Re: Kenny Clarke with Francy Boland and the Bands

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Das italienische Label Rearward (es gehört zu den Edizione Ishtar) ist seit etwa zehn Jahren um Reissues der Clarke-Boland Big Band bemüht und hat letztes Jahr drei CDs (und auch LPs) herausgegeben, mit der die „Gigi Campi’s Archive Series“ gestartet wurden. Neben den tollen 1969er Live-Aufnahmen aus dem Ronnie Scott’s (ehemals zwei LPs bei MPS) und dem Album für die Queen war darunter auch eine kleine Sensation: The Golden Eight – Encore!. Auf dem Album ist dieselbe Band zu hören wie auf der Blue Note LP, aufgenommen wurden die elf Stücke ein paar Tage später, am 23. und 24. Mai, wie die meisten Clarke-Boland Sessions von Wolfgang Hirschmann in Köln.
Kellens eröffnet „You Dig It“ mit einem unbegleiteten Intro, das mit einem shake den Ton vorgibt: bluesig, erdig, direkt – ein typisches Boland-Original. Dusko bläst das erste Solo, baut ein schönes Blues-Solo auf mit einfachen Motiven und rhythmisch tollem Spiel. Es folgt Humble, flüssiger, mit cremigem Ton, dann der ruppigere Drewo, an dessen Spiel ich mich stets ein wenig gewöhnen muss, wenn ich zuvor anderes gehört habe – ein Effekt wie mit J.R. Monterose oder dem späteren CBBB-Mitglied Ronnie Scott… Kanten galore – grossartig! Die anderen Bläser spucken hintern den Solisten kurze Riffs aus, dann trommelt Clark, bevor das Thema wiederholt wird.
„Alone Together“ gehört Droz, der am unteren Ende des Althorns spielt, während Kellens im Satz unter ihm sein Bariton fast wie eine Tuba klingen lässt – die Handschrift von Boland ist wieder deutlich zu hören, und er folgt nach Droz auch als zweiter Solist, mit Läufen, die immer wieder innehalten, fast als setze er neu an, aber das Solo ist dennoch flüssig und aus einem Guss, und wieder ist da das pointiert rhythmisch Spiel. Es folgt Drewo, lyrischer aber mit demselben kantigen Ton, leider nur für wenige Takte, bevor Clarke und das Ensemble übernehmen. Dann folgt kurz Humble und wieder Clarke mit dem Ensemble (zweimal).
„But Beautiful“ ist Drewo auf den Leib geschneidert, er spielt das Thema mit grossem Einfühlungsvermögen und soliert, als hätte er alle Zeit der Welt. Dann folgt Goykovich mit harmon mute – auch hier erinnert er wieder stark an Miles, nicht bloss im Sound sondern in der Reduktion seines Spiels. Drewo folgt mit einem zweiten Solo und dem abschliessenden Thema.
Im nächsten Stück wächst die Band zum Nonett: Fats Sadi, der belgische Perkussionist (und Vibraphonist) stösst dazu. Das sollte er in den kommenden Jahren immer wieder tun, für grosse wie für kleine Besetzungen um Clarke/Boland. Der Latin Beat passt perfekt zu „Invitation“, das Boland am Piano präsentiert, bevor Dusko – wieder mit Dämpfer – das erste Solo spielt. Es folgt Humble mit einem kurzen Solo, sein Ton satt und cremig, näher bei Benny Carter als bei Charlie Parker, dann endet das Stück leider auch schon.
Woode spielt in „Autumn Leaves“ das Thema, begleitet von Klooks Besen und einzelnen Einwürfen der Band. Clarke swingt dezent aber heftig, Goykovich bläst (wieder mit Dämpfer – die Idee hatte er oder Boland bei der ersten Session anscheinend noch nicht) ein schönes Solo. Drewo folgt mit einem Solo, in dem er kantige Phrasen mit Griffin’schem Gestotter abwechselt. Dann spielt Woode ein kurzes Solo, aus dem er wieder zum Thema überleitet.
„Pape Satan Aleppe“ ist ein Boland-Original, das Kellens über einen leicht zickigen Beat von Clarke, Woode und Boland präsentiert. Er spielt auch das erste Solo, gefolgt von einem langen, rollenden Boland-Solo.
Boland steht in seinem „Free Wheel“ erneut im Zentrum, das Thema besteht aus einer raschen Piano-Phrase und Antworten der Bläser, die Bridge ist improvisiert. Die weiteren Solisten sind Humble – mit viel Begleitung der Band – und Goykovich – verspielt, leichtfüssig tänzelnd. Die Hörner shaken unter ihm, Woodes Bass rennt und spielt ein paar kurze Breaks am Ende, bevor die perlende Piano-Phrase wieder auftaucht.
„Dia Blue“ ist ein langsamere, leicht melancholisches Boland-Original mit tollen Klangfarben im Thema. Für die Soli – Goykovich und ein eindrücklicher, mitreissender Humble – wird das Tempo verdoppelt, die Rhythmusgruppe wieder durch Fats Sadi verstärkt. Am Ende kehrt nochmal das langsame Tempo zurück.
Bolands Original „Miriam Doll“ wird im Trio präsentiert. Sein Spiel kommt schön zur Geltung, da sind die eigenartigen Klangfarben, das rhythmisierte Spiel, dieses Stop-and-Go Feeling. Jimmy Woode spielt ein schönes Solo, bevor Boland das Stück beendet.
Auch „A Ball for Othello“ ist ein Boland-Original, wieder mit der vollen Band. Das Stück dauert nur etwa zweieinhalb Minuten, zählt aber zu den Highlights. Bolands Arrangement ist toll, zickig, vertrackt. Wir hören kurze Soli von Drewo und Goykovich (mit Dämpfer), Klook schaltet sich bei Dusko ein, ein Dialog entsteht, daraus dann ein Schlagzeugsolo, bevor das Thema wiederholt wird.
Zum Abschluss ist eine ganz kurze Version von „Campimania“ zu hören – in unter einer Minute wird nochmal dem grossen Organisator im Hintergrund Tribut gezollt.

