Re: Kenny Clarke with Francy Boland and the Bands

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gypsy-tail-wind
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Und schon hab ich ein Durcheinander gemacht und etwas weggelassen… das erste Album aus dem Clarke/Boland-Dunstkreis, das unter dem Namen von Karl Drewo erschien, Clap Hands, Here Comes Charlie.

Der Mann mit dem sperrigen, grossartigen Sound am Tenor lebte von 1929 bis 1995 und spielte seit 1947 Saxophon. Sein grosses Vorbild war Lester Young. In den späten Vierzigern spielte er in Soldatenclubs der Alliierten, in den Fünfizgern unter anderem mit Fatty George in dessen moderner „Two Sounds Band“, in der auch Joe Zawinul und Oscar Klein sassen. Von 1958-70 spielte er in der Band von Kurt Edelhagen und daher rührte auch seine Bekanntschaft mit Gigi Campi – so gehörte Drewo zu den Mitgliedern der frühesten Formationen um Kenny Clarke und Francy Boland. In den 60ern spielte er zudem in den Big Bands von Paul Kuhn und Max Greger, ab 1973 dann in der von Erich Kleinschuster geleiteten ORF Big Band und ab 1981 auch mit Peter Herbolzheimer. Ab 1979 unterrichtete Drewo an der Musikhochschule in Graz, die viele grosse MusikerInnen an sich binden konnte (und kann).

Francy Boland hat für Drewo wieder auf die Posaunen-Idee zurückgegriffen, diesmal aber auf „normale“ Posaunen (Ramyond Droz und Otto Bredl) und eine Bass-Posaune (Chris Kellens). Die Posaunisten sind nicht solistisch zu hören, weitere Bläser sind nicht zugegen. Die Rhythmusgruppe besteht aus Boland, Jean Warland (b) und Joe Harris (d). Letztere war Klooks Nachfolger in der Dizzy Gillespie Big Band und hatte wie manche CBBB-Musiker auch mit der Quincy Jones Big Band gespielt. Aufgenommen wurde das Album am 18. Juni 1961 in Köln, ursprünglich veröffentlicht wurde es auf Metronome (MLP 15141), ein CD- und LP-Reissue gibt’s von Rearward (1999).

Drewo war 32 und schon ein Veteran. Sein Credo war ein einfaches: „I like jazz“. Es gebe nur guten und schlechten Jazz, weitere Unterscheidungen empfand er für überflüssig. Im Zentrum stehe der Swing, wenn ein Musiker nicht swinge, dann sei alles andere unwichtig. Und swingen, dass konnte er! Das Cover versinnbildlicht sehr schön die zupackende Spielweise und den Elan von Drewos Musik.

