Re: Sonny Stitt

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gypsy-tail-wind
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Mein Post über At the D.J. Lounge hat sich soeben in Luft aufgelöst… in Kürze einiges davon nochmal…

Zuerst ein paar Fragezeichen zur Jazz Beat CD („Move on Over… The Eddie Buster Sides“): warum sind die Stücke (gemäss den Liner Notes) derart durcheinander? In Joe Segals Notes für „Move on Over“ heisst es, „Shut the Back Door“ sie der Opener von Seite 2 der LP, er steht aber am Ende auf der Jazz Beat CD. Beim zweiten Album „At the D.J. Lounge“ ist das durcheinander noch viel grösser. Es beginnt mit der Ballade „I’m in the Mood for Love“ (Stitt am Alt, grossartig!) statt mit „McKie’s“, Am Ende sind zudem „Jay Tee“ (es stand gemäss Jack Tracys Liners an drittletzter Stelle, direkt vor „I’m in the Mood…“) und der ursprüngliche Closer „Free Chicken“ vertauscht.

Zudem heisst es im Booklet – das ist mir erst heute aufgefallen – dass aus Zeitgründen Boards Solo in „Free Chicken“ (#13 der CD) gekürzt werden musste. WTF? Die CD dauert bloss 79:28, da wäre noch einiger Platz gewesen! Oder sind Rohlinge mit Platz für 82 Minuten für Piratenlabel nicht zugänglich? Zudem hat man im besten Stück des zweiten enthaltenen Albums gekürzt!

Das Album gefällt mir, ist eher unauffällig aber gerade dadurch irgendwie direkt und ehrlich. Board spielte einige Zeit bei Lionel Hampton und darauf beschränkt sich auch fast schon seine Diskographie – und man kann nicht unbedingt sagen, dass er seinen Platz im Rampenlicht neben Stitt optimal nutzt. Nicht, dass er schlecht spielen würde, gar nicht. Bloss ist das hier irgendwie Musik, die einfach da ist, die nicht schreierisch um Aufmerksamkeit heischt. Gegen Ende – mit „Free Chicken“ und dem schnellen „Jay Tee“ – legt das Album deutlich zu.
Ich kann meine Gedankengänge ohne alles nochmal zu hören schwer rekonstruieren, aber irgendwie drängte sich mir unterwegs mal der Vergleich zum Blue Note-Album von Clifford Jordan und John Gilmore auf – das ist auch einfach so da, völlig unspektakulär, vielleicht sogar eine Spur langweilig, wenn man nicht genau aufpasst und/oder die tiefe Tradition dieses Tenorspiels kennt und schätzt.
Jack Tracy schreibt am Ende seiner Liner Notes (eine Box-Metapher, die er zuvor macht, wieder aufgreifend):

The set-capper, Free Chicken, develops into a furiously stormy get-together, as Board’s solo triggers a bristling bunch of exchanges and hard rights that leaves the audience limp.
It is the finishing touch to an album that almost physically drags you into an old-fashioned blowing session between two tenor saxophonists who know what it’s all about and who do not hesitate to jump into some deep musical waters to prove it. You’ll dig.

Mir gefällt das Album insgesamt wohl etwas besser als „Move on Over“, auch wenn – wie redbeans schon schrieb – Nicky Hill bestimmt die spannendste Stimme ist. Das Album mit Board (der viel ausgiebiger zu hören ist) ist aber bedeutend ausgeglichener und irgendwie wirkt auch Stitt entspannter – vielleicht weil er Hill doch als grössere Gefahr wahrnahm?.

Mein Schnelldurchgang durch Stitts Argo-Aufnahmen (es bleiben mir noch einige zu Entdecken) endet mit zwei halben Alben, die auf der schon erwähnten Compilation How High the Moon (oben das europäische, unten das US-Cover) zu finden sind.

