Re: john lenwood "jackie" mclean

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vorgarten

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erste session für JACKIE’S BAG (1958, veröffentlicht 1960)
NEW SOIL (1959)
SWING, SWANG, SWINGIN‘ (1959)
CAPUCHIN SWING (1960)
zweite session für JACKIE’S BAG (1960)
BLUESNIK (1961)
A FICKLE SONANCE (1961)

außerdem (Auswahl):
sonny clarke: COOL STRUTTIN‘ (1958), donald byrd: OFF TO THE RACES (1958), FUEGO (1959), BYRD IN FLIGHT (1960), charles mingus: BLUES AND ROOTS (1959), walter davis jr.: DAVIS CUP (1959), freddie redd: THE MUSIC FROM ‘THE CONNECTION’ (1960), SHADES OF REDD (1960), jimmy smith: PLAIN TALK / OPEN HOUSE (1960), lee morgan: LEE-WAY (1960), kenny dorham: INTA SOMETHIN’ (1961).

am ende seiner prestige-zeit verbüßt mclean wegen drogenbesitzes erste haftstrafen und ihm wird die cabaret card entzogen, die zum arbeiten in new yorker nachtclubs berechtigte (gleiches passierte parker, holliday, higgins, hope und vielen anderen). um weiter als musiker zu arbeiten, ist er gezwungen, entweder auf tour oder ins studio zu gehen. 1958 macht er das zweimal für blue note (sonny clarkes COOL STRUTTIN‘ und donald byrds OFF TO THE RACES) und hat dabei mit ersterer direkt einen großen hit. sein spiel auf COOL STRUTTIN‘ ist laut, brachial, hart und kompromisslos, während art farmer (für mich der eigentliche star dieses albums) einen lyrischen und ziemlich avancierten gegenpol setzt. gegen ende des jahres probt er bereits als musiker und schauspieler für die living-theatre-produktion THE CONNECTION, die mit ihrem zuckerfreien blick auf den drogenalltag u.a. von musikern ziemlich nah an seinem leben gewesen sein dürfte. das ganze wirkt wie eine flucht nach vorn – durch die drogenpolitik am aufführen seiner musik gehindert, gibt er auf den new yorker bühnen einen jazzmusiker, der das warten auf den dealer (die „connection“) mit spielen überbrückt (und das wird dann ein skandalerfolg und begründet den ruhm des living theatres). freddie redd komponierte die musik, neben beiden spielten noch michael mattos (b) und larry ritchie (dm) mit. das stück wurde 1959 erfolgreich uraufgeführt und ging ein jahr später auf ausgedehnte europatournee. die musik wurde 1960 für blue note in der originalbesetzung eingespielt, zwei jahre später drehte die filmemacherin shirley clarke ihre filmversion, in denen auch das originalquartett auftritt:

ausschnitt 1 ; ausschnitt 2

vorher, direkt zu beginn des jahres 1959, geht mclean zum ersten mal als leader ins blue-note-studio, allerdings entsteht dabei zu wenig material für eine lp. drei stücke daraus werden erst 1960, mit material aus einer anderen session, als JACKIE’S BAG veröffentlicht. neben sonny clarke, paul chambers und philly joe jones ist donald byrd hier mcleans partner – eine zusammenarbeit, die für jackies frühe blue-note-zeit entscheidend ist: drei alben erscheinen zwischen 1958 und 60 unter byrds namen, neben der erwähnten blue-note-debüt-leader-session ist byrd auch auf dem zuerst veröffentlichten album NEW SOIL dabei, außerdem spielen (wie da) beide zusammen mit walter davis jr. auf dessen album DAVIS CUP. byrd ist damit der erste in einer reihe von trompetern, mit denen mclean bei blue note aufnehmen wird, was auf seine favorisierte besetzung hindeutet (wichtige ausnahme sind die sachen mit posaunist grachan moncur und ein paar quartett-aufnahmen ohne zweiten bläser). byrd ist dabei nicht unbedingt der reizvollste partner – sein doch recht klarer und ‚sauberer‘ ton bei ziemlich vergleichbarer härte setzt mcleans spiel wenig entgegen. (was keine kritik sein soll – FREE FORM ist eine meiner absoluten lieblingsplatten, auch die ersten fusion-alben von byrd mag ich sehr.)