Boland hat sechs Arrangements geschrieben, die Drewo all den Raum geben, den man sich nach dem Hören der „Golden Eight“-Sessions erhoffte. Der Rahmen mit den Posaunen ist passend, verstärkt in den schnellen Nummern die Kanten und Ecken von Drewos Spiel, in den langsameren Nummern unterstützen sie ihn manchmal fast völlig unscheinbar, aber immer eine Richtung weisend, unterstützend.
Bolands „Young Bucks“ ist eine kleine Riff-Nummer, perfekt geeignet für Drewo, der sofort mit viel Engagement bei der Sache ist und ein sehr tolles Solo konstruiert, ohne gleich all sein Pulver zu verschiessen. Boland spielt dann ein sehr tolles, boppiges Piano-Solo, in dem er ähnlich wie Drewo mit rhythmischen Phrasen spielt. Es folgen drei Runden von exchanges von Drewo, Warland, Boland und Harris, bevor das Stück mit dem Thema endet.
Als zweites hören wir die meisterhaft arrangierte Ballade „I’m Getting Sentimental Over You“. Hier sind die Posaunen im Hintergrund, mehr spürbar als hörbar und Drewo spielt wieder mit dieser unendlichen Gelassenheit, aber dennoch mit grossem Engagement. Boland steuert nicht nur ein perlendes Intro bei sondern begleitet auch einmal mehr sehr toll und spielt ein schönes Piano-Solo. Im zweiten Solo Drewos mischen sich die Posaunen kurz ein – und man achte auf Bolands spannende Begleitung!
„Clap Hands, Here Comes Charlie“ ist ein altes Big Band-Schlachtross. Drewo spielt es als Hommage an Lester Young und Count Basie. Das Tempo ist sehr schnell, die Posaunen legen einen trockenen Boden, Drewo klingt etwas weniger knorrig als sonst, phrasiert flüssige Linien, die manchmal in der Tat an Young gemahnen, aber rasch ist er bei sich selber und die Kanten tauchen auch immer wieder auf, ebenso die rasend-stotternden, an Griffin gemahnenden Läufe. Boland folgt mit einem grossartigen Piano-Solo, stark rhythmisiert, Stop-and-Go, perlende Läufe, sich verhakende kleine Figuren, Repetitionen, eine starke linke Hand… und ein unglaublicher Drive! Dann hören wir exchanges von Harris und Drewo
Es folgt ein weiterer alter Klassiker, der „Limehouse Blues“. Ein paar Jahre zuvor hatten Cannonball Adderley das Stück mit John Coltrane für sein Album „The Cannonball Adderley Quintet in Chicago“ eingespielt (EmArcy, später als „Cannonball & Coltrane“ aufgelegt). Drewos Version ist etwas gelassener und langsamer, sein Ton kommt wunderbar zur Geltung, er streut ein paar tolle Shakes ein und tritt dann in einen Dialog mit den riffenden Posaunen. Boland folgt mit einem reduzierten Solo und einem weiteren Dialog mit den Posaunen, bevor Harris und Drewo im Wechsel zu hören sind. An dieser Stelle ein gutes Wort für Warland und Harris. Der Bassist überzeugt mit starkem Swing, gutem Timing und guten Walking Bass-Linien (und manchmal mit tollen kleinen Ideen). Harris gefällt mir – gerade mit Dizzys Band in den späten 40ern – nicht besonders gut, aber hier spielt er geschmackvoll und treibend und macht seine Sache sehr gut.
Der Blues „Foot Pattin'“ stammt von Bassist George Duvivier, Boland hat das Thema für Drewo und die Posaunen als Satz arrangiert. Das mittelschnell bouncende Tempo ist für Drewo ideal geeignet, wunderbar, wie er die Phrasierung umdreht und entspannt Idee an Idee reiht, um zwischendurch in kleine Läufe auszubrechen oder einen kurzen Shake einzustreuen. Boland folgt erneut mit einem tollen, sehr boppigen Solo, Harris begleitet mit Rim-Shots. Dann folgen ein paar Runden exchanges, bevor das Thema wieder mit den Posaunen repetiert wird.
Den Abschluss macht das zweite Boland-Original, „J.L.K.“, das ursprünglich für die beiden Tenoristen der Edelhagen Band – Jean-Louis Chautemps und Karl Drewo – geschrieben wurde. Die Posaunen präsentieren das Thema über Bolands Klavier-Ostinate und greifen während der Soli massiv ins Geschehen ein, geben Anstösse. Einmal mehr setzt auch Boland einen Glanzpunkt, vielleicht DEN Glanzpunkt des Stückes – ironischerweise, da dies doch das Feature für Drewo war… dieser setzt dann zum Dialog mit Boland an – ohne Drums dazwischen, was ich mindestens so toll finde, wie die üblicheren fours! Diese folgen dann auch noch, zwischen Drewo und Harris. Dann beendet Drewo mit den Posaunen das Stück und das Album.

Die Scheibe wäre – in einer gerechten Welt zumal (wie war das mit „Candide“ wiederlesen?) – ein Klassiker des europäischen Jazz, oder zumindest ein legendärer Untergrund-Klassiker! Dank Rearward ist die Scheibe seit über zehn Jahren problemlos greifbar, aber bekannter scheint sie dadurch leider nicht geworden zu sein.


Francy Boland und Karl Drewo

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