Re: Milt Jackson

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gypsy-tail-wind
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Jackson hat nicht das Vibraphon populär gemacht, das übernahm Lionel Hampton einige Zeit früher. Jackson war der Bebop-Pionier auf dem Instrument und zählte bestimmt zu den wichtigsten Stimmen.

Langsam und ruhig sind keine Adjektive, die mir bei ihm in den Sinn kommen. Eher bluesig, elegant, flüssig… vielleicht ähnlich im Temperament wie Kenny Burrell?

Was das MJQ betrifft: Jackson war dort die spannendste improvisatorische Stimme, die aber zusehends durch John Lewis – dessen brainchild die Musik des MJQ durch und durch war – eingeengt wurde.

Jackson als Leader ist zudem stets erstaunlich schwach gewesen. Es scheint, dass er gute Stimmen um sich herum brauchte, starke Musiker, an denen er wachsen konnte. Genau darum ist das Album mit Cannonball Adderley („Things Are Getting Better“), jenes mit Coltrane („Bags and Trane“), jene mit Miles („Quintet/Sextet“, die Hälfte von „Bags‘ Groove“), Miles & Monk („Giants of Modern Jazz“), Monk (die grossartigen frühen Aufnahmen für Blue Note!), Coleman Hawkins („Bean Bags“) oder Wes Montgomery („Bags and Wes“) für mich unter dem besten, was es von ihm zu hören gibt. Auch die beiden Alben mit Ray Charles gefallen mir sehr gut, ein deutliches Gefälle konnte ich zwischen ihnen bisher nicht ausmachen, muss sie bald mal wieder hören.

Ich glaub fast alle anderen Favoriten sind auch schon genannt worden, aber ich liste sie dennoch mal auf:

Die Sessions mit Lucky Thompson – wen wundert’s! – gehören auch für mich zu den allerschönsten von Jackson. Das ist die typische Spielart von Bop, wie sie auf Savoy gepflegt wurde in den Fünfzigern – eine Spielart, die schon etwas leicht Abgeklärtes hat und eigentlich nie in Hardbop übergeht… pardon Alex, aber das ist auf seine Art irgendwie auch schon Mainstream-Musik, man könnte auch sagen: klassizistische Musik, aber das ist noch irreführender, denn die Beteiligten – Hank Jones und Kenny Clarke waren bei Savoy sehr oft mit von der Partie – gehörten immerhin zu den Pionieren des Bebop, aber zehn, fünfzehn Jahre später ist das eben nichts Neues mehr.

„Very Tall“ ist ein wunderbares Album, auf dem Jackson das vielleicht beste Trio Oscar Peterson trifft, jenes mit Ray Brown (b) und Ed Thigpen (d) – das ist für mich seit ich’s habe (zwei Jahre?) stetig gewachsen.

Ein weiteres schönes Savoy-Album ist Kenny Clarkes „Telefunken Blues“ (mit Henry Coker, Frank Wess, Charlie Fowlkes, Eddie Jones und Arrangements von Ernie Wilkins – ein Basie-Album fast schon).

Ebenfalls schön sind frühe Bop-Sessions mit Sonny Stitt (redbeans hat sie erwähnt) aber auch mit Kenny Dorham und Howard McGhee.

Mit Dizzy Gillespie hat Jackson natürlich längere Zeit gespielt – immerhin war die Urbesetzung des Modern Jazz Quartet (mit John Lewis, Ray Brown und Kenny Clarke) die Rhythmusgruppe von Gillespies grossartiger Bop Big Band der 40er Jahre.

Die späteren Aufnahmen mit Dizzy fallen in die schlechteste Zeit, die frühen 50er, als Gillespie mit einer mittelprächtigen Band durch die Lande tingelte (auch Coltrane und Kenny Burrell haben in der Zeit mal bei ihm gespielt – Dizzy fing sich schlagartig wieder, als er 1954 unter Norman Granz‘ Fittiche genommen wurde… Neues gab’s zwar von ihm nichts mehr, aber viele, sehr viele, schöne Alben folgten in den kommenden Jahren.)

