Startseite › Foren › Über Bands, Solokünstler und Genres › Eine Frage des Stils › Blue Note – das Jazzforum › Kenny Clarke with Francy Boland and the Bands › Re: Kenny Clarke with Francy Boland and the Bands
Am 13. Dezember entstand in den Electrola-Studios in Köln eher zufällig das erste Album der Kenny Clarke-Francy Boland Big Band, Jazz Is Universal. Geplant gewesen war eigentlich eine Session mit Sängerin Billie Poole (Clarke begleitete sie mit Lou Bennett und Jimmy Gourley in einem Klub in Köln). Campi wollte sie für Riverside aufnehmen, Clarke und Boland trommelten aus dem Anlass eine kleine Big Band zusammen, Boland arrangierte.
Auf dem Album sind neben Humble, Drewo und Woode auch die Trompeter Benny Bailey, Roger Guérin, Jimmy Deuchar und Ahmed Muvaffak Falay (aus den USA, Frankreich, England und der Türkei) zu hören, dazu die Posaunisten Nat Peck und Ake Persson (aus den USA und Schweden) sowie die Saxophonisten Zoot Sims (ts) und Sahib Shihab (bari,fl) (aus den USA). Die LP erschien in den USA und in Frankreich auf Atlantic (1401 / SD 1401) und in England bei London (HA-K 8085).
Guérin hatte schon in den 50ern mit Clarke gespielt, Shihab war 1959 mit der Big Band von Quincy Jones nach Europa gekommen und blieb. Zoot Sims war grad auf Tour in Europa. Persson hatte auch mit Quincys Big Band gespielt, wie auch Benny Bailey lebte er in der Zeit in Berlin. Nat Peck war ein langjähriger American in Paris und hatte ebenfalls schon mit allen gespielt – von Glenn Miller über Don Redman und Duke Ellington bis hin zu Quincy Jones. Billie Poole musste wegen eines Todesfalles in die USA zurück, Campi liess Boland daher ein par Arrangements für die Band schreiben, ohne Gesang… und so kam es zur ersten Scheibe der Clarke-Boland Big Band.
Der Opener ist „Box 703, Washington, DC“, eins der bekanntesten Originals von Boland und eines, dessen simples Riff-Thema sich nach ein, zweimal hören für immer festsetzt. Roger Guérin bläst ein Solo mit Dämpfer, dann folgen Boland, Humble, Persson und Shihab. Mike Hennessey zitiert in seinem Buch Gigi Campi:
Der erste Track des Albums, „Box 703, Washington, DC“, war wie eine Explosion. Ich erinnere mich, wie Ake Persson in den Kontrollraum kam, um sich das Playback anzuhören, und sagte: „Gigi, schick diese Band sechs Wochen on the road, und wir werden es allen zeigen.“ Die Stimmung unter den Musikern war unglaublich gut – jeder wusste, dass wir eine sensationelle Band hatten. Alle waren wie elektrisiert. Ich weiss noch, wie Ake nach den Aufnahmen spät in der Nacht in mein Büro kam und ich ihm ein Extrahonorar zahlen wollte. Er schüttelte den Kopf: „Nein, wir sollten jetzt nicht über Geld reden.“
Ich sagte: „Willst du damit sagen, dss du mit der Gage nicht zufrieden bist und mehr willst?“
„Nein, im Gegenteil. Ich müsste eher bezahlen für das Privileg, nach all den Jahren in einer so verdammt guten Band wie dieser spielen zu dürfen.“
Das war die Atmosphäre, die in dieser Gruppe entstand. Die Musik und das Feeling waren wichtiger als das Geld – und das war wirklich bemerkenswert, wenn man bedenkt, wie hart die Musiker manchmal darum kämpfen müssen, adäquat bezahlt zu werden.Mike Hennesey: Erinnerungen an Klook – Das Leben von Kenny Clarke, 2004, S. 223f.
Auf den grossartigen Opener folgt „The Styx“, in dem Kenny Clarke als Solist – im Wechselspiel mit der Band – im Mittelpunkt steht. Hier wird deutlich, was schon in „Box 703“ zu spüren war: Hier geht es um Musik, die gemeinsam gemacht wird. Die Solisten aus den Rängen der CBBB sind natürlich erstklassig, aber es geht immer um mehr als nur tolle Soli. Bolands Sound ist etwas ganz eigenes und besonderes, dazu kommt der grossartige Kick von Kenny Clarkes Drums – beides ist in jedem Ton dieser Band zu spüren.
Es folgt „Gloria“, das schon auf dem Blue Note Album zu hören war. Wieder ist Karl Drewo am Tenor der Solist – und er glänzt erneut mit seinem kantigen Ton und einem tollen Solo.
Die erste Seite endet mit „Los Bravos“, einem schnellen Stück, das verhalten mit einem lyrischen Trompetensolo von Guérin beginnt, in das sich die Band langsam einschaltet. Es folgt Persson an der Posaune, dann die anderen Trompeter im Dialog: Falay, Deuchar und Bailey.
