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Sonny Side Up wurde am 19. Dezember 1957 in New York eingespielt. Mit Dizzy und den beiden Sonnys waren erneut die Brüder Ray und Tommy Bryant sowie Charl Persip. Die Scheibe ist durch und durch ein Klassiker. Wir hören Dizzy auf der Höhe seines Könnens, neben ihm zwei der hungrigsten Tenorsaxer der Zeit, den alten Gefährten Sonny Stitt sowie den jüngeren aber schon unglaublich reifen Sonny Rollins. Die resultierende Musik ist ein Fest für die Sinne, ein Vergnügen, dem ich mich endlos hingeben könnte!
Zum Auftakt hören wir „On the Sunny Side of the Street“, einen alten Favoriten von Dizzy. Rollins öffnet mit einem fantastischen Solo, das sich Armstrong quasi einverleibt und darüber hinaus geht. Man kann seine typische motivische Improvisation (darüber werd ich im Rollins-Thread mal was schreiben) hören. Dann folgt Gillespie, verspielt, in hohen Lagen mit Dämpfer. Stitts Solo scheint stark von Rollins geprägt – das wundert nicht weiter, denn Stitt war einer, der den anderen immer zuhörte und genau begriff, was sie spielten. Zum Abschluss folgt Gillespies vocal mit Begleitung der Saxophone. Ein sehr entspannter Opener (den ich mir jetzt grad viermal nacheinander angehört habe).
Es folgt das vierzehnminütige „The Eternal Triangle“ von Stitt – und damit die grosse tenor battle. Rollins soliert wieder zuerst und es ist schlicht umwerfend, ihm zu Lauschen! Das hier war seine allerbeste Zeit! Stitt folgt (bei 2:55), sein Sound ist schlanker, seine Phrasierung ebenmässiger. Ab 6:21 beginnt dann das richtige Feuerwerk, die exchanges von Rollins und Stitt. Schliesslich folgt Gillespie mit seinem Solo und es fällt ihm nicht schwer, mit den Sonnys mitzuhalten. Es folgt Ray Bryant, nochmal Dizzy und zu guter letzt Persip.
Auf „After Hours“, einem fetten Blues mit 12/8-Beat kriegt endlich Ray Bryant Raum. Avery Parrish hatte das Stück mit Erskine Hawkins gespielt und es wurde auch bei den jungen Boppern beliebt. Dizzy soliert als nächster, gefolgt von Rollins und Stitt. Die ganze Reihe von Soli ist exzellent, aber am besten gefällt mir wieder Rollins. Am Ende steht wieder Bryant im Mittelpunkt.
Das Stück dauert zwölf Minuten und kehrt damit quasi die Struktur von Seite A um: am Anfang und am Ende des Albums stehen zwei kürzere Stücke, in der Mitte zwei lange.
Den Abschluss macht der Standard „I Know That You Know“. Wie schon der Opener ist auch das ein Stück, das schon Jahrzehnte lang von Jazzern gespielt wurde. Jimmie Noone und Earl Hines haben es 1928 gespielt. Rollins soliert als erster – über stop time, und der seinem Spiel innewohnende starke Beat wird sehr deutlich. Es folgt Dizzy, der einmal mehr zeigt, was er alles drauf hatte – einige seiner rhythmischen Figuren sind schwer zu glauben, erst recht nicht bei diesem halsbrecherischen Tempo! Den Abschluss macht Sonny Stitt mit einem flüssigen Solo, dem man aber – so bilde ich mir ein – erneut die Präsenz Rollins‘ anhört, vor allem in der Tonbildung.
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Und weil er hier hinpasst (zu den Alben mit anderen Saxern) und gut geschrieben ist, hol ich redbeans‘ Post mal auszugsweise doch noch hier rüber:
redbeansandriceSonny Stitt in Chicago
In diesem Post drei Alben, jeweils Begegnungen von Sonny Stitt mit Chicagoer Saxophonisten, Johnny Board, Nicky Hill und Bunky Green.
