am Ende sind jedenfalls so heiss, wie jene der zeitgleich entstandenen Philips-Aufnahmen von Woody Herman (mit Sal Nistico, der auch mal im Clarke-Boland-Universum auftauchen sollte).
Ruhiger wird’s mit „Old Stuff“, einem Boland-Original, das Benny Bailey (offene Trompete) und Idrees Sulieman (mute) präsentieren. Sulieman bläst das erste Solo, die Band sammelt sich langsam, Clarke begleitet wie immer ausserordentlich. Hinter Baileys Solo fällt die Band erst in eine Art pedal point, doch daraus wird rasch ein fetter Swing. Kenny Clarke und Bill Harris (der hier und wie mir scheint auch auf weiteren Tracks ein zweites Drumset spielt, auch wenn davon in den Diskographien nicht die Rede ist) treten in einen kurzen Dialog, dann soliert Derek Humble, in der Mitte wieder über diesen offenen pedal point. Er spielt ein wunderbares Solo mit seinem satten aber doch lyrisch-feinen Ton. Dann hören wir nochmal die Drummer, bevor Billy Mitchell zum Solo ansetzt. Hinter ihm bläst die Band einen dichten Teppich von swingenden Riffs, dann endet das Stück mit Suliemans Trompete.
Den Abschluss des Albums machte „Om Mani Padme Hum“ von Boland. Sadi trommelt hysterische Bongo-Rhythmen, es gibt zum Auftakt ein paar chants, doch dann geht’s rasch zur Sache, das Thema wird aus seinen verschiedenen Strängen zusammengeflechtet, aufgeschichtet wie eine hohe Torte. Sahib Shihab bläst an der Flöte das erste Solo, ist sofort mitten drin, wiederholt vor Bolands eigenartiger ein-Akkord-Begleitung einfache Motive, schlängelt sich zwischen den dichten Rhythmen von Clarke und Sadi hindurch. Die Band übernimmt quasi das monotone comping von Boland hinter Benny Baileys intensivem Solo, die Zeichen stehen auf Sturm und mit dem Closer zeigt sich noch einmal die ganze Power! Nach Baileys Solo hören wir Sadi an den Bongos (offensichtlich gedopt!)

Das zweite Album brachte Gigi Campi bei CBS unter, es hiess Now Hear Our Meanin‘ (CL 2314 / CS 9114). Zum Auftakt ist gleich wieder die volle Power der Band zu hören, in Francy Bolands Arrangement des Rodgers & Hart-Klassikers „Johnny One Note“ – keine Soli sind zu hören, allein die Band steht im Zentrum.
Der Wall von Sound wird in Bolands „Night Lady“ aufgelockert. Woode spielt ein Bass-Lick, das den 6/8-Blues prägt, Shihab präsentiert an der Flöte das Thema, begleitet von gedämpftem Blech. Dann soliert Boland, konstrueirt ein langes Solo voller toller Ideen, Sing-Sang-Motiven, Repetitionen, perlenden Läufen, bluesigen Einwürfen… einmal mehr wird klar, war für ein toller Pianist er war, auch wenn er sich gerne fern vom Rampenlicht hielt. Persson folgt mit Dämpfer und spielt ein grossartiges Posaunensolo. Auch Humble zeigt sich bestens in Form. Sein Sound ist wunderbar – ich kann ihn schwer einordnen, denn auch wenn der Ton an Desmond gemahnt ist sein Spiel doch viel zupackender, voller, satter, seine Linien elegant aber auch bluesig und seine Phrasierung stets entspannt aber voller Swing, zupackender als die kühleren Saxer das je waren. Diese Mischung bildet für mich den ganz besonderen Reiz seines Spiels. Das letzte Solo des Stückes kommt dann von Sahib Shihab an der Flöte.
Shihab steht auch gleich im Mittelpunkt der nächsten Nummer, Jack Sels‘ Ballade „I’m So Scared of Girls When They’re Good Looking“ (tja… wer fühlt sich hier nicht angesprochen…). Der grosse Sound von Shihabs Barisax trägt die Melodie, unter den anderen Bläsern hindurch. Boland spielt eine kurze Bridge, verhalten, lyrisch, dann kehrt Shihab zurück. Das zweite Solo stammt dann von Billy Mitchell, Klook fällt in double time, spielt fein mit Besen, Mitchell greift in die vollen, zitiert en passant kurz „Fascinating Rhythm“, behält die lyrische Grundstimmung aber bei. Ein paar dissonante Akkorde von Boland bremsen die Band dann aus, und Shihab spielt wieder das Thema – wunderbar gemacht!
Bolands „Sabbath Message“ öffnet mit Roger Guérin an der Trompete, klingt lange Zeit fast wie eine Small Group-Nummer, nur einzelne Einwürfe des Blechs verraten die Big Band. Bailey folgt mit Dämpfer (und einem Sax-Intermezzo), dann Jimmy Deuchar und zum Ende Maffy Falay (der übrigens in der Tat den Vornamen Muvaffak trägt, die Geschichten, dass das ein Übername sei, den er sich verdient habe, in dem er einen anderen Musiker „motherfucker“ genannt habe, klingen zwar hübsch, sind aber frei erfunden). Am Ende hören wir Kesselpauken und Drums mit Riffs von fast Kenton’scher Intensität… manchmal wird die Musik dieser Sessions etwas gar bombastisch, aber durch die ruhigeren und lichteren Momente, die Boland einstreut, wird das nie wirklich zuviel, wenn mir auch die spätere, etwas kleinere Besetzung der Band wesentlich lieber ist.
Die letzte Big Band-Nummer ist dann das Titelstück, Jimmy Woodes „Now Hear My Meanin'“. Die Solisten sind Humble, Persson und Shihab (bari). Die Band rifft mit Gusto, alles sehr simpel, aber auch sehr effektiv arrangiert, und mit einem Glanzpunkt von Persson im Zentrum.
Zum Abschluss des Album ist „A Ball for Othello“ zu hören, in der 1961er Oktett-Besetzung und ziemlich sicher identisch mit der Version, die letztes Jahr auf „The Golden Eight – Encore!“ veröffentlicht wurde (es hiess dort, alle Stücke seien unveröffentlicht – die Diskographie von Frohne stamme vermutlich von den Sessions vom 18. & 19. Mai (also dem ursprünglichen „Golden 8“-Album von Blue Note). Allerdings hat Frohne damals wohl noch nichts von der zweiten Golden Eight-Session gewusst!

Die beiden Alben sind auf der CD „Now Hear Our Meanin‘ – The Complete 1963 Recordings“ versammelt. Allerdings handelt es sich dabei um ein Bootleg (ja, für einmal darf man das sagen, denn die halten sich nicht an die 50-Jahr Grenze, die ja jetzt eh gefallen ist… die CD wird also auch 2014 nicht legal sein sondern – falls die Gesetze dann nicht erneut geändert werden sollten – erst 2214). Die CD fügt als sinnfreien Bonus vier Stücke vom zweiten Drewo-Album von 1966 an.
Es gibt von beiden Alben auch Collectables-CDs, vom Atlantic-Album ist zudem ein LP-Reissue bei Rearward/Ishtar zu finden.

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