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Am folgenden Tag nahmen Ammons und Stitt erneut auf. Das Album Boss Tenors (V-8426 – mit dem Untertiel: Straight Ahead from Chicago, August 1961) ist besser, lässt den beiden in halb so vielen Stücken viel mehr Freiraum. Die Rhythmusgruppe ist identisch mit jener vom Vortag: John Houston (p), Buster Williams (b) und George Brown (d). Creed Taylor hat produziert.
Das Album öffnet entspannt mit „There Is No Greater Love“, Ammons am Tenor, dann Stitt am Alt (was ist das schon wieder, was er da zitiert? „Tico Tico“?). Ammons‘ „The One Before This“ ist ein Thema, das mehr oder minder auf einem Ton aufbaut, mit zweiter Stimme und dem Bass als Unterstützung der eigenartigen Rhythmisierungen. Ammons legt sofort los, soliert entspannt über die swingende Rhythmusgruppe. Stitt steigt hoch und leicht ein, ein paar seiner Phrasen könnten fast von einem Altsax stammen. Es folgen Houston und Williams und dann wird das witzige Thema wiederholt.
Die erste Hälfte endet mit „Autumn Leaves“, einem Stück, das auch am Vortag für Argo aufgenommen wurde. Das Arrangement ist aber ein anderes, das Intro wird dieses Mal von Houstons Piano getragen. Williams‘ Bass ist allerdings im Thema weiterhin sehr präsent. Den Song präsentieren Stitt und Ammons in acht-taktigem Wechsel, bevor Ammons zwei Chorusse bläst, gefolgt von Stitt für die gleiche Dauer. Houston und Williams teilen sich einen Chorus und dann bringen Stitt und Ammons weider im Wechsel das Stück zu Ende.
Die zweite Seite beginnt mit dem „Blues Up and Down“, fast neun Minuten stampfender Blues, in dem Ammons und Stitt sich zuerst für ein paar ganze Chorusse abwechseln, bevor sie eine Runde fours spielen. Dann folgt Ammons mit einem langen Solo, voll von seinem charakteristischen cry. Stitt übernimmt Ammons‘ letzte Note und benutzt sie, um sein Solo zu starten (und hier gibt’s von ihm wieder einen schönen shake). Am Ende folgen weitere fours. Viel mehr Chicago-Tenor als das hier wird man kaum auf einen Schlag finden!
Das Album endet mit dem längsten Stück, Stitts fast zehnminütigem „Counter Clockwise“. Buster Williams‘ Bass ist wieder überaus stark zu hören. Wie üblich soliert Ammons zuerst, baut sein Solo langsam, Chorus für Chorus auf, spielt sich langsam aber bestimmt in einen Taumel aus Tönen. Im dritten und vierten Chorus wechselt er in double time, die Rhythmusgruppe swingt äusserst reduziert, Ammons wird von Williams‘ Bass getragen. Brown spielt dann zum Auftakt des sechsten und letzten Chorus einen langen roll. Auch Stitt spielt sechs Chorusse, auch er furios. Den double time Teil spart er sich für die letzten beiden auf. Nach Houstons und Williams Chorusssen spielen die Bosse ein paar fours.
Die Reihenfolge der Seiten wurde übrigens für die CD (und wie es scheint schon für frühere LP-Reissues, Discogs weist einen japanischen von 1979 aus) vertauscht.
In den folgenden Monaten nahm Stitt nichts auf, erst im (bzw. ab) Februar 1962 folgte wieder eine ganze Menge. Zuerst ist da das zweite Verve-Album mit Ammons: Boss Tenors in Orbit (V-8468). Stitts reguläre working band bestand inzwischen aus dem Organisten Don Patterson, dem Gitarristen Paul Weeden und dem Drummer Billy James. Mit ihnen sollte in den kommenden zehn Jahren viele Male aufnehmen, und sie sind es auch, die als Begleit-Band der boss tenors fungieren.
Bill Kirchner holt in seinen Liner Notes zum CD-Reissue in der Verve Master Edition (2002) etwas aus, schildert die Geschichte der tenor battle im Jazz (auf Tondokumenten erhaltene Meilensteine sind etwa „The Chase“ von Wardell Gray und Dexter Gordon sowie „The Duel“ von Gordon und Teddy Edwrds, beide von 1947) und geht im besonderen auf die Geschichte von Stitt und Ammons ein:
… 1950, when Ammons and Stitt became dueling partners in a working group. By that time, both were seasoned veterans. Ammons, the son of the famed boogie-woogie pianist Albert Ammons, had been recording as a leader with his own Chicago-based groups since 1947, and he had spent much of 1949 on the road with Woody Herman’s „Four Brothers“ band. He had also made some two-tenor recordings with fellow Chicagoan Tom Archia. Stitt had become one of the foremost bebop altoists – regarded as just a notch below Charlie Parker – but had also embraced the tenor (and, occasionally, the baritone). He had recorded in small groups with leading bebopperss as trumpeters Dizzy Gillespie and Fats Navarro and pianist Bud Powell.
