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Sonny Stitt war ein gieriger Musiker – manchmal habe ich fast Angst, dass er nicht nur die changes frisst sondern mich gleich mit! In den späten 50ern hat er nicht nur für Verve und Roost (zu den Alben komme ich später mal, hab das Mosaic bisher erst einmal durchgehört) sondern auch für Argo aufgenommen, das feine Label aus Chicago, das bis heute zu wenig bekannt ist. Es gehörte wohl öfter neben Blue Note, Riverside oder Prestige genannt, wenngleich die Gründe, warum dem nicht so ist, auch recht schnell klar werden. Die Produktionen wurden ungleich weniger sorgfältig verpackt, die Liner Notes wirken oft etwas lieblos (und sind nicht selten anonym). Sonny Stitt war allerdings gar nicht wählerisch und seine Argo-Alben zählen zu den allerschönsten. Die ersten beiden entstanden im Quartett um 1958 und besonders das 1958er „Burnin'“ wird gerne als eins der besten Stitt-Alben genannt.
Das erste hiess schlicht Sonny Stitt und stammt von ca. 1957/58, man kennt die Rhythmugruppe nicht, Lord gibt dieselbe an wie für „Burnin'“: Barry Harris (p), William Austin (b), Frank Gant (d). Fresh Sound hat sie zusammen auf einem Twofer vorgelegt. Burnin‘ wurde 1958 eingespielt (gemäss Lord am 1. August), das Album beginnt mit „Ko-Ko“ und später folgen „Lover Man“ und „How High the Moon“. Schon auf dem ersten Album war mit „Cool Blues“ ein Parker-Opener zu hören. Sonst unterscheiden sich die Alben nicht speziell von den anderen jener Zeit, bis auf die gute Form, in der Stitt sich offensichtlich befindet, und auf Barry Harris‘ einfühlsame Begleitung.
In Barbara Gardners Liner Notes zu „Burnin'“ wird Stitt übrigens mit folgender Aussage zitiert:
„Let’s face it, jazz has been here before ragtime began and people can’t do without music – it’s food. It’s food for the musician and food for the people.“ He aligns himself firmly with the jazz musicians of the middle west and the east coast tradition.
„The boys on the east coast are more like men when they play,“ he says. „Not that the west coast fellows don’t know what they’re doing, because they do. They play all the right notes, but the feeling doesn’t seem to be there – something seems to be missing.
„I think jazz is supposed to be warm, not hot all the time, but warm, not cool. It’s supposed to have a little kick to it, a little pop of finger.“ After reflecting a moment, he qualified his stand.
„I won’t venture to say all west coast jazz is bad. it depends on the man and not the climate he comes from.“
Die Einschränkung der Aussage ist auch bitter nötig, denn grad der elegante Lou Levy (ein aus Chicago an die Westküste umgezogener Jude), war in jenen Jahren vielleicht der Pianist, der am meisten Funk in eine Begleitband von Stitt brachte!
Dan Morgenstern schreibt in den Liner Notes für die CD-Compilation „Sonny Stitt & Friends – How High the Moon“ (sie enthält je ca. die Hälfte von drei Argo-Alben: Burnin‘, Inter-Action, My Main Man):
Stitt’s relationship with Charlie Parker was complex. When the younger man first came into view as an alto player, it was as Bird’s replacement in Dizzy Gillespie’s group – a fact that threw into bold relief his kinship with the master. (I clearly recall hearing Stitt’s solo on Dizzy’s recording of „That’s Earl, Brother,“ on Symphony Sid’s radio program, and finding it hard to believe that it wasn’t Bird.) Stitt often claimed that he’d arrived at his conception independently of Parker, but trumpeter Willie Cook, who knew him early in his career, has provided an interesting perspective on the matter. Stating that Stitt was the first to make him listen to Parker on a juke box (saying, „This is going to be the man“), Cook notes that Stitt at that time „played like Johnny Hodges when he was drinking and Benny Carter when he wasn’t. He was good at both of them.“ He adds that „Sonny was very intelligent, and he was always fast, even when he was just a kid. He could analyse and dissect chords. He knew what everybody was doing when they played. (These remarks are from the chapter on Cook in Stanley Dance’s book, The World of Duke Ellington.)
