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Um mal irgendwie zum Thema zurück zu kommen:
Richtig grimmig hat es ja ein Kritiker nach dem Berlin-Konzert auf den Punkt gebracht, der schon an Knopflers Spielweise kein gutes Haar lässt und von „weichlichem Herumgedaddel auf sehr teuren Gitarren mit viel zu viel Hall und viel zu wenig musikalischen Ideen“ spricht:
Wenn man die garstige Polemik mal rausfiltert, bleibt als halbwegs sachlicher Kern der Kritik doch immerhin das hier:
„Unentwegt zitieren seine [Knopflers] Songs historische Stile, vom amerikanischen Blues bis zum britischen Folk – aber sie haben keine Geschichte; es gibt kein Risiko, keinen Wagemut, keine Leidenschaft, kein Begehren. […] Das ist bei Bob Dylan natürlich nicht der Fall: Bei ihm ist alles historisch – aber eben nicht historistisch. Im direkten Kontrast zu Knopflers vollversiegelten Soundoberflächen wirkte seine Musik im Konzert noch offener und rauher, noch wandlungsfähiger und am stetigen Wandel interessierter. […]
Wie ein Haufen junger Wilder stürmten Dylan und die Band immer weiter voran, bis sie im Finale – „Like A Rolling Stone“ – endgültig dort ankamen, wo jemand wie Mark Knopfler noch niemals gewesen ist: im Offenen, in der Unabgeschlossenheit der Geschichte. No direction home.“
Das ist natürlich eine Gegend, wo sich nicht jeder gleichermaßen wohlfühlt, besonders, wenn er viel Geld ausgegeben hat, und einfach mal einen „schönen Abend“ zu erleben. Hier fiel irgendwo das Stichwort „Unterhaltung“ als Aufgabe der Popmusik. Aber das ist wie in jeder anderen Kunst: Der Eine fühlt sich gut unterhalten, wenn er einfach mal „abschalten“ und sich bedienen lassen kann, der Andere langweilt sich, wenn er nicht auch ein bisschen selbst gefordert ist und erst dadurch den gewissen Kick bekommt.
Dem echten Künstler muss das egal sein, der muss kompromisslos seinen Weg gehen, und im besten Fall wird er dann auch Kundschaft finden, die ihm dabei folgt. Wenn diese Kundschaft daraus dann irgendwelche Ansprüche ableitet, darf das nicht sein Problem sein, wenn er nicht zum bloß noch reproduzierenden Dienstleister werden will.
Weil aber auch Künstler ökonomischen Zwängen unterliegen, weil es ein „Business“ gibt, in dem sie bestehen müssen, um zu überleben, ist Kunst zum Gewerbe verkommen, in dem der zahlende Kunde auf einer Lieferung besteht, die seinen Erwartungen gerecht wird. Und dann trifft er auf einen wie Dylan, den personifizierten Gegenentwurf dazu. Jemanden, der seine Songs jeden Abend vor Publikum am offenen Herzen operiert – auf einem Seil tanzend! Eine variable Sterblichkeitsrate bei den „Patienten“ ist dabei nie ganz auszuschließen, aber die, die dafür dann um so kraftvoller und strahlender denn je vom Tisch springen, in den vielbeschworenen „Sternstunden“, sind für einen geringeren Preis einfach nicht zu haben.
Das unterscheidet den reproduzierenden Künstler vom „Performing Artist“, dahinter steht ein ganz anderes Rollenverständnis, das natürlich – um den Punkt aus der bisherigen Debatte auch noch aufzugreifen – viel mit Interaktion zu tun hat, und zwar nicht nur auf der Bühne, sondern vor allem zwischen Bühne und Publikum, das wird jeder, der sich mit Improvisation beschäftigt, ob Jazzer oder Theatersportler, sofort bestätigen. Das passiert nicht unbedingt bewusst und bedarf schon gar keines verbalen Austauschs, ist aber für das Ge- oder Misslingen eines Abends von nicht zu unterschätzender Bedeutung.
Diese Art von nicht nur als „live“ behaupteter, sonder echter Lebendigkeit in einer Zeit, wo Drummer inzwischen fast schon standardmäßig „Click-tracks“ auf die „In-ears“ gespielt bekommen, damit jeder Titel an jedem Abend das exakt gleiche Tempo hat, ist ein ganz entscheidender Grund, warum es außer Bob Dylan niemanden gibt, von dem ich seit jetzt bald einem Vierteljahrhundert noch kein einziges seiner zahlreichen Konzerte in meiner Stadt versäumt habe.
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Musik ist nicht was sie ist, sondern was sie den Menschen bedeutet. (Simon Rattle)