Re: Punk

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Ein eigener Thread lohnt vermutlich nicht.

Angeregt durch die harschen Kritiken an Till Lindemanns jüngstem Solowerk, habe ich mich erneut dem Thema Punk im Osten zugewandt. Nach einer heftigeren Diskussion mit einem Freund, der Rammstein als rechte Naziband einstufte, erkundete ich bereits vor zwei Jahren mit „Feeling B“ eine der Vorgängerbands. Diesmal nahm ich mir Schleim-Keim zur Brust. Schleim-Keim und Feeling B sind – man möge mich gerne korrigieren – die wohl wichtigsten, auf jeden Fall aber bemerkenswertesten DDR-Punk-Bands.

Schleim-Keim wurde um 1979 in und um Erfurt gegründet, Kopf der Band war Dieter „Otze“ Ehrlich. Die Band spielte Punk im Stil der ersten Stunde (Gitarre, Bass, Schlagzeug) und verwendete politische Texte mit offener Systemkritik. Eine in der DDR erforderliche Einstufung als Künstler strebten sie nie an, sodass Auftritte nur privat oder unter dem Schutz der Kirche möglich waren. Offiziell kamen sie somit nicht vor, galten im Untergrund aber schnell als Legende.

1983 bespielten sie eine Seite des Split-Albums „DDR von unten“, welches als erstes Punkalbum der DDR gilt. Die Aufnahmen wurden nach Westdeutschland geschmuggelt und nur dort veröffentlicht. Einige wenige zurückgeschmuggelte Scheiben fanden auf Kassette jedoch ihre Verbreitung in der DDR.

Die Bandmitglieder, vorallem Ehrlich, wurden wiederholt verhaftet. Ehrlich arbeitete kurzzeitig in dem Glauben, so die Kontrolle zu behalten, mit einer Kripoabteilung zusammen, die, was erst nach der Wende bekannt wurde, der Stasi unterstellt war,

Nach der Wende erspielte sich Schleim-Keim selbst in der Punkszene der alten Bundesländer einen gewissen Ruf, wurde aber mehr und mehr zum Alleinprojekt von Ehrlich mit wechselnden Musikern. Im Radio oder den Charts kamen sie bis zum Ende nicht vor. Das textlich mit der einstigen Systemkritik nichts mehr gemeinhabende „In Gotha gibt´s nen Laden“ (www.youtube.com/watch?v=NPxyC82FlrU) wurde Stand August 2015 immerhin 150.000 mal aufgerufen.

1996 löste sich die Band schließlich auf. Bei Ehrlich kamen nach der Wende zum Alkohol die Drogen. Es folgten wiederholte Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken. 1999 erschlug er seinen Vater und verbrachte den Rest seines Lebens, Alternative war Haft, in einer psychiatrischen Klinik, wo er 2005 mit 41 Jahren an Herzschlag starb. Wie üblich wird die Todesursache in der Szene und im Bekanntenkreis bis heute angezweifelt.

Feeling B wurde 1983 in Ostberlin gegründet. Stilistisch waren sie dem Funpunk zuzurechnen. Durch die Nutzung eines Keybords lassen sich durchaus auch New Wave-Anklänge entdecken. Feeling B zählte zu den sogenannten „Anderen Bands“, die sich in der DDR in den 80ern jenseits der etablierten Bands wie Silly, Puhdys oder Karat entwickelten. Systemkritik gab es bei Feeling B nur zwischen den Zeilen. Sie erhielten letztlich die Einstufung, damit die Möglichkeit Platten aufzunehmen und offiziell gegen Entgelt aufzutreten, erlitten dadurch aber auch einen gewissen Reputationsverlust in der Szene. Immerhin gelang es ihnen so, 1989 bei Amiga das erste offizielle Punkalbum der DDR “Hea Hoa Hoa Hea Hea Hoa” zu veröffentlichen. Zuvor wurden sie 1988, neben einigen anderen Bands, durch den DEFA-Dokumentarfilm „flüstern & SCHREIEN – Ein Rockreport“ bereits einem etwas breiteren Publikum bekannt.

Kopf der Band und Ziehvater der deutlich jüngeren Bandmitglieder Paul Landers und Flake Lorenzen war Aljoscha Rompe. Er hatte dank seines leiblichen Vaters einen Schweizer Pass, galt aufgrund seines hochrangigen Stiefvaters jedoch als Funktionärskind. Rompe stand die gesamten 80er hinweg unter Beobachtung der Stasi, wiederholte Anwerbungsversuche als IM blieben erfolglos.

Zur Wendezeit verbuchten Feeling B mit „Ich such die DDR“ (www.youtube.com/watch?v=1CZakMPAS3I) schließlich sogar einen kleineren Hit, dem zumindest in den neuen Bundesländern einiges an Airplay widerfuhr. Landers, Lorenzen und der erst zu Wendezeiten hinzugekommene Schneider verließen 1993 die Band und machen ab 1994 mit Rammstein Weltkarriere. Der musikalisch kaum talentierte Rompe macht erfolglos mit anderen Musikern weiter, lebt in der Ostberliner Hausbesetzerszene und starb 2000 mit 53 Jahren in seinem Wohnwagen an einem Asthmaanfall.

Rompe und Ehrlich war gemein, es sich in den Nischen eines allmählich zerfallenden Staates eingerichtet zu haben, in dem sie überleben konnten, ohne einer „richtigen“ Arbeit nachgehen zu müssen. Ehrlich und seine defacto illegale Band Schleim-Keim gehörten jedoch zur sogenannten ersten Punkgeneration, bei der die Stasi noch aktiv an der Auflösung arbeitete, sei es durch Einzug zur NVA, Gefängnis oder Abschiebung in den Westen. Zur NVA wurde Ehrlich schon damals aus psychiatrischen Gründen nicht eingezogen. Einen Ausreiseantrag hat er nie gestellt. Rompe hingegen war dank seines Schweizer Passes Grenzgänger zwischen beiden deutschen Staaten, entschied sich aber ganz bewusst für ein Leben in der DDR. Auch weil er somit für die Staatsorgane nicht recht zu fassen war und die sich ihm und seiner Band Feeling B dadurch eröffnenden Möglichkeiten und Freiheiten nutzen konnte. Dies weiter dadurch begünstigt, dass den Staatsorganen die Kontrolle über die sich immer weiter aufsplittenden Jugendbewegungen (Blueser, Punks, Skins, Rocker/Metaller usw.) spätestens ab Mitte der 80 zunehmend entglitt.

Ehrlich und Rompe kamen letztlich beide nicht mit den neuen Verhältnissen nach der Wende zu recht, mit den neuen Freiheiten (kurz Drogen) ebenso wenig wie mit dem plötzlich fehlenden Feindbild. Für Rompe war seine Band ohnehin nicht viel mehr als das Vehikel für seinen Lebensstil. Ehrlichs sehr wohl vorhandenes musikalisches Talent und seine Ambitionen versiegten hingen mangels Gegner und unter dem Einfluss des allgegenwärtigen Rausches.

Empfehlungen für näher Interessierte:

Alben: Feeling B’s “Hea Hoa Hoa Hea Hea Hoa” ist nach wie vor erhältlich. Schleim-Keim’s Split-LP „DDR von unten“ ist bis heute nicht wieder aufgelegt worden. Die darauf enthaltenen Songs finden sich aber auf dem Album „Abfallprodukte der Gesellschaft“

Bücher: „Satan, kannst du mir noch mal verzeihen: Otze Ehrlich, Schleimkeim und der ganze Rest“ sowie „Feeling B – Mix mir einen Drink (Punk im Osten)“ sind ebenfalls käuflich zu erwerben. Beide Biographien bieten ausführliche Einblicke in die DDR-Punk-Szene der 80er.

DVD: „flüstern & SCHREIEN – Ein Rockreport“ ist nach wie vor erhältlich und auch auf den bekannten Videokanälen abrufbar.

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Ich brachte meine Vergangenheit im Handgepäck mit. Ihre lagerte irgendwo im Container-Terminal. Als sie ging, benötigte ich einen Seemannssack.