Stitt has claimed that after hearing Parker on the first records he made, with Jay McShann’s band, he was determined to meet him, and sought him out when passing through Kansas City with Tiny Bradshaw’s band. He reports that they met and has a quick noon-time session together, after which Bird told him, „You sound like me.“ This tale, however, may be taken more as wish fulfillment than as reality, largely because by the time Stitt was on the road with Bradshaw, Parker had already left Kansas City.
More credible is what Sonny told Great Britain‘ Melody Maker – that he first heard Parker live in 1943 in Washington, D.C., and that „he was electrifying.“ Stitt then went on to define his relationship to the master in very cogent fashion: „No one is a successor to Bird because he was out there by himself – if a fellow has a style on the order of the artist he idolizes, and he can use his own ideas, then he can build something out of it.“ This was in 1959, and comes as close as anything I’ve read or heard from Stitt on this question to an admission that he did „idolize“ Parker and had not independently arrived at a similar place.
As amazingly close as Stitt could come to Parker in terms of sound (perhaps a bit edgier), speed (as fast, and more accurate in hitting each note in the sound-stream clearly on the head – though more mechanical and less maniacal) and vocabulary (he spoke Bird fluently, like a native), there always was a fundamental difference, originality aside. Stitt thought in bar-length phrases and always remained a symmetrical improviser, while Parker darted across bar-lines and where a phrase might land was never at all predictable.~ Dan Morgenstern
Morgenstern bringt hier so ziemlich alles auf den Punkt, zitiert mehr (es werden immer dieselben drei, vier Stories um Stitt erzählt!) und ausführlicher als die meisten, und er beurteilt Stitt als ganzes sehr fair und wohlwollend. Ich vermute, mit dem obigen Auszug ist so ziemlich alles relevante zum Thema Bird/Stitt gesagt.
Stitt hat recht selten mit grösseren Ensembles aufgenommen und in den wenigen Fällen stand er mit seinem Saxophon im Zentrum der Aufmerksamkeit. So ähnlich war es auch am 16. Februar 1959, als Stitt in Hollywood ins Studio ging, um 10 Arrangements von Jimmy Giuffre aufzunehmen. Dieser war auf der Hälfte der Stücke auch als Tenorist zugegen, sonst bestand die Band nur aus Blechbläsern – Jack Shelton & Lee Katzman (t), Frank Rosolino (tb), Al Pollen (tuba) – und einer Rhythmusgruppe: Jimmy Rowles (p), Buddy Clark (b) und Larance Marable (d).
Die Musik ist enorm reizvoll und ist möglicherweise meine liebste und den Ensemble-Sessions von Stitt (und das, obwohl Stitt hier nur Altsax spielt!). Giuffres Musik ist etwas unterkühlt und sehr raffiniert gesetzt, Stitts heisses Sax bietet einen tollen Kontrast und das ganze kriegt eine sehr eigene Stimmung. Die Band swingt zudem ebensosehr wie Stitt. Drei spontane Blues-Nummern scheinen on the spot konzipiert worden zu sein: „Down Country“, „Uptown“ und „Downtown“, alle werden Stitt und Giuffre gemeinsam zugeschrieben und Giuffre ist auf allen dreien am Tenor zu hören, auf dem er irgendwo zwischen Lester Young und R&B changiert. Giuffre spielt zudem auch auf „Laura“ Tenor im Ensemble.
„Laura“ ist eines der grossen Highlights des Albums – Stitt bläst ein wunderbares Solo, das Arrangement ist frisch und lässt das Stück etwas düsterer klingen als üblich. Sehr toll finde ich ebenfalls den enorm flüssigen Opener, Giuffres „New York Blues“, in dem das Ensemble und Stitt aufs schönste zusammenfinden. Es gelingt in dieser Besetzung sogar, einem abgedroschenen Stück wie „Singing in the Rain“ neue Seiten abzugewinnen. Stitts Ton im a capella (über etwas Drums von Marable) Intro ist singend, schlank, dann setzt leicht träge das Ensemble ein, scheint ihn etwas zurückzubinden, bevor ein sparsames Intermezzo von Marable das neue, etwas schnellere Tempo ankündigt und Stitt entspannt soliert.
In den Blues-Jams (ohne die Bläser) wird der Kontrast zwischen Stitts treibend-zupackendem Alt und Giuffres relaxtem Tenor deutlich. „Down Country“ lebt vom fortwährenden Dialog der beiden. Dasselbe gilt für „Uptown“, in dem aber auch Stitt zum Tenor greift – und obwohl Giuffre wie Stitt ihre Wurzeln am Tenor vor allem in Lester Young haben, wird deutlich, wie sehr sie sich unterscheiden. Giuffre ist relaxt und locker, luftig, während Stitt rhythmisch treibend spielt, ohne sich umzuschauen vorwärtsprescht. „Downtown“ scheint noch ein spontan geschriebenes Stück zu sein, aber dieses Mal sind die Bläser dabei (und Giuffre, falls er überhaupt spielt, nur Teil des Ensembles… denke aber eher, da liegt das CD-Booklet falsch… es gibt das Album übrigens bei Fresh Sound und mit einem Roost-Album als Bonus auch bei American Jazz Classics, einem der zahlreichen wie-Pilze-aus-dem-Boden-Label – ich hab letztere, war aber nur Zufall, das Roost-Album ist ja eh schon im Mosaic enthalten). In „Downtown“ setzt die Rhythmusgruppe manchmal aus oder spielt kurz stop time, während die Bläser unter Stitt Linien legen – gibt einen tollen Kontrast und ist sehr gelungen (und falls es denn wirklich spontan entworfen wurde sehr eindrücklich).
Giuffre schrieb zudem kurze Liner Notes zum Album:
In order to catch a few of the many thousand of notes and ideas that go sailing by during a Sonny Stitt solo, some sort of broad and solid backdrop was needed. The combination of two trumpets, trombone and tuba, plus rhythm section, is just that. The tuba was kept very low usually. This provided a wide range against which Sonny’s many-noted, full volumed, flashing, complex style can be heard and seen clearly.
The emphasis was put squarely on Sonny. He states the themes and carries the bulk of the solo work. The brass is under, on top, and all around him, while the rhythm section was put to work matching his excitement and drive.
In order to spark and not impede Sonny’s spontaneity, soloists were used in the brass and rhythm sections throughout.
The complete album was recorded in one long session (with breaks). This made for a lessening of tension and allowed the musicians to „get to know“ each other musically and personally.
Being a saxophonist myself, I may have a more personal view, but – without seeming too melodramatic – I would like to urge all saxophonists and anyone else to „gather ‚round“ and listen to a man make a „piece of metal“ talk.
~ Jimmy Giuffre
Don DeMichaels Review im Down Beat begann mit dem Satz: „Place a sparkling diamond on soft, black velvet, and the diamond’s beauty shines all the brighter“. Und genau das gelingt Giuffre hier sehr effektvoll. Für mich eins der überraschendsten (ich kenne es erst seit ein paar Monaten, hab’s aber schon über ein halbes Dutzend Mal gehört) und schönsten Alben von Stitt!
An grösseren Sessions kommen mir aus den frühen Jahren Stitts neben „Top Brass“, das ich wie gesagt nicht annähernd so gut finde (trotz Dameron und Mundy) noch die Roost-Sessions mit Johnny Richards bzw. Quincy Jones in den Sinn.
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