Sonny Stitt at the D.J. Lounge
June 1961
Sonny Stitt (as, ts), Johnny Board (ts), Eddie Buster (org), Joe Shelton (d)Move on Over
June 7 1963
Sonny Stitt (as, ts), Nicky Hill (as,ts), Joe Diorio (g), Eddie Buster (org), Gerald Donovan (d) [nicht ganz das Originalcover, ich weiß…]Soul in the night
April 15 1966
Bunky Green, Sonny Stitt (as), Bryce Roberson (g), Odell Brown (org), Maurice White (d)Sonny Stitts Position in der Jazz-Geschichte ist ein bißchen unglücklich. Als Charlie Parker in den vierziger Jahren die Sprache des Jazz grunderneuerte war Stitt einer der ersten, die ihm folgten, auf Aufnahmen aus den vierziger Jahren ist Stitt in der Tat vielleicht der einzige Altsaxophonist, den man ernsthaft mit Parkler verwechseln kann – und darauf wird er oft reduziert, viel mehr als dutzende Parker Schüler, die in den fünfziger Jahren folgten und die Parker in mancher Hinsicht durchaus näher waren. Dass Stitt neben Dexter Gordon und Wardell Gray als Tenorsaxophonist zu den einflussreichsten Musikern in der Generation vor Sonny Rollins zählte wird manchmal noch im Vorbeigehen erwähnt, ein wichtiger Einfluss unter anderem auf John Coltrane. Als sich Ende der fünfziger Jahre die Ästhetik des Jazz änderte, Miles Davis, John Coltrane, Bill Evans die atmosphärischen Meisterwerke schufen, die heute vielleicht als die zentralen Errungenschaften des Jazz gelten, machte Stitt nicht mit: Im wesentlichen soll jedes einzelne von Stitts (ca 150) Alben nur eine Sache beweisen, nämlich dass Sonny Stitt der verdammt nochmal beste Saxophonist der Welt ist. Viele seiner Alben, unter anderem die drei hier vorgestellten, sind Zusammentreffen mit anderen Saxophonisten – nicht deshalb weil zwei Saxophone nebeneinander so lieblich klingen, sondern weil ein Meister am klarsten zu erkennen ist, wenn neben ihm ein kompetenter Handwerker versagt. Diese sportliche Einstellung zu seiner Musik ist vielleicht zunächst befremdlich, implizit erwartet man von einem Bandleader, dass er sich darum kümmert, dass alles auf seinen Alben, in seinen Konzerten perfekt klingt; nicht dass er zum Beispiel bewusst Material auswählt, dem die Mitmusiker nicht gewachsen sind. Insofern ist es vielleicht hilfreich sich ins Gedächtnis zu rufen, dass Saxophonbattles eine lange Tradition im Jazz haben, dass die Jam Session Ästhetik, die ihre Wurzeln zum Beispiel im Kansas City Swing hatte, erst mit dem Hard Bop so richtig verdrängt wurde… und man könnte sicherlich versuchen zu behaupten, dass genau an diesem Wendepunkt Ende der fünfziger Jahre der Jazz seinen Rückhalt in der Black Community verloren hat (und nicht mit den Revolutionen von Bebop und Free Jazz), oder man könnte versuchen eine Brücke zur Hip Hop Kultur zu schlagen – aber für beides fehlen mir Zeit und wissen. (Und die Wahrheit ist sicherlich ein gutes Stück komplexer. Sehr unterhaltsam dieser Artikel von 1958, in dem sich Stitt über seine Kollegen Cannonball Adderley und Paul Desmond, die damals die meisten Umfragen anführten, äußert – man nennt das wohl Signifying. Interessant auch, dass Adderley volle Kanne mitmacht; und dass Adderleys Bandleader Miles Davis meint, John Coltrane sei der wahre Erbe Charlie Parkers…)
Auf dem Boden der Tatsachen lässt sich jedenfalls feststellen, dass Stitt in den fünfziger und sechziger Jahre eine feste Größe auf den Seiten der afroamerikanischen Illustrierten JET war, während John Coltrane dort vor seinem Tod kaum erwähnt wurde (Archivsuche, sehr zu empfehlen!). Und dass in McKie’s DJ Lounge, dem Club des Disc Jockey’s McKie Fitzhugh, in dem das erste hier vorgestellte Album aufgenommen wurde regelmäßig Saxophonbattles mit den local heroes begleitet von Eddie Buster und seiner Combo stattfanden, auch wenn die Meister dieses Formats, Sonny Stitt und Gene Ammons nicht in der Stadt waren. Anzeigen aus dem Chicago Defender 1959/1960, von der Website der Red Saunders Foundation:
Stitt selbst hat (glaube ich), nicht in Chicago gelebt, aber er war so viel dort, dass George Lewis ihn in einem AACM Buch als Teil der Chicagoer Hard Bop Szene auffasst; Steve Coleman erwähnt, dass Stitt so viel in Chicago war, dass Coleman ihn anfangs für einen Einheimischen hielt (dass er aber Leute in Detroit kennt, die den gleichen Eindruck hatten). Als Anschaungsmaterial bevor es richtig losgeht hier noch ein kleiner Auszug aus dem betreffenden, sehr guten, langen Coleman Interview, in dem er sich an seine Frühzeit Ende der siebziger Jahre in Chicago erinnert:
I’ll tell you one story I saw with him [Stitt]. There was a saxophone player in Chicago, Guido Sinclair. […] this guy had certain keys that he could play in, like really, really fluently. He had these certain little phrases and things like that. He kept his fingers really close to the keys, it looked like his fingers weren’t moving. One time I saw him with Stitt. Here the guy was whipping all over the place. Stitt was kind of a gladiator kind of guy. So they were playing, and this guy was whipping all over the place, so Stitt saw what was happening and he analyzed the situation. And the next tune he just called off something that he knew the guy couldn’t play on. He didn’t even know the guy real good but he could tell, he knew just by listening to the way the guy played that he wouldn’t be able to handle this. So he called off a tune which was a normal tune but he started off real quickly in a key that he knew the guy couldn’t deal with. The guy fell out of his place, all of a sudden all the speed and everything came to a complete stop. And Stitt was still able to do all the Stitt shit.[..]