Jacksons eigene Aufnahmen für Prestige (später auch für Riverside, Atlantic und andere) setzen etwa zur selben Zeit ein, wie die MJQ-Aufnahmen so richtig beginnen (um 1954). „Milt Jackson Quartet“ mit Horace Silver ist ein ziemlich verschlafenes, aber irgendwie doch schönes Album. Besser ist die Milt Jackson Quintett Session auf dem Album „Modern Jazz Quartet/Milt Jackson Quintet“. Neben Bags, Percy Heath und Kenny Clarke sind da Horace Silver und der Trompeter Henry Boozier zu hören.

Dann ist da natürlich noch „Plenty, Plenty Soul“ (Atlantic, rec. 1957), ein Album, das in zwei Sessions entstand: ein Sextett mit Joe Newman, Lucky Thompson, Horace Silver, Oscar Pettiford und Connie Kay, sowie eine grössere Besetzung mit Newman, Jimmy Cleveland, Cannonball Adderley („Sermonette“!), Frank Foster, Sahib Shihab, Silver, Percy Heath und Art Blakey. Vielleicht ist das – abgesehen von den Savoy-Aufnahmen mit Thompson – mein liebstes Jackson-Album.

Im selben Jahr enstand „Hank Mobley & His All-Stars“, ein grosartiges Blue Note Album mit Jackson und der Jazz Messengers Rhythmusgruppe: Horace Silver, Doug Watkins und Art Blakey… funk in deep freeze

Recht gut gefällt mir auch „Bags‘ Opus“, ein United Artists Album von 1958 mit einer sehr starken Band: Art Farmer, Benny Golson, Tommy Flanagan, Paul Chambers und Connie Kay.

Was spätere Aufnahmen betrifft: sehr toll sind die Live Sessions, die 1976 im Kosei Nenkin in Tokyo entstanden. Es erschienen zwei LPs, die zum grössten Teil auf der CD „Milt Jackson at the Kosei Nenkin“ zu finden sind, die fehlenden zwei sowie ganze acht zuvor unveröffentlichte Stücke sind auf „Centerpiece – Live at the Kosei Nenkin Vol. 2“ zu hören. Die All Star Band, mit der Jackson auf Japan-Tour ging, war eine besondere: Teddy Edwards (ts), Cedar Walton (p), Ray Brown (b) und Billy Higgins (d).

Die MJQ-Aufnahmen sind mir alle noch nicht sehr vertraut, aber ich kann ihnen einiges abgewinnen, seien es die frühen Prestige-Sessions, die Atlantic-Alben (die das Herzstück der Diskographie der Gruppe bilden – die Mosaic-Box kaufe ich mir eines Tages, ich will aber unbedingt auch weitere Live-Aufnahmen, von denen ich bisher erst den Collectables Twofer „European Concert, Vols. 1 & 2“ habe) oder die Pablo-Alben aus den 80ern.

Als Pianist ist Bags übrigens nicht nur auf dem schon wiederholt empfohlenen Barney Wilen Album „Jazz sur Seine“ (Philips/EmArcy, rec. 1958 mit Percy Heath, Kenny Clarke und Gana M’Bow) zu hören, sondern auch auf einer wichtigen Bop-Session aus dem Hause Blue Note: 1948 spielte er Piano in der Session, die Fats Navarro und Howard McGhee gemeinsam einspielten. Ebenfalls dabei: Ernie Henry und Kenny Clarke. Bass spielte Curly Russell.

Alben, die ich wiederhören muss:
– Ray Brown/Milt Jackson (Verve 1965)
– Soul Brothers & Soul Meeting (mit Ray Charles)
– Big Bags
– Invitation (trotz toller Band ein eher schwaches Album)
– In a New Setting und Live at the Museum of Modern Art (beide können aber den Erwartungen, die man an die Besetzung hat, nicht standhalten, finde ich)

Live erleben durfte ich Jackson leider nicht mehr… ich war an einem Konzert, das er mit einer All Star Band hätte spielen sollen (Hank Jones, Kenny Burrell, Ray Brown, Mickey Roker), aber da Jackson kurz zuvor gestorben war, wurde – der sichtlich uninteressierte… nehme an der Check war fett – Bobby Hutcherson engagiert, der dann auch die Enttäuschung der ganzen Band war (Jones und Burrell waren sehr toll).

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