Die ganze Session wirkt etwas weniger durchdacht als die erste auf dem Blue Note Album. Mehr Standards, kürzere Tracks, ähnlichere Solo-Abfolgen etc. Die Boland-Originals sind keineswegs seine besten, manches wirkt etwas unfertig, wie eine Skizze eher denn ein elaboriertes Arrangement. Dennoch ist es toll, mehr von dieser besonderen Band zu hören, deren Sound von Droz und Kellens‘ Hörnern geprägt wird.

Um die Multinationalität der Band nochmal zu betonen: schon in diesem Oktett sind sechs Nationen vertreten: die USA (Clarke, Woode), Belgien (Boland, Kellens), Jugoslawien (Goykovich), die Schweiz (Droz) und Österreich (Drewo).

Mike Hennessey zitiert in seinen Liner Notes aus seiner Klook-Biographie (die ich nur in Deutsch habe, daher zitiere ich aus den Liners, O-Ton):

Almost everything about the Clarke Boland Big Band was improbable. It was invented, nurtured, nourished, fussed over, financed, promoted and absolutely adored by a German-born Italian socialist whose qualifications for band management were that he was a trained architect and owner of a flourishing coffee bar in Cologne’s Hohestrasse. Its leaders were two musicians who competed with each other in the art of staying in the background and maintaining a low profile.

Its roster of members over the years embraced more than a dozen nationalities, half a dozen religions and a daunting assortment of egos, most of them on the large side. To bring the band together for rehearsal, record dates and concerts involved a formidable complexity of travel arrangements and much intricate juggling with the musicians‘ individual work schedule.

Despite all of this, plus the inevitable, multiple frustrations, financial Everests, outbreaks of pique, petulance and pig-headedness, and that well-known capacity of airline to deliver a bass player to Cologne and his bass to Caracas, the band not only survived for eleven years but developed into a unit of surpassing excellence, becoming an important – and genuinely significant – part of jazz history. It was by far the finest jazz orchestra ever assembled outside the United States.

And Pier Luigi ‚Gigi‘ Campi, the man who made it happen, is quite emphatic that the band simply could not have existed without Kenny Clarke. ‚We needed his magic touch,‘ he told me.

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