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gypsy tail wind… Es ist nun mal so – nicht nur im Free Jazz oder der europäischen Avantgarde – dass Instrumente seit geraumer Zeit auch auf Weisen gespielt werden, wie das wohl nie geplant war. Diese freiwillige Selbstbeschränkung geht mir einfach nicht in den Kopf – … Man kann das Rad der Zeit nicht zurückdrehen – man kann nur Museum spielen. …
Genau das ist diese „Free Jazz“-Ideologie! Es gibt in der Musik kein „Rad der Zeit“. Wenn sich ein paar Leute einbilden, es sei nun „zeitgemäß“, Saxofone verkehrtherum zu blasen, und sie seien die „Avantgarde“ („Vorreiter“) und alle anderen wären im Museum, dann passiert – gar nichts: Bis auf ein paar Unerschrockene hört sich das niemand an, die Musiker können nicht von ihrer Musik leben, werden verbittert und reden noch mehr davon, wie unverstanden sie sind und wie schlecht die Welt doch ist. Punkt. – Es gibt keinen Fortschritt in der Musik, in der Kunst oder sonst in irgendwelchen Bereichen des menschlichen Empfindens. Wenn etwas kreischt, dann kreischt es. Man kann sich das anhören, so oft man will: Es kreischt. Okay man kann in der Musik auch andere Sachen finden als einen guten Klang, als Groove, clevere Linien usw.: z.B. einen Ausdruck von Protest, von wilder Energie, Urgewalt, von „Aufmüpfigkeit“, von spiritueller Vereinigung usw.. – Wenn jemand das mag und es ihm egal ist, dass es dabei keine Musik im engeren Sinn (Groove; ansprechende, clevere Melodien; Wechselspiel von harmonischer Spannung und Lösung; wohltuende Klänge usw.) gibt: kein Einwand, ist seine Sache. Aber ich find mich damit nicht ab und find es absolut nicht gut, wenn man Jazz als eine so verhungerte „moderne Kunst“ darstellt – wie diese europäische „Moderrne“, von der seit 100 Jahren niemand etwas wissen will. Die Jazz-Fans sind in den früheren Zeiten genau von diesem verkopften, lustfernen europäischen Mist zum Jazz geflohen und fanden diese sinnliche Kraft des Jazz einfach umwerfend. Und jetzt biegen die ach so Fortschrittlichen die ganze Sache wieder zurück in diese europäische Sackgasse (Brötzmann ist von der „Fluxus“-Bewegung beeinflusst; sagt doch alles). – Man sehe sich doch bloß dieses YouTube-Video mit den Washboard-Serenaders an: Das ist dreimal so „modern“ wie dieses gequälte Gejammere!
(also noch einmal: http://www.youtube.com/watch?v=ig9rs5-hMeY&feature=related)
Jimmy Lyons: Ja, den mochte ich immer von der ganzen Taylor-Musik am meisten. Und viel später verstand ich warum: Weil ich Charlie Parker schon mochte, bevor ich ihn kannte! Natürlich kommt keiner an Parker heran. Das ist ja das Problem: Die Meister waren jeweils so perfekt, dass nachfolgende Generationen neue Bereiche finden müssen, um etwas Eigenständiges zu machen. So kommen sie zwangsläufig in extremere Bereiche. Sie gewinnen damit neue Möglichkeiten, aber sie verlieren auch: die Klarheit, das Ansprechende, das „Menschliche“, die Verständlichkeit, die Brillanz und so weiter. Jeder Gewinn muss bezahlt werden!
gypsy tail wind… Es braucht unter Umständen sehr viel Zeit und Geduld, um die Finessen der freieren Musiker und ihrer Stimmen zu hören, gerade bei Brötzmann kann ich mir gut vorstellen, dass manche schon bei der ersten Begegnung mit der Oberfläche seiner Musik scheitern und das Interesse verlieren (und auch das ist völlig in Ordnung so).…
Das ist dieses Versprechen der „Modernen Kunst“, das nie eingelöst wurde – seit 100 Jahren nicht. Miles Davis hat es im Zusammenhang mit einer Archie-Shepp-Platte auf den Punkt gebracht: „Die Leute lassen sich so leicht etwas vormachen … weil sie meinen, es wäre nicht hip, das nicht gut zu finden. Aber wenn sich etwas scheußlich anhört, Mann, dann sollte ein Mensch genug Respekt vor seinem eigenen Verstand haben und SAGEN, dass es sich nicht gut anhört. Mir gefällt das nicht und ich werde mir diese Aufnahme nicht länger anhören. Das kann man sich so lange anhören, wie man will, das wird nie besser klingen. Und so was finden die Leute gut – besonders die Weißen. Die fahren doch auf alles ab, was so lächerlich klingt wie das da.“ — eben wegen diesem „Moderne Kunst“-Verständnis, das man uns eingeredet hat!
gypsy tail wind… Brötzmann pflegt eine eigene Klangkultur.…
Ja, er pflegt die „Klangkultur“ eines „Berserkers“, eines „Teutonen“ – so ist er sogar in „Free Jazz“-Kreisen international kritisiert worden.
gypsy tail wind… bei allen vertrackten Beats klingt Colemans Musik für mich rhythmisch eben doch sehr flach, glatt – ja, clever mag sie sein …
Bei dieser Musik braucht man einen Sinn für komplexe Grooves.
gypsy tail wind… Anzug … Sonnenbrille …
Steve Coleman hat damit absolut NULL am Hut.
gypsy tail wind… das Paradebeispiel des europäischen Jazzers, der sich ab ca. 1964 endgültig vom US-Jazz emanzipiert hat …
Es gibt für mich keinen „US-Jazz“, wohl aber eine Armstrong-Parker-Coltrane-Tradition und die liebe ich. Und wenn jemand meint, er müsse sich von dieser Tradition „emanzipieren“ (als wäre er von ihr versklavt worden), dann meinetwegen. Es hat für mich keinen Wert, wenn Leute den Jazz erst einmal kaputt-spielen, dann etwas anderes machen und das dann als den neuen Jazz verkaufen. Wenn sie zum Jazz etwas Wertvolles beizutragen gehabt hätten, hätten sie es ja tun können. Das haben sie nicht und darum interessieren mich diese Experimente auch nicht.
Die heimische Szene redet den Jazz-Fans seit Jahrzehnten ein, es wäre cool, sich ebenfalls von den bösen Amerikanern zu „emanzipieren“ und sich ihren Markt-Interessen anzuschließen. Ich will Jazz hören und nicht irgendein free-jazziges „Aufbrechen“ von alten deutschen Liedern, Opern usw., irgendwelche „Fluxus“-Geschichten oder diesen fern-östlichen Exotik-Kitsch.
gypsy tail wind… dass alle Zugänge okay sind, kommt aus deinen Posts sowas von gar nicht raus …
Eh nicht. Man wird doch wohl noch einmal echt frei protestieren dürfen!
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