die erste session ist ziemlich ambitioniert, das stück QUADRANGLE zerfällt zwar in einen avantgardistischen head und eine knoventionelle change-struktur in den soli, aber unter playing-gesichtspunkten macht das großen spaß. auch die beiden anderen stücke sind toll; auf FIDEL spielt mclean für mich eins der schönsten hardbop-soli überhaupt, clarke hält eine gute balance zwischen schrägen einfällen und ideenreicher unterstützung und gegen chambers und jones kann man sowieso nichts sagen.

NEW SOIL, das ‚eigentliche‘ blue-note-leader-debüt, knüpft dagegen erst mal wieder an COOL STRUTTIN‘ an mit einer über 11-minütigen-midtempo-hardbop-exkursion (die passenderweise HIP STRUT genannt wird). doch schon das zweite stück, MINOR APPREHENSION, hat einen avantgardistischen touch, beißend scharfe soli und das angeblich erste völlig freie, von der komposition losgelöste drumsolo überhaupt. der drummer pete la roca (den ich auf ‚heißen‘ stücken toll finde, vor allem später auf hendersons OUR THING und seiner eigenen grandiosen BASRA – der aber immer den makel hatte, von sonny rollins in den village-vanguard-aufnahmen von elvin jones ersetzt werden zu müssen) ist eine interessante wahl, die bei den soul-jazz-kompositionen des pianisten walter davis nicht so gut funktioniert. diese nehmen sich gegenüber dem hardbop-beginn insgesamt sehr mehrkwürdig aus, obwohl sie ganz reizvoll sind. konsequenter und eher sophisticated verfolgen mclean und byrd das später auf byrds FUEGO weiter, da wirkt der flirt mit dem gottesdienst nicht so fremdkörperhaft wie hier. trotz dieser zerrissenheit ist NEW SOIL aber eine interessante platte.

wie mclean auf BLUES AND ROOTS im bläsersatz einer großen mingus-band klingt, weiß ich leider nicht; ebensowenig, wie er sich bei jimmy smith einfügt. seine nächste eigene platte, noch während der connection-zeit entstanden, nimmt sich mit ihren standards und dem titel SWING, SWANG, SWINGIN‘ erstmal ziemlich konventionell aus. trotzdem ist sie im vergleich zu den prestige-sessions ungleich heißer und fokussierter. die großartigen begleiter walter bishop, jimmy garrison und art taylor spielen dicht und treibend, lenken aber kaum vom harten und beseelten saxophonsound mcleans ab. sein flug durch LET’S FACE THE MUSIC AND DANCE treibt einem wirklich den schweiß auf die stirn.

CAPUCHIN SWING geht da auch konzeptionell einen schritt weiter, ist aber wieder mit bishop und taylor eingespielt. statt garrison ist wieder chambers dabei, außerdem kommt hier der nächste trompeter zum einsatz: der wunderbare blue mitchell mit seinem wirklich schönen ton als reizvoller kontrast. auf dem cover sitzt mclean ein affe im genick – ein weiterer offenherziger kommentar auf seine drogensucht. der opener FRANCISCO verbindet treibenden hardbop mit scharfkantigen latin-einschüben, die als stop-and-go-system viel dynamik erzeugen. nach einer eher lahmen ruhigen nummer und einer piano-trio-einspielung von DON’T BLAME ME geht es auf der zweiten seite nochmal ziemlich zur sache, bleibt aber insgesamt sehr ausgelassen und swingend.

die connection zu freddie redd führt 1960 zu einem weiteren interessanten album: SHADES OF REDD, auf dem mclean keinen trompeter, sondern den tenorsaxophonisten tina brooks zur seite hat – in seiner nächsten leader-session wird er die stimmen von brooks und blue mitchell verbinden. SHADES OF RED ist deutlich anders als die CONNECTION-musik, redds kompositionen sind viel ausgefeilter und melodischer und auf die ungewöhnlichen sounds von brooks (der auch am theaterstück beteiligt war) und mclean ausgerichtet. vor allem brooks bringt eine existentielle stimmung in die session mit ein, spielt feurige, emotionale soli, die mclean daneben fast kühl wirken lassen.