Pianist Junior Mance, who had been working with Ammons’s group since 1947, recalls: „Sonny was stranded without a gig in Chicago, and he used to sit in with us all the time in a little joint called the Congo Lounge on the South Side. So they played together a hell of a lot before they ever recorded.“ Ammons and Stitt made their first recordings in March 1950 in new York for the Prestige label; the session produced their first hit, „Blues Up and Down.“ In April, they returned to a New York studio with a four-horns-and-rhythm septet and recorded a blues called „Gravy.“ That tune later became much better known as „Walkin‘,“ with Ammons’s manager credited as composer; it was a staple in the repertoire of Miles Davis and many others. However, Mance states unequivocally that the piece was composed by the veteran composer-arranger Jimmy Mundy, who was writing for the Ammons septet.
„I stayed at his house with him [Mundy] and his wife,“ says Mance, „and we talked a lot about music, and he wrote this thing called ‚Gravy.‘ He wrote the original tune, the melody; I was there when he was doing it. That’s the last time I noticed it was ‚Gravy‘; next time it came out ‚Walkin“ with Richard Carpenter’s name on it.“ No one is sure why or how this happened.
Ammons and Stitt spent much of the next two years touring and recording, with both the septet and a quintet. „They were completely different, but a compatible contrast,“ Mance relates. „The way they structured their solos, and the sound especially. Sonny was more into Bird [Charlie Parker]; that was his mentor. Jug? It was hard to say who his mentor was; there was a lot of Lester Young in him.“~ Bill Kirchner (October 2000): „Reissuing Gene Ammons & Sonny Stitt: Boss Tenors in Orbit“, Liner Notes, Universal/Verve CD 2002.
Das Album beginnt ruhig mit einem Orgel-Intro, das in „Long Ago and Far Away“ fürht, einen Jerome Kern-Song (mit Text von Ira Gershwin), den Ammons mit seiner unendlichen Gelassenheit präsentiert. Paul Weeden streut ein paar Licks ein, Stitt übernimmt dann für die zweiten acht Takte, und in diesem Rhythmus geht’s weiter. Ammons öffnet den zweiten Chorus in double time, die Rhythmusgruppe deutet das raschere Tempo aber nur ganz fein an. Stitt folgt, spielt schnelle Läufe, aber über den rubato-artigen Gitarren-Akkorden von Weeden bleibt die Stimmung sehr getragen und balladesk. Ammons kommt zurück und da ist dieser cry in seiner Stimme – acht äusserst intensive Takte.
Es folgt Walkin‘, das Stück das eben nicht von dicky Rick stammt sondern vom grossen Jimmy Mundy. Stitt spielt im Thema Altsax, soliert aber nach Ammons‘ erstem Solo auf dem Tenor. Weeden soliert, gefolgt von Patterson, und das Ensemble bringt das Stück zu Ende.
Die erste Seite endet dann mit „Why Was I Born?“, das etwas gar schnell angegangen wird – eher als entspannter Swinger denn als Ballade. Stitt präsentiert die ersten sechzehn Takte vom Thema auf dem Altsax (mit ein paar growls), während Ammons ihm antwortet. Dann werden die Rollen getauscht, aber Ammons übernimmt die fills auch selber noch und so ergibt sich streckenweise ein kollektiver Dialog der beiden. Dann soliert Patterson für zwei Chorusse, mit geschmackvoll-zurückhaltendem Sound gelingt es ihm, die Stimmung des Stückes trotz rascher Läufe aufrecht zu erhalten. Weedens Begleitung ist toll, James weiss genau, wie viel es leiden mag – man merkt dem Trio schon hier an, wie gut es aufeinander abgestimmt ist! Ammons und Stitt folgen mit ebenfalls je zwei Chorussen, beide aufmerksam von Weeden begleitet. Das Thema am Ende bestreiten Ammons und Stitt wieder zusammen, jeder von ihnen kriegt nochmal ein paar Takte für sich, bevor ein Riff das Stück zum Ende bringt.
Die zweite Seite enthält zwei längere Stücke, zuerst den alten civil war Song „John Brown’s Body“. Pattersons Orgel öffnet, bevor die Tenöre die eingängige Melodie spielen. Ammons soliert für vier Chorusse, Stitt folgt mit deren fünf. Dann kehrt Ammons zurück, um eine Reihe von acht-tatktigen, dann vier-taktigen und am Ende zwei-taktigen Wechseln mit Stitt zu spielen. Auch am Ende des Themas folgt nochmal ein kurzer Dialog, dieses Mal beginnt Stitt.
Den Abschluss macht das zehnminütige „Bye Bye Blackbird“. Stitt spielt die ersten acht Takte, dann folgt Ammons, wieder Stitt, bevor Ammons die letzten acht Takte und im Anschluss das erste Solo spielt. Stitt folgt, dann gibt’s eine weitere lange Reihe von exchanges bis ganz zum Ende. Ein würdiger Abschluss für das wohl schönste der vier Reunion-Alben von 1961/62 (eins sollte noch folgen).
Schön übrigens, wie das Temperament der beiden Co-Leader auch auf dem Cover-Photo (von Pompeo Posar, der vor allem für seine Playboy-Aufnahmen bekannt geworden ist) rüberkommt: Stitt ist der schlanke, elegante, der sich zurücklehnt aber stets auf dem Sprung ist, Ammonst ist jener, der sich breitbeinig mit beiden Füssen fest auf dem Boden voran in den Kampf wirft, strotzend vor Zuversicht.
Die beiden Verve-Alben wurden später auch auf der Twofer-LP Prime Cuts wieder aufgelegt.
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