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Hörbericht #4
Ballads & Blues (Atlantic, 1956) – das Album ist wie gesagt bis auf das Stück „Hello“, die kürzeste Nummer der ersten Session mit Lucky Thompson (siehe Bericht #3 oben) komplett in der Properbox „Bags of Soul“ zu hören. Die restlichen beiden Sessions (Line-Ups auch s.o.) sind leider nicht besonders toll. Die Bläser-Arrangements von Ralph Burns sind dekorativ, Jackson ist aber das einzige, was für die drei ruhigen Stücke spricht. Die letzte Session ist wieder interessanter. Larance Marable spielt schon im ersten Stück, „The Song Is Ended“ einen feinen Swing mit Besen, Jackson dankt es und swingt ganz enorm. Barney Kessel und Percy Heath begleiten aufmerksam, die Abwesenheit des Pianos lässt Jackson viel Raum, und auch Kessel kann etwas dichter begleiten als dies Gitarristen üblicherweise tun, wenn auch ein Piano dabei ist – die Musik klingt jedenfalls sehr transparent. **** (*** für die Burns-Session, ****1/2 für die Thompson Session, s.o.)
Plenty, Plenty Soul (Atlantic, 1957) – aufgenommen Anfang Januar 1957 und wohl die Grosstat unter Jacksons Atlantics (die ich noch nicht alle kenne, aber wie „Ballads & Blues“ handelt es sich bei den meisten um Konzeptalben… mein Vater hat noch eine davon als LP, muss mal schauen, ob’s allenfalls sogar „Ballads and Blues“ ist und ich mir davon „Hello“ holen könnte).
Hier jedoch geht’s zur Sache: Seite A ist mit einem Nonett eingespielt worden, in erstklassiger Besetzung: Joe Newman, Jimmy Cleveland, Cannonball Adderley, Frank Foster, Sahib Shihab, Horace Silver, Percy Heath und Art Blakey. Shihab gehört das erste Solo im öffnenden Titeltrack, einem Blues. Es folgt eine lange Reihe schöner Soli, zuerst Jimmy Cleveland, damals neben J.J. Johnson wohl der tollste moderne Posaunensolist. Frank Foster mag überraschen, aber er war in Basies New Testament-Band immer einer derjenigen Musiker, die ganz klare Anleihen zum Hardbop machten. Sein Ton ist wunderbar. Jackson soliert mittendrin, wird von Riffs der Bläser und Blakeys tollem Getrommel begleitet. Blakey übrigens sorgt dafür, dass hier für einmal ein absolutes Hardbop-Feeling aufkommt. Joe Newman ist zwar bestimmt kein Hardbopper, aber er hat sehr oft in R&B-Settings gespielt und fügt sich hervorragend ein, sein Ton ist elegant aber mit viel Biss. Cannonball glänzt mit einem quecksilbrigen Solo voller doubletime Läufe.
„Boogity Boogity“ ist ein Quincy Jones Original – Quincy hat die Session auch arrangiert. Das Tempo ist schnell, die Soli kurz, Blakey begleitet zurückhaltend aber aufmerksam. Das Stück ist mir eine Spur zu cute, aber die Soli sind toll. Die Session endet mit Jacksons Ballade „Heartstrings“ – wunerschön!
Die zweite Hälfte des Albums entstand im Sextet und einmal mehr mit Lucky Thompson. Die anderen Musiker sind Joe Newman, Horace Silver, Oscar Pettiford und Connie Kay. Als Opener hören wir Cannonball Adderleys Ohrwurm „Sermonette“, Pettifords flexibler, menschlicher Bass ist sofort klar zu spüren, Kay hält den Beat leicht, Jackson spielt über diese sparsame Begleitung ein tolles Solo, gefolgt von Thompson – eindrücklich wie immer in jener Zeit. Newman folgt mit Dämpfer und spielt ein karges, schönes Solo. Silver spielt ein kurzes Solo, bevor das catchy Thema zurückkehrt.
Jacksons „The Spirit-Feel“ ist ein schneller Blues, Connie dreht ziemlich auf, die kurzen Soli sind von Newman, Silver, Thompson (sparsam begleitet, Silver setzt anfangs aus), und zum Abschluss Jackson. Es folgt „Ignunt Oil“, ein weiteres Original von Bags und wie schon „Sermonette“ eine Nummer mit Gospel-Anklängen. Das Thema ist hübsch um Bags arrangiert, der auch das erste Solo spielt, gefolgt von einer Reihe relaxter Soli der anderen. Zum Abschluss dieses fast nur aus Blues bestehenden Albums hören wir Quincy Jones‘ „Blues at Twilight“, einen langsamen Blues, den Horace Silver über Pettifords Bass eröffnet. Es folgen Soli von Jackson (voll in seinem Element), Joe Newman (mit Dämpfer), und dann mittendrin ein schönes Solo von Pettiford. Zum Abschluss folgen noch Thompson und Silver und mit diesem schönen Stück endet leider auch schon ein wunderbares Album. ****1/2
Soul Brothers (Atlantic, 1957) – Im Dezember 1957 nahm Ray Charles eine seiner Soul Jazz Sessions auf. Mit Billy Mitchell (ts), Skeeter Best (g), Oscar Pettiford (b) und Connie Kay (d) sowie Co-Leader Milt Jackson hatte er eine exzellente Band an seiner Seite. Charles selbst spielte auch Altsax (auf „How Long Blues“, „Soul Brothers“ und „Bag’s Guitar Blues“), Jackson begleitete Charles derweil am Piano und wechselte, wie der Name schon sagt, für „Bag’s Guitar Blues“ an die Gitarre. Sechs der Tracks machten das Album „Soul Brothers“ aus und eines („Bags of Blues“) wurde fürs zweite Charles/Jackson-Album aufgespaart. Zwei weitere Stücke der Session entstanden ohne Jackson, Mitchell und Best, sie landeten auf Charles‘ „The Genius After Hours“ (dessen Titelstück sowie „Charlesville“)
Die Musik ist sehr entspannt, in Leroy Carrs langsam gespieltem „How Long Blues“ hören wir nach Charles‘ tollem Piano-Intro schöne Soli von Jackson, Mitchell, Best, Charles (as – Jackson begleitet ihn am Piano) und Pettiford. Charles‘ Altsolo ist emotional, direkt – pass perfekt zu seinem Gesang und überhaupt seiner musikalischen Persönlichkeit. Den Ausklang macht wieder Charles am Piano, völlig unbegleitet.
In „Cosmic Ray“ geht’s schnörkellos und direkt zur Sache, Billy Mitchell zeigt sich als ideale Besetzung für die Session, sein Stil ist nicht sehr weit von Sonny Rollins entfernt, aber er bläst einfachere Linien. Auch Connie Kay kriegt hier ein kurzes Solo, spielt mit eigenartig gestimmten Toms… die Glanzpunkte stammen aber von Milt Jackson, der unwiderstehlich swingt. An dieser Stelle folgten in der Session die beiden Stücke ohne Bags und Mitchell für „The Genius After Hours“.
Weiter geht’s dann mit „Bags of Blues“, einem Blues, der über eine prägnante Basslinie von Pettiford mit leicht schleppendem Beat gespielt wird. Dieses Stück landete auf dem zweiten Album, „Soul Meeting“. „Deed I Do“ ist zur Abwechslung ein Standard (nun ja… das ist vielleicht zuviel der Ehre, aber jedenfalls mal kein Blues). Es stand anstelle von „Bag’s Guitar Blues“ am Ende der Stereo-Ausgabe des Albums. Jackson und Mitchell spielen schöne Soli, Kay begleitet etwas dichter. Charles folgt als letzter Solist, Best scheint abwesend (auf „Bags of Blues“ spielt er definitiv nicht, für „Deed I Do“ ist er in der Diskographie der Ray Charles Atlantic-Box aber aufgeführt). Das Stück landete anscheinend spontan auf dem Album, es wurde aufgenommen, nachdem die Musiker damit etwas rumalberten. Es fügt sich sehr wohl in die bluesige Atmosphäre ein.
„Blue Funk“ ist genau das: ein funy Blues mit einem einfachen Riff, das Skeeter Best über eine rhythmisierte Begleitung der Band spielt. Jackson spielt das erste Solo und wechselt bald in doubletime. Charles folgt, danach Best und Pettiford mit sehr schönen Soli. Best ist jedenfalls ein sehr unterschätzter Musiker. Mitchell ist nur im Thema (aber auch da kaum) zu hören.
Das Titelstück des Albums, „Soul Brothers“, folgt – ein mittelschneller Blues mit Jackson am Piano und Ray Charles am Altsax. Jacksons Pianospiel ist flüssig und sehr gefühlsgeladen. Charles spielt hier etwas zurückhaltender Altsax – Bill Randle meint in seinen Liner Notes zum Album, er klinge „like a mixture of Bird and Paul Desmond“. Mitchell folgt am Tenor, dann folgt Best mit einem sehr tollen Gitarrensolo. Es folgt ein Dialog von Charles und Mitchell… bei Charles hört man förmlich, wie er beim spielen hin und herschwingt (wie auch am Piano), das geht bis in den Ton, der sich quasi dauernd dreht, lauter und leiser, gepresster und relaxter wird. Zum Ende dann noch ein kurzes Solo von Pettiford und dann folgt nochmal kurz Jackson am Piano
Im letzten Stück der Session spielt Jackson wie der Name – „Bag’s Guitar Blues“ – schon sagt, noch ein anderes Instrument, die Gitarre. Er spielt die Solo-Gitarre,
Eine Passage aus David Ritz‘ Liner Notes zu „Ray Charles: Pure Genius – The Complete Atlantic Recordings (1952-1959)“ (S. 36):
„They called Milt Jackson ‚Bags‘ because he had bags under his eyes,“ Ray recalled. „But I thought he got his name because he played out of such a deep blues bag. I mean, Milt could tear your heart out. He played sad, and I loved that. He could also play as many notes as Bird, but he knew the number of notes didn’t matter. What mattered was the cry from his soul. They say a man ain’t supposed to cry, but listen to the things we did together and you’ll hear this man crying.“
The pained cry of Ray’s alto saxophone is perhaps the most moving moment in the collaboration. Ray learned clarinet and sax at the State School for the Blind in St. Augustine when he was a kid. The lessons stuck. he played alto for the rest of his life. And while his proficiency on sax couldn’t compare to his piano playing, he nonetheless found a uniquely plaintive voice on the instrument.
„I call Ray’s alto pre-Bird,“ said Hank Crawford, the alto saxophonist who would soon become Ray’s protégé arranger. „He made the thing moan.“
On the Jackson sessions, which were renewed in April 1958, Ray’s sax statement on „X-Ray Blues“ pierces the heart with a poignancy that, nearly a half-century after its initial release, still leaves the listener breathless.
Soul Meeting (Atlantic, 1957 & 1958) – das Stück, das Ritz herausstreicht, ist auf der zweiten Session zu hören, in der die fünf restlichen Stücke von „Soul Meeting“ eingespielt wurden. Die Band bestand neben den beiden Leadern aus Kenny Burrell (g), Percy Heath (b) und Art Taylor (d).
Zum Auftakt der Session spielten die fünf Jacksons „Soul Meeting“, einen ruhigen Blues. Jackson soliert als erster, gefolgt von Burrells elegant-bluesiger Gitarre und Charles‘ Piano. Dann wurde eine instrumentale Version eines von Charles‘ Hits eingespielt, „Hallelujah I Love Her So“. Hart-swingend spielen Jackson und Charles sich die Bälle zu.
Mit „Blue Genius“ folgt dann wieder ein langsamer Walking-Blues, in dem Jackson als zum Auftakt zu hören ist. Sein Solo entwickelt sich Chorus für Chorus und hier kann man diese Traurigkeit sehr gut hören, die Charles im obigen Zitat anspricht. Leider wird das Stück am Ende ausgeblendet.
In „X-Ray Blues“ spielt Charles Piano, Altsax und auch das Wurlitzer E-Piano. Im Thema (einem simplen Riff) ist Charles am Sax zu hören, dann setzt er sich ans Piano und Jackson spielt das erste Solo. Nach Burrells Solo folgt dann mit Charles am Altsax das Highlight. Die Begleitung ist sparsam (Heath und Taylor sowie Akkorde und hie und da ein paar Einwürfe von Burrell) und lässt ihm viel Raum. Wunderbar, wie er ein nachdenkliches Solo konstruiert, alles sehr einfach und direkt – und unglaublich effektiv. Dann setzt er sich direkt ans Wurli und spielt ein ähnlich reduziertes Solo. Heath glänzt in diesem Stück mit schönen Linien und einigen kleinen auffälligen Ideen in der Begleitung und spielt dann auch ein schönes kurzes Solo.
Zum Ende der Session hören wir noch „Love on My Mind“ – wie zuvor „Deed I Do“ die kurze Pause vom Blues. Die zarte, melancholisch-nostalgische Ballade hätte auch gut auf „The Genius of Ray Charles“ gepasst. Charles‘ Piano ist unglaublich ausdrucksvoll, Jackson steht ihm in nichts nach und glänzt mit eleganten, langen Linien.
Damit endet die zweite dieser wunderbaren Sessions… Sessions, die man rasch als langweilig empfinden kann, wenn man nicht in der richtigen Stimmung ist, Sessions, die man auch (ähnlich etwa wie Stanley Turrentines „Blue Hour“) als wenig-anregenden late night jazz abtun kann… Sessions aber auch, die einen unglaublichen emotionalen Reichtum offenbaren, wenn man genau hinhört, eine Seelenverwandtschaft zwischen Ray Charles und Milt Jackson. Für mich gehören sie in beider Werk zu den allerfeinsten Aufnahmen. Für alles zusammen: ****1/2
(Eine deutliche Differenz kann ich übrigens wirklich nicht hören, teja! Gerade der „X-Ray Blues“ gehört für mich zu den eindeutigen Highlights!)
Für diejenigen unter Euch, die an den Charles/Bags-Sessions interessiert sind, sich aber nicht gleich die grosse Box kaufen mögen, es gibt eine Doppel-CD, auf der alle Stücke enthalten sind.
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