auf mcleans zweiter JACKIE’S BAG session kommt tina brooks auch als komponist zur geltung. hier entsteht aufregendes material für ein ganzes album, aber alfred lion wählte nur drei stücke aus, um sie mit denen von mcleans erster session zu kombinieren (auf der RVG-edition-cd-ausgabe ist die zweite session komplett drauf). sollte man die geschichte des avantgardistischen jackie mclean schreiben wollen, muss man mit APPOINTMENT IN GHANA anfangen, nicht mit den stücken von LET FREEDOM RING. die modale struktur der komposition funktioniert schon hier als ideales vehikel für explorative soli, wobei gleichzeitig ein entspanntes rhythmisches grundgewebe erhalten bleibt. mcleans solo hängt schräg in diesem netz, mitchell federt darin, brooks reißt existentiell daran. kenny drew ist diesmal der pianist und sein funk-approach passt auch (wie im modalen system ja fasst alles passt). großartig ist brooks ISLE OF JAVA, dessen thema mclean so aufreizend schräg spielt, dass man bei aller leichtigkeit des grooves ein melancholisches, introvertiertes moment verspürt. mcleans solo ist ganz großartig erratisch und könnte genauso auf RIGHT NOW zu finden sein. aber hier wird das wieder durch die anderen soli aufgefangen. die drei ‚bonus-stücke‘ dieser session stehen qualitativ überhaupt nicht nach. doch obwohl hier ein direkter weg zu LET FREEDOM RING führen könnte, entstehen mit BLUESNIK und A FICKLE SONANCE erstmal wieder konventionellere aufnahmen.

BLUESNIK bietet zwar die auf dem papier (und manchmal auch tatsächlich) reizvolle paarung mit freddie hubbard (die anderen musiker sind kenny drew, doug watkins und pete la roca), will aber von seiner ganzen konzeptionellen anlage her ziemlich wenig. die aufregendste komposition steuert ausgerechnet kenny drew bei (COOL GREEN). insgesamt kann man nicht wirklich meckern, aber mir hat BLUESNIK nie richtig gefallen. eigenartig ist bei diesem blues-konzept auch das leichte schlagzeugspiel von la roca mit seinen hellen becken-sounds und seinen störrischen snare-akzenten – vielleicht hätte mir das ganze mit einem elvin jones besser gefallen (die kombination mclean-jones ist aber leider, soweit ich weiß, ein diskografischer wunschtraum geblieben).

A FICKLE SONANCE ist da ein anderes kaliber. im trompeter-roulette haben wir es nun mit tommy turrentine zu tun, die rhythm section ist sehr speziell großartig: sonny clarke, butch warren und billy higgins (der direkte link von mclean zu ornette coleman, wie man noch hören wird). hier gibt es zwar klassischsten hardbop zu hören (SUNDU), aber auch das abgefahrene titelstück, das mit seinen kammermusikalischen themenfragmenten, seinem schrillen bläsersatz und seiner modalen harmonischen anlage schon in eine phase nach LET FREEDOM RING verweist. nicht nur hier beharrt mclean auf wiederholten solofiguren auch über harmoniewechsel hinaus. turrentine schlägt sich wacker, sein ding sind aber eher die souljazzigen momente auf seiner eigenen, sehr schönen komposition ENITNERRUT, auf der auch mclean auf der grundlage des higgins-swings einen schönen flug hinbekommt. ärgerlich und merkwürdig ist die scheppernde akustik der RVG-edition hier, die die musik härter macht als sie eigentlich ist.

den abschluss dieser klassizistischen phase mit ersten ausflügen ins freie feld bildet eine live-aufnahme von mclean mit kenny dorham. reizvollerweise rahmt die wichtige und sich über mehrere aufnahmen erstreckende zusammenarbeit mit kenny dorham die schon mehrfach angesprochene LET FREEDOM RING ein, weshalb ich INTA SOMETHIN‘ eher als einleitung zur nächsten mclean-werkphase erwähnen möchte.

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