Re: Stan Getz

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Den Sommer 1953 verbrachte Getz mit seiner Gruppe an der Westküste, trat länger im Zardi’s am Hollywood Boulevard auf. Über sieben Wochen arbeitete die Band – jetzt mit Teddy Kotick am Bass und Rückkehrer Frank Isola an den Drums – an ihrem Sound, gab sich den letzten schliff. Im Zardi’s entstand auch das Photo, das auf dem ersten Album zu sehen ist.

BB: Soon after I started in the quintet, in mid-1953,
we were at Zardi’s in Los
Angeles. Stanley said something to me on the bandstand that sounded like the word “ape.” I gruffly called him off the bandstand, and we went in the back. I was angry. I asked him what he had called me. He said, “I called you bubbala.” I was hot and asked him what that word meant. He said, “Calm down, calm down. It’s OK. It’s a Jewish word. It’s friendly.”

JW: What was Getz’s reaction?
BB: Stanley was sort of surprised and amused that his kid trombone player wanted to beat him up. He asked the piano player, “Does Brookmeyer’s parents have money? To behave like that, I can’t imagine he needs this job.”

JW: How did you and Getz get along after that?
BB: Stanley liked me a lot. He thought I was intelligent,
musical, funny. So we never had a problem again. When
Stanley and I were playing in Los Angeles in 1953, we used to go across the park from the Tiffany Lounge to hear Gerry [Mulligan] and Chet [Baker] at the Haig. That was one of the greatest bands I had ever heard. The records give you only a small hint of what was going on there. When you heard that band live, in person, it was a whole different perspective. The sound was so fresh.

aus Marc Myers Interview mit Bob Brookmeyer

Am 27. Juli holte Norman Granz die Gruppe erstmals ins Studio, um das gewachsene Repertoire zu dokumentieren. Es folgten Sessions am 15. und am 22. August; insgesamt wurden fünfzehn Titel eingespielt, erstmals ging es für Getz um die Produktion einer LP und nicht einiger Singles – es war entsprechend mehr Raum für Improvisationen längerer Dauer. Die Gruppe swingt erneut fröhlich und selbstbewusst, Kotick sorgt für einen etwas stärkeren Beat, während Isola zurückhaltender agiert, beides gibt Williams mehr Raum für sein erdiges Piano. Getz klingt sicher und sein Ton hat diesen seidigen aber leicht matten Glanz, der perfekt mit Brookmeyers rauherem aber lyrischem Posaunenspiel passt.

Auf Interpretations by the Stan Getz Quintet spielt Getz die Standards „Spring Is Here“, „Love and the Weather“, „Crazy Rhythm“ und „The Nearness of You“ sowie Ann Ronells „Willow Weep for Me“ und Johnny Mandels „Pot Luck“. Selbst Ronells Klassiker klingt in der Version dieser Band unbeschwerter als sonst, die Gruppe swingt überhaupt zupackend, gerade in den schnelleren Tempi wie in „Crazy Rhythm“, in dem Isola etwas mehr antreibt als sonst. Getz‘ Soli sind voll von wundervollen Momenten, im einen Moment honkt er beinahe, im nächsten spielt er eine wundersam verbogene und phrasierte Linie, die jedes Herz zum Schmelzen bringt. Das Zusammenspiel mit Brookmeyer ist dichter geworden, die beiden begleiten sich hie und da und spielen Fours ohne Drummer, überhaupt ist die Musik der Band hörbar zusammengewachsen.

Auf Interpretations #2 sind nur vier Stücke zu hören: Brookmeyer „Minor Blues“ und drei weitere Standards, „Fascinatin‘ Rhythm“, „I Didn’t Know What Time It Was“ (im Hip-O-Set als „I Don’t Know…“ angegeben) und „Tangerine“. Die längeren Stücke sind noch besser, Brookmeyer steuert exzellente Soli bei, besonders in „I Didn’t Know What Time It Was“. Die Band wirkt gesetzter, ruhiger, der Beat ist klarer in diesen längeren Stücken aus den August-Sessions.

Zwei letzte Stücke vom Juli fanden auf Interpretations by the Stan Getz Quintet #3 Unterschlupf: Ellingtons „It Don’t Mean a Thing“ und der „Varsity Drag“. Ellingtons Klassiker scheint Getz besonders wichtig gewesen zu sein: er nahm auch in der einen August-Session noch eine Version auf, die noch härter swingt, leider aber ausserhalb des Hip-O-Select 3CD-Sets bisher nie zu hören war.

Norman Granz schrieb in seinen Liner Notes zum ersten „Interpretations“-Album folgendes:

It is a truism that it is impossible to separate an artist and his playing hours from the man in his non-playing hours. How the artist represents or conducts himself, his attitude towards society about him and to life in general, are all reflected in his artistry. This is particularly true about Getz. He has a good deal of the schooled and finished musician about him, and that can be seen and heard in the execution of his instrument and in the flow of his musical ideas. Yet, there is something equally immature and undeveloped in the poignancy of his playing, in his tone, in his very „sound“. he literally, in many things, cries, and in that I think he reflects not only himself and his own feelings, but sometimes, society as a whole. Thus, when his playing lacks a certain vigor, it’s not because of the lack of musical ability, but rather the weakness of the man, and this, curiously, gives him a different sound and makes him different from his fellow artists in jazz. Jazz, after all, is one of the arts where the interpreter mirrors his own inner feelings and in a sense comments on his relationship to the world around him. You may not like what he has to say, or even how he says it, but I think you will find that Stan Getz’s comments on life are interesting in any event.

Ein solches Statement muss 1953 ziemlich aufsehenerregend gewesen sein – Liner Notes waren eine noch junge Erscheinung und gerade Granz‘ Alben enthielten oft nur kurze, generische Texte, die nicht unterzeichnet waren.
Man mag darüber streiten, ob Granz‘ Aussagen in jedem Fall zutreffend sind oder nicht, im Fall des frühen (und späten!) Stan Getz halte ich sie jedenfalls für schwierig von der Hand zu weisen.

Die Worte Granz‘ sollten sich schon Ende 1953 in gewissem Sinne bewahrheiten. Getz kriegte im September keine Gigs mehr und löste die Band auf. Er war zwar weiterhin musikalisch aktiv, spielte mit Stan Kentons Band und nahm für Granz mit Dizzy Gillespie auf (eine weitere Version von „It Don’t Mean a Thing“ entstand). Im Dezember begann Getz‘ Welt zu zerfallen. Er wurde in seinem Mietshaus in Laurel Canyon wegen Heroingebrauchs verhaftet, ein paar Wochen später dasselbe in Seattle. Die berühmte Story, wie er beim Versuch, seine Sucht – cold turkey – loszuwerden, verzweifelt eine Apotheke zu überfallen versuchte. Er schluckte dann eine Handvoll Barbiturate in einem halbherzigen Selbstmordversuch. Das Bild des desorientierten jungen Getz auf dem Rücksitz des Streifenwagens erschien in der Tagespresse, Getz‘ Geheimnis war keines mehr, seine Drogenabhängigkeit gehörte fortan so sehr zu seinem Image wie sein schöner Ton.

Norman Granz stand allerdings treu hinter Getz, unterstützte seine Frau finanziell (Getz hatte 1946 geheiratet, sein drittes Kind kam 1954 zur Welt, ein Geschoss tiefer im Los Angeles County-USC Medical Center als Getz ein paar Monate später eine seiner Strafen absass. Im Januar, zwischen zwei Arrest-Strafen, nahm Granz rasch eine Quartett-Session mit Getz auf. An seiner Seite fanden sich die lokale Grösse Jimmy Rowles, Bob Whitlock (der frühere Bassist des Mulligan Quartetts) sowie Max Roach, der auch bei der Gillespie/Getz-Session einen Monat zuvor mitgewirkt hatte. Die vier kurzen Standards erschienen allesamt auf 78 rpm Singles, man merkt der Musik nicht im geringsten an, in was für einer schwierigen Zeit Getz steckte. Im Hip-O 3CD-Set finden sich zudem zuvor unveröffentlichte Alternate Takes von „I Hadn’t Anyone ‚Til You“ (dessen Master erschein auch auf der oben abgebildeten LP „Tenor Saxes“) und „Nobody Else But Me“. Der Master von „Nobody Else“ und „Down By the Sycamore Tree“ erschienen später auch auf Stan Getz & The Cool Sounds, das vierte aufgenommen Stück, die A-Seite zu „Nobody Else“, war „With the Wind and the Rain in Your Hair“, ein selten gehörter Standard von Jack Lauwrence.

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