Die zweite Seite öffnet mit dem Soul-Walzer „Charon’s Ferry“, einem weiteren Klassiker von Boland. Woode öffnet am Bass, dann gesellt sich Boland dazu, etwas tiefes Blech, ein leichter Beat von Clarke. Im nächsten Chorus bläst die Sax-Section das Thema, Trompeten und Posaunen liefern hohe und tiefe Fills. Humble spielt das erste Solo, langsam und funky schlängelt er sich durch die Takte. Dann folgen Shihab an der Flöte (mit Vokalisieren und Überblasen), Sims am Tenor, und einmal mehr die Trompeten im Dialog, diesmal Falay, Guérin und Deuchar – und die Band klagt dahinter. Dann folgt ein tolles Trompeten-Soli und zurück gehts zum Thema.
Es folgt das lyrische „Volutes“, in dem Boland und Peck zu hören sind. Vor allem aber ist Bolands Arrangierkunst zu hören, die cremigen Saxophone, im Wechselspiel mit den Blechsätzen, sein Piano dazu – eine sehr reiche Musik.
Den Abschluss macht James Moodys Stück „Las Train from Overbrook“. Es fehlt der unglaublich mitreissende Drang von dessen eigener Einspielung, aber die Band spielt eine überzeugende Version, Clarke kickt, die Saxophone präsentieren das Thema, aus einem Schlenker heraus startet Benny Bailey dann sein Solo. Es folgt Shihab am Barisax mit einem tollen Einstieg aus gehupten einzelnen Tönen und einer grossen Traurigkeit. Dann sind Drewo und Sims zu hören, dazwischen ein Interlude der Band. Zum Ende spielen die beiden ein paar Runden hitziger Exchanges – auch das sollte man in den kommenden Jahren immer wieder hören, besonders als Johnny Griffin, Tony Coe und Ronnie Scott in der Band waren.
Damit endet ein Album, das nur im Rückblick, im Wissen um die in den folgenden zehn Jahren erreichten musikalischen Höhen, etwas weniger denn sensationell ist. Damals war es das bestimmt! Es gab immerhin die aufregendste Big Band der Zeit zu hören (mit Respekt an Quincy… seine Band war bereits Geschichte und die Arrangements waren nicht auf dem Niveau von Boland). Zudem machte die LP klar, dass Jazz mittlerweile wirklich „universal“ geworden war, dass es europäische Musiker gab, welche die Musik in gleichem Masse beherrschten, absorbiert hatten, wie ihre amerikanischen Kollegen.
Willis Connover schrieb in seinen Liner Notes:
Today the jazz language has become a lingua franca bypassing a score of spoken tongues, not to mention sectional prejudices and national passions. One of the happier aspects of this mission is the absence of conscious proselytizing: jazz, by its very existence, drew the world to itself. The presence in the Clarke-Boland band of thirteen personalities from seven nations, playing in Germany for an Italian producer — and, now, being released for Americana by a Turkish impresario — is all the evidence anyone needs.
Die Liner Note sind hier vollständig nachzulesen – oder auch gleich hier:
Neben der ganz eigenen Sprache, die Bolands Arrangements sprechen, sind schon auf dieser ersten Scheibe die vier zentralen Pfeiler zu hören, um die die Band in der Folge aufgebaut wurde:
Da ist zuerst die Rhythmusgruppe um die Co-Leader und Jimmy Woode. Sie hat eine eigene Identität, ist erdig und pulsierend aber zugleich auch leicht und mit Bolands harmonisch avanciertem Spiel einiges spannender als die durchschnittliche Big Band Rhythmusgruppe. Darum herum baut die ganze Band auf.
Der zweite Pfeiler ist Benny Bailey an der Lead-Trompete – einer der besten Lead-Trompeter aller Zeiten und im modernen Jazz vielleicht der beste überhaupt. Und er ist zugleich auch ein toller Solist, der ganz ohne Chops-Geprotze verspielte Soli bläst.
Drittens ist da Derek Humble, der Lead-Saxophonist und stets einzige Altsaxer der Band, der nicht nur brillante Führungsarbeit leistete (bis zu seinem Tod im Februar 1971) sondern auch ein toller Solist war – ganz wie Bailey.
Die vierte Säule ist Ake Persson, der loyale Posaunist aus Schweden, der auf jeder, aber auch wirklich jeder, CBBB-Session, mit seinem Spiel beeindruckt (Hennessey zitiert auf S. 224 der Klook-Bio Nat Peck, der einmal gesagt haben soll: „Jedes Mal, wenn ich mit ihm spiele, ist es so, als ob ich ihn das erste Mal hörte. Überwältigend! Kein anderer hat mich je so inspiriert!“)
Darum gesellen sich dann die anderen Musiker, die oft ebenfalls lange Jahre mit der Band spielten, besonders Shihab aber auch Trompeter Idrees Sulieman und die Tenoristen Ronnie Scott, Johnny Griffin und Tony Coe.
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba