Re: Foreststorn "Chico" Hamilton

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gypsy-tail-wind
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gypsy tail wind

Im Januar und Februar, wohl noch vor der Reise an die Ostküste, nahm die Gruppe allerdings noch ein Studio-Album auf: Chico Hamilton Quintet in Hi-Fi (PJ-1216). Es war das zweite Album, das erschien, Hamiltons drittes insgesamt.

Dieses Album ging oben im Post vergessen, bzw. ich kam nicht mehr so weit, die Aufnahmen ausführlich anzuhören, daher folgen hier als Post Scriptum zum ersten Post ein paar Anmerkungen dazu.
Die Band war mittlerweile enorm gut eingespielt und aufeinander abgestimmt, und das merkt man schon im ersten Stück, dem kurzen und schnellen „Jonalah“, das Carson Smith seiner Frau gewidmet hat. Hamilton spielt diesen stompenden aber zugleich ziselierten Swing mit viel Bass-Drum und den Besen, Collette soliert mit wunderschönem Ton an der Klarinette, unter Hall wird die Rhythmusgruppe etwas aktiver, rifft. Smith ist überhaupt jener Musiker, der oft zu kurz kommt, wenn man über diese Band liest – und das völlig zu unrecht, denn sein, fetter, warmer, tiefer Bass ist ein absolut zentraler Bestandteil des Sounds dieser Gruppe. Jim Halls „Chrissie“ ist ein verspieltes Stück, das mit klassischen Formen spielt, die Linien der Gitarre, der Flöte, des Cellos und des Basses verzahnen sich ineinandern und mit Chicos gewirbelten feinen Drums.
Auf Russ Freemans „The Wind“ ist Buddy Collettes Altsax sehr eindrücklich. Mit warmem aber feinem Ton geblasen, luftig, mit etwas Vibrato – wunderbar! Katz streicht dazu, Smith legt den Boden, Hall streut Fills ein und bietet eine Art Grundgerüst, während Hamilton fast nur mit kleine Farbtupfern ausschmückt. Katz‘ „Gone Lover“ beruht auf „When Your Lover Has Gone“ und ist ein impressionistisch angehauchtes Stück mit Collette an der Flöte und später im Latin-Teil an der Klarinette mit streckenweise dünnem Ton. Collettes „The Ghost“ ist ein Blues, der mit einem verspielten Thema versehen ist, aber für die Soli in einen swingenden 4/4 fällt. Collette soliert am Altsax, und endlich kriegt Katz hier die Chance, ein richtiges „Jazz-Solo“ zu spielen – und er weiss damit zu überzeugen!
Die zweite Hälfte des Albums wurde an zwei Tagen im Februar eingespielt und öffnet mit „Sleepy Slept Here“, das Buddy Collette dem DJ Sleepy Stein gewidmet hat, der massgeblich zum Erfolg der Band beigetragen hatte. Das Stück ist ein Swinger in Moll, Collette bläst ein entspanntes Tenorsolo, getrieben von Hamiltons drängendem Swing und unterstützt von Halls Einwürfen an der Gitarre. Auch der Standard „Taking a Chance on Love“ wird hart swingend präsentiert, Collette ist diesmal am Altsax zu hören, Hall spielt rasche, kaum verstärkte Linien, der Rhythmus besteht anfangs nur aus Schlaghölzern, bevor Hamilton beginnt (mit den Fingern?) feine Rhythmen auf der Snare zu klöppeln. Hall swingt hart in seinem Solo, Collette und Katz riffen zwischendurch hinter ihm.
In Katz‘ kurzem „The Squimp“ fasziniert besonders sein Zusammenspiel mit Hall. Die Studio-Version von „Topsy“ kommt möglicherweise fast noch besser als die Live-Version vom Vorjahr, der Swing des Quintetts ist wirklich zusammen, der Groove ist toll. Collette soliert am Tenor, erdig, entspannt, Hall klingt hier mehr nach Charlie Christian als meistens, er summt mit seinen Linien mit. Das Ende macht das kurze „Sleep“, ursprünglich ein Walzer, den die Band als 4/4-Swinger spielt. Collette ist zum Ende wieder an der Flöte zu hören, Hall spielt ein weiteres tolles Solo.

Diese Band war damit was Aufnahmen betrifft fast am Ende. Im Januar 1959 wurde das Album „Ellington Suite“ (WP-1258) eingespielt, für das die Band erneut in ihrer Ursprungsformation zusammenkam – mit dem Unterschied, dss auch der damalige Holzbläser der Gruppe, Paul Horn, mitspielte (die erste Version der „Ellington Suite“ wurde schon im August 1958 mit Eric Dolphy eingespielt, dem Nachfolger Horns… aber das ist dann bereits das dritte Kapitel in der Geschichte des Chico Hamilton Quintetts).
Eine etwas veränderte Reunion gab’s dann 1990 nochmal fürs Soul Note-Album „Reunion“: Collette, Katz und Smith fanden sich ein, sowie Halls erster Nachfolger, John Pisano.

Zudem eine erste Anmerkung zu den derzeit erhältlichen europäischen CD-Reissues (die ich nicht kenne, zur Qualität des Klanges kann ich nichts sagen, würde mir aber bei keiner der Veröffentlichungen allzu grosse Hoffnungen machen):
Fresh Sound hat The Original Chico Hamilton Quintet – Complete Studio Recordings und Live at „The Strollers“ im Angebot. Auf ersterer CD findet sich die Studio-Hälfte von PJ-1209 sowie das ganze PJ-1216, auf der Live-CD die Live-Hälfte von PJ-1209 sowie das ganze WP-1287 sowie „Stella By Starlight“ von „Ballads for Backgrounds“ (JWC-503), einem der diversen Various Artists-Alben von Pacific Jazz.
Lonehill hat zudem Complete Recordings Feat. Buddy Collette & Jim Hall im Angebot – der Titel entpuppt sich als der übliche Etikettenschwindell, auf den Lonehill sich spezialisiert hat, denn es fehlt die zweite Hälfte von PJ-1216 (die im Music Box Theater aufgenommen wurde… daraus haben die Lonehiller wohl geschlossen, dass es – weil Theater – eine Live-Aufnahme sein muss… tja…), dafür ist als Bonustrack markiert auch die Live-Hälfte von PJ-1209 sowie das Drum-Solo (als „Bark for Barksdale“, ich weiss nicht, ob wirklich der ganze Mulligan-Track zu hören ist oder nur das von Pacific Jazz als „Drums West“ extrahierte Schlagzeug-Solo). Für die MP3-Version wurde der Fehler korrigiert (#11-15 sind die zweite Hälfte von PJ-1216), dafür wurde das Drum-Solo weggelassen.
Zudem hat Avid ein 2CD-Set im Angebot, auf dem sich „Chico Hamilton Quintet Featuring Buddy Collette“ (PJ-1209) „Chico Hamilton Quintet In Hi-Fi“ (PJ-1216), „Chico Hamilton Quintet“ (PJ-1225) mit der nächsten Version der Band. Von der Session zum letzgenanntem Album fehlt „Mr. Smith Goes to Town“, ein Stück, das ursprünglich auf „Jazz West Coast, Vol. 3“ (JWC-507) erschienen war. Als Bonus enthält die CD zudem sieben der Stücke von „Chico Hamilton Trio“ (je drei von den 1953er und 1954er Session sowie eins von der 1956er Session).

Was ich dabei sehr, sehr schade finde ist, dass niemand die von Mosaic erstmals veröffentlichten weiteren Titel vom Strollers auf einen Reissue gepackt hat, denn die Stücke gefallen mir sehr, sehr gut. Gerade die beiden langen („Topsy“ und „Undecided“) erlauben es, die Gruppe in einer anderen Stimmung zu hören als üblich (in einer, in der sie live wohl immer wieder waren, aber im Studio und für Aufnahme-Sessions wohl eher selten).

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