Jetzt zu den drei Alben… vorneweg muss ich sagen, dass ich in der Sprache des Bop nicht so bewandert bin, dass ich sagen könnte, wer hier wo nach Punkten gewonnen hat – ganz so übel abgezogen wie Sinclair im obigen Zitat wird aber keiner der drei Partner.
1) At the DJ Lounge, live eben dort aufgenommen, ist vermutlich das unspektakulärste der drei Alben. Stitts Opponent hier, Johnny Board, hat sonst so weit ich sehen kann, keinen Modern Jazz aufgenommmen und ist weitgehend vergessen. Damals war er aber lokal immerhin so bekannt, dass JET als Boards Vater und Mutter starben, eine Notiz für seine Leser abdruckte. Board war lange in Lionel Hamptons Band, spielte bei BB King, Bobby Blue Bland… steht aber ganz eindeutig in der Chicagoer Tenorsaxophontradition, blöd gesagt, ein etwas langsamerer, bluesigerer Johnny Griffin, der sich von dem flinkeren Stitt nicht beirren lässt. Es ist kein Fehler, dass dieses Album auf keiner Bestenliste des Jazz zu finden ist, aber es ist ein wunderbar solides, authentisches, bluesiges Dokument seiner Ära.
2) Move on Over. Nicky Hill steht sehr weit oben auf der Liste der Names to drop, wenn man sich als Insider des Chicagoer Jazz ausgeben will. Er hat nicht viel aufgenommen, neben diesem Album vor allem als Sideman von Ira Sullivan, und verstarb weniger Wochen nach den Aufnahmen. (George Lewis illustriert in seinem Buch mit Hill, die Drogenprobleme, der damaligen Zeit…) Hill, der hier vorwiegend Altsaxophon spielt, ist ein deutlich interessanterer Solist als Board, so ein leicht quäkiger Sound, der an Von Freeman erinnert, dazu schnelle kurze Phrasen und ein gewisser Mut zur Hässlichkeit, der ihn möglicherweise vage als Pionier des Free Jazz ausweist. Mich packt er von den Saxophonisten, die auf disen Alben zu hören sind eindeutig am meisten. Stitt erhöht die Vergleichbarkeit, indem er sich als leichtfüßigen Altsaxophonisten präsentiert und nicht wie gegen Board als robuster Tenorsaxophonist – aber ich würde ihn hier nicht als Gewinner sehen, Hill überschreitet eindeutig Grenzen, an die sich Stitt nicht heranwagt, Mut zur Hässlichkeit ist im Hard Bop ohnehin relativ rar… Begleitband ist wieder Eddie Busters Band, was vage darauf hindeutet, dass sich auch dieses (Studio)-Album aus einem Battle in der DJ Lounge entwickelt hat. Am Schlagzeug sitzt Gerald Donovan der unter seinem neuen Namen Ajaramu bis heute Mitglied der AACM ist. Außerdem ist der virtuose Gitarrist Joe Diorio in die Band gekommen, ein absolut interessanter Musiker, ich krieg in nicht ganz gefasst, so elegant wie er spielt, sagt immer eine Stimme in meinem Hinterkopf „Burt Bacharach“, wenn er ins Zentrum rückt. Vielleicht ein ganz kleines bißchen ein Fremdkörper in der Band, aber ein guter. Hill kommt erst auf der zweiten Seite dazu, die erste Seite der LP ist im Quartet aufgenommen.
