Re: Peter Brötzmann

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gypsy-tail-wind
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FefWegen dem Blues: Mir ging es nicht um den Blues, sondern um das Weinen. Um das feinere Feeling. Allerdings steh ich absolut nicht auf dieses ganze „lyrische“ und sentimentale Zeug.

Klar, Du bist ja auch einer der letzten wirklich zähen Kerle.

FefUnd irgendwelches Zersägen, Kreischen und „Aufbrechen“ ist schon sehr lange keine Ausrede mehr dafür, dass ihm keine ordentliche Linie einfällt. Deshalb weil sich einer gut dabei fühlt, wenn er sich „frei“ ausdrückt, muss das noch lange nicht für mich als Hörer gut klingen oder interessant sein.

Der zweite Satz stimmt natürlich vollkommen, der erste ist aber arg kurz gegriffen. Es ist nun mal so – nicht nur im Free Jazz oder der europäischen Avantgarde – dass Instrumente seit geraumer Zeit auch auf Weisen gespielt werden, wie das wohl nie geplant war. Diese freiwillige Selbstbeschränkung geht mir einfach nicht in den Kopf – man kann wohl eine Spielweise finden, in der man auf diverse Dinge verzichtet, aber einfach von vornherein jegliche nicht-konventionelle, nicht-klassische Erzeugung von Tönen abzulehnen ist einfach blöd, entschuldigung. Man kann das Rad der Zeit nicht zurückdrehen – man kann nur Museum spielen.
Abgesehen davon gibt’s genügend Leute aus dem Free Jazz, die eine ausgesprochene Ton-Kultur pflegen, spontan würd ich da mal Jimmy Lyons (ach ja: Parker war wohl viel freier, ja?), Thomas Borgmann oder Frank Lowe nennen. Und auch Brötzmann würd ich da keineswegs ausschliessen. Dass Ayler tiefe Wurzeln hatte würdest wohl nicht mal Du ernsthaft bestreiten… dass Brötzmann diese nicht hat, geschenkt – aber sein Ton ist sehr reich, wenn man denn mal hinhören mag – und ich denke letzten Endes lässt er sich über Ayler irgendwie bis zu Coleman Hawkins zurückverfolgen.

FefDie beherrschen das Instrument, haben einen klaren, geschmeidigen Klang. Die Jazz-Tradition hat eine vielfältige hohe Kunst des „guten Klingens“ hervorgebracht. Wenn einer scheiße klang, konnte er sofort einpacken. Brötzmann hat auch das (wohl ganz bewusst) „kaputt-gespielt“. Wem die Klang-Kultur des Jazz nicht ans Herz gewachsen ist, dem geht bei Brötzmann wohl nichts ab.

Siehe oben – oder nochmal: Brötzmann pflegt eine eigene Klangkultur. Wenn man mit der nichts anfangen kann, dann ist das so. Aber das einfach in Abrede zu stellen zeugt von Ignoranz oder Arroganz.
Es braucht unter Umständen sehr viel Zeit und Geduld, um die Finessen der freieren Musiker und ihrer Stimmen zu hören, gerade bei Brötzmann kann ich mir gut vorstellen, dass manche schon bei der ersten Begegnung mit der Oberfläche seiner Musik scheitern und das Interesse verlieren (und auch das ist völlig in Ordnung so).

FefVon Rollins bis Mangelsdorff sagt jeder: Das Wichtigste im Jazz ist Rhythmus. Brötzmann ist lahm, als würde der Kaiser mit wehendem Bart in der Kutsche vorfahren. Die Rhythmus-Gruppe macht im „Free Jazz“ oft ein Mords-Getöse, aber kein Hörer spürt irgendeine gute Bewegung in den Knochen. So hat Jazz sonst nie funktioniert. Wenn sich da nichts tut, ist bei mir sofort Tote-Hose. Darum stehe ich auf Steve Coleman. Wenn man davon ausgeht, dass Jazz zuallererst einmal Rhythmus ist, und mitkriegt, wie extrem kunstvoll der Rhythmus bei Coleman läuft (verdammt komplex und verdammt groovy), dann ist das einfach nichts Gewöhnliches.

Entschuldige, aber bei allen vertrackten Beats klingt Colemans Musik für mich rhythmisch eben doch sehr flach, glatt – ja, clever mag sie sein, er mag ein unglaublich cooler Hund sein… ich kenne ja bekanntlich nicht sehr viel von ihm, habe ein wenig Interesse, das dereinst zu ändern… aber an sich sind mir die Leute lieber, die sich einen Dreck drum scheren, ob der Anzug gut sitzt und die Sonnenbrille zur Farbe der Schuhe passt… was mich interessiert ist die Musik. Da mag einer wie ein Penner daherkommen, wenn die Musik stimmt ist das sowas von egal. Die leeren Possen interessieren mich nicht (und das Macho-Gehabe vieler Jazzer stösst mich erst recht ab).

Da Du Mangelsdorff nennst: er konnte ja mit Brötzmann… und er ist für mich das Paradebeispiel des europäischen Jazzers, der sich ab ca. 1964 endgültig vom US-Jazz emanzipiert hat und mit seinem Quintett eine völlig eigene Musik geschaffen hat, sei das nun mit Bezügen auf europäische oder asiatische Folklore oder einfach nur mit einer tollen Band und vielen einzigartigen musikalischen Ideen.

FefEs gibt eine Menge verschiedener Zugänge zur Musik. Alle sind okay. Meiner sieht halt so aus und darum ist diese Preisverleihung an Brötzmann komplett daneben.

Nein, wenn alle okay sind ist eben diese Preisverleihung nicht komplett daneben sondern müsste für Dich nicht zwar nachvollziehbar sein, allerdings ohne dass Du Dich darüber freuen kannst. Genau das, dass alle Zugänge okay sind, kommt aus deinen Posts sowas von gar nicht raus.

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