Mit Zoot Sims verband Stitt wohl mehr als mit den meisten anderen weissen Tenorsaxer aus der Brothers-Schule. Über den gemeinsamen Bezugspunkt Lester Young hinaus war Sims wie Stitt ein enorm swingender Musiker, der Ideen gleich im Dutzend aus dem Ärmel schütteln konnte. Sims scheint zudem eine ähnliche Art Hunger zu haben, wie Stitt. Auch er schreitet in seiner Musik stetig voran, ohne an mögliche Gefahren oder Hindernisse zu denken – mit unglaublicher Konstanz und einem Rhythmusgefühl, das wohl ähnlich solide war wie jenes von Stitt.

Im Januar 1965 nahmen die beiden das Cadet-Album Inter-Action auf, von dem vier Stücke auf dem obigen Sampler zu hören sind: „Fools Rush In (Where Angels Fear to Tread)“, „Lonesome Road“ sowie zwei Stitt-Originals: „Katea“ und das über einem Shuffle präsentierte „I Want to Go Home“, ein echter Ohrwurm, in dem Stitt und Sims sich in Sachen swagger zu übertrumpfen suchen. Begleitet werden die beiden von John Young, dem wohl bedeutendsten Hardbop-Pianisten der Chicagoer-Szene (vertraut etwa von den grossartigen Nessa-Alben von Von Freeman – mehr zu ihm hier), Sam Kidd am Bass und Phil Thomas am Schlagzeug (ihn kenne ich noch von Lorez Alexandrias „For Swingers Only“, auch ein Chicago-Album, ebenfalls mit Young am Piano).

Bobby Buster, der Organist von My Main Man (1964), war der Bruder von Eddie – gibt’s über die beiden irgendwo was im Netz? Das hier legt jedenfalls nahe, dass beide schon eine Weile tot sind. Neben Stitt ist Bennie Green in der Frontline zu hören – er war im Jahr darauf nochmal an Stitts Seite zu hören (auf „Pow!“, einem Prestige-Album mit traditioneller Rhythmusgruppe). Joe Diorio ist für die eleganten Gitarrenklänge zuständig – ja, Bacharach passt… ich konnte die vier Tracks hier früher wegen dem Sound nicht ausstehen… ist auch jetzt noch verdächtig smooth, aber macht Spass! Am Schlagzeug sitzt ein Dorel Anderson, produziert hat Esmond Edwards (auch bei „Inter-Action“). Die vier Stücke auf der Compilation sind „Flame and Frost“ (angeblich von Edwards), „The Night Has a Thousand Eyes“, „Our Day Will Come“ und „My Main“ (letzteres von Stitt und Green gemeinsam komponiert).
Greens altmodisch-grosser Sound und seine robuste delivery lassen ihn im Hochglanz-Bossa-Sound von „Flame and Frost“ was als noble savage scheinen… vor ihm bläst Stitt ein auffällig relaxtes Solo, das so viele Pausen und Luft hat wie kaum ein Stitt-Solo, nach Green folgen Diorio und Buster mit eleganten kurzen Soli. Das Highlight ist aber klar das Solo von Green!
Auch „The Night Has a Thousand Eyes“ wird mit sanften Orgel- und Gitarrensounds über einen sparsam geklöppelten und tief im Mix gehaltenen Beat gespielt. Green ist weniger rauh, Stitt wie auf all den vier enthaltenen Stücken am Tenor. In „Our Day Will Come“ (wieder Weichspühler-Bossa-Beat) zieht Buster ein paar mehr Register seiner Orgel, aber erneut ist es fast nur Greens Posaune, die hier einen lebendigen Eindruck macht, mitten in all diesen production values. Das vierte Stück war zugleich das Titelstück des Albums, „My Main Man“. Endlich ein Blues… wieder ist Greens Solo das Highlight, Stitt wählt den Platz am Ende und spielt ein langsam konstruiertes Solo. Für mich das schönste von den vier Stücken.

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