Im Kontrast zu Hill und auf dem nächsten Album Bunky Green vielleicht noch ein Wort zu Sonny Stitt als Kopie von Charlie Parker. Dass er von den Phrasen her nah bei Parker ist, keine Frage, auch beim Ton kann ich das bis zu einem gewissen Grad einsehen… Aber irgendwie, um es blumig zu sagen, so wie Charlie Parker „der Gejagte“ genannt worden ist (Cortazar), so höre ich Stitt viel mehr als Jäger – die Geschwindigkeit mag die gleiche sein, aber Stitt bewegt sich viel raumgreifender, er wirkt nicht gehetzt, bei ihm ist die Geschwindigkeit viel mehr eine Demonstration von Stärke… in dieser Hinsicht höre ich Hill und Bunky Green fast näher bei Parker als Stitt…
3) Soul in the Night. Während die Eddie Buster Combo auf den ersten beiden Alben ein grundsolides, unaufdringliches jazziges Orgeltrio im Stile von Jimmy Smith ist (vom sonderbaren Sixties-mäßigen Joe Diorio mal abgesehen), gehört dieses Album ganz eindeutig zur nächsten Generation von Orgelalben, die deutlicherer Funk und Soul Einflüsse aufweisen. Der Organist Odell Brown, der damals mit seiner Band den Organizers auch einige eigene Alben aufnahm, arbeitete später auch für Curtis Mayfield und Marvin Gaye, der Schlagzeuger Maurice White gründete Earth, Wind and Fire – das sagt wohl schon einiges… Der Altsaxophonist Bunky Green ist in den letzten Jahren wieder zunehmend aktiver auf der Jazz Szene, auch in Europa, 1960 war er nach Chicago gekommen, eine weitere interessante Übergangsfigur, zum Teil, grad vom Ton her, ganz klar ein Parker Schüler, aber doch mit deutlichen Einschlägen von John Coltrane in seinem Spiel. Mir ist die Rhythmusgruppe insgesamt ein bißchen starr, man könnte fast meinen, die Bläser seien ein Overdub, aber das rückt den Fokus umso mehr auf das Nebeneinander von Stitt und Green, die Schlagabtausche sind hier vielleicht am direktesten und intensivsten – wo gibt es das schon, ein Stück, das direkt mit Fours beginnt, an Stelle der Soli, die üblicherweise vorangehen… und Greens energisches Spiel sorgt dafür, dass auch bei Stitt ordentlich die Funken fliegen…
At the DJ Lounge und Move on Over sind kürzlich zusammen auf CD erschienen („Move on Over. The Eddie Buster Sides“. Auch Soul in the Night ist auf einem Twofer wieder erschienen, den man hier hören kann (ab Track 8, Stitt auf dem linken Kanal, Green auf dem rechten); das erste Album auf dem Twofer ist ein Treffen mit dem Posaunisten Bennie Green, das einen gewissen Eindruck vom stilistischen Unterschied zwischen Soul in the Night und den beiden anderen Alben geben kann. Auch in Chicago aufgenommen, sitzt dort Eddies Bruder Bobby Buster an der Orgel, auch Joe Diorio ist dabei.
[…]
Korrektur: Erstens ist Ajaramu 2006 verstorben, und zweitens war schon Gerold (oder Jerol) Donovan sein erster Künstlername. Ursprünglich hieß er Joe Shelton – die Schlagzeuger auf den beiden Alben mit Eddie Buster sind also die selbe Person…
JPG-technisch weiteres im nächsten Post…
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@alex: überdacht hab ich eigentlich nichts… es gibt gewisse Stitt-Scheiben, die ich immer lieben werden (Tune Up, Constellation, die Quartett-Sessions mit Bud Powell, Sonny Side Up). Nicht jeder Musiker, über den ich mal die Nase rümpfen mag, ist deswegen schlecht. Und ebensowenig ist jeder Musiker, dessen Musik ich schätze, ein absoluter Gigant oder so… mein Stitt-Bild bleibt jedenfalls zwiespältig, auch wenn sich doch in den Jahren erstaunlich viel von seiner Musik angesammelt hat und ich sie immer wieder gern höre.
Mein Einstieg war übrigens (vor wohl fast 20 Jahren) die Doppel-CD „Constellation“ vom englischen Label Camden (da gab’s eine ganze Reihe mit Muse-Aufnahmen, sehr billig verpackt aber soweit ich weiss sauber lizenziert und in manchen Fällen – wie auch hier – aus vollständigen Alben bestehend). Darauf finden sich vier Alben (drei von 1975 und eins von 1980) mit Barry Harris, zwei davon im Quartett mit Sam Jones und Leroy Williams („My Buddy“) bzw. Billy Higgins („Blues for Duke“), eins mit Jimmy Heath, Richard Davis und Roy Haynes („Mellow“) und eins mit Ricky Ford, George Duvivier und Williams („Sonny’s Back“ von 1980). Kann ich empfehlen!
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba