Re: john lenwood "jackie" mclean

#7975295  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
Moderator
Biomasse

Registriert seit: 25.01.2010

Beiträge: 67,069

vorgartenworüber man aber unbedingt reden muss, wenn man jackie mclean zum thema macht: seinen ton und seine phrasierung. bekannt ist die umschreibung, dass mclean sein altsaxophon wie ein tenor spiele – also ungewöhnlich dynamisch, voluminös, autoritär. auch von der ‚unsauberkeit‘ ist oft die rede, den ton nicht zu treffen, sondern in mikrointervallen knapp und bewusst zu verfehlen, anzusteuern, anzureichern mit der schärfe und dem dreck eines emotionalisierten ausdrucks. das selbstbewusstsein seines spiels liegt sicherlich in der frühen wertschätzung der wichtigsten jazzmusiker um ihn herum begründet, trotzdem ist es außergewöhnlich, dass mcleans ton niemals unsicher ist, niemals verloren, niemals selbstzweiflerisch, sondern bestenfalls – ganz selten – an den selbstauferlegten risiken und herausforderungen scheitern konnte. die liner notes haben sich immer bemüht, diesem ton eine emotionalität anzuhängen, das scharfe, schrille, manchmal kaum erträgliche, niemals hintergrund abgebende, immer drängende spiel als „flehend“, „wütend“, „ätzend“, „traurig“ oder „aufgewühlt“ bezeichnet. am schönsten ira gitler in seinem text zu A FICKLE SONANCE: „emotion ist something jackie has never had trouble communicating. (…) his horn can cut a hole in your heart and let the night pour through.” mclean selbst brachte es auf den punkt: “i’m a sugar-free saxophonist”.

Nun ja, 16 Jahre lang war er wohl nicht sugar-free… ;-)

Sehr schöne Beschreibung!

miles davis: DIG (1951)

auf DIG von miles war er 19 und spielt hier neben einem desorientierten und quietschenden sonny rollins ziemlich auf, obwohl er sein instrument erst vier jahre lang bedient. in OUT OF THE BLUE wagt er ein paar halsbrecherische rhythmische experimente, insgesamt hat er nicht den hauch eines problems, bei hohem tempo große souveränität auszustrahlen. auch blakey und mingus waren bei der session dabei – danach brauchte er sich nichts mehr beweisen.

Hm, Rollins hat ja in der Tat mindestens in einem Stück Probleme mit seinem Blatt, aber ich höre ihn dann doch als den deutlich souveräneren Musiker in dieser Aufnahme. Ich hab mich ja im Rollins-Thread zu „Dig schon geäussert, ich hol das mal hier rüber (und werde das Album übers Wochenende nochmal hören):

gypsy tail wind

Miles Davis Sextet: Miles Davis (tp) Jackie McLean (as) Sonny Rollins (ts) Walter Bishop, Jr. (p) Tommy Potter (b) Art Blakey (d)
New York, October 5, 1951

228 Conception
Prest 868, EP1349, LP124, LP7013, LP7457, PR24022, NJ 8296, PatheMarconi FELP10.011, Giants of Jazz
LPJT24
229 Out of the Blue
Prest 876, EP1361, LP140, LP7012, LP7281, Vic (Jap)MJ7084
230 Denial
Prest EP1361, LP7012, LP7281
231 Bluing
Prest 846, 868, EP1355, LP140, LP7012, LP7281
232 Dig
Prest 777, 45-321, EP1339, LP124, LP7012, LP7281, LP7298, Vic (Jap)MJ7084, SMJ7575
233 My Old Flame (JML out)
Prest 766, EP1339, LP124, LP7013, LP7281, 24022, NJ 8296, Met B628, PatheMarconi FELP10.011
234 It’s Only a Paper Moon (JML out)
Prest 817, 45-321, EP1349, LP124, LP7012, Vic (Jap)SMJ7575, Giants of Jazz LPJT24

Prestige LP7012: „Dig“
Prestige LP7013: „Conception“
Prestige LP7457 „Greatest Hits“
Prestige LP7298 „Prestige Groovy Goodies“
Prestige PR7744 „Conception“
Prestige 2LP P24054: „Dig“
Prestige LP7012 = OJC 005: „Dig“

„Bluing“ pt. 1 & 2 auf 846 und pt. 3 auf 868
„Out of the Blue“, „My Old Flame“, „Dig“ und „It’s Only a Paper Moon“ als pt. 1 & 2 auf diversen 78 rpm Releases

Alle Stücke auch auf:
Prest LP7744, P.012, PR24022
Prestige 8PCD-012-2 [CD]
Prestige 7PCD-4407-2 [CD]

Bei dieser Session kann man vielleicht wirklich von der ersten Hard Bop Session überhaupt reden – jedenfalls erinnere ich mich vage, dass drüber auf Organissimo mal eine Diskussion in diese Richtung lief (ich glaube, es war Larry Kart, der etwas in diese Richtung schrieb – habe keine Glück mit Google, vielleicht kann redbeans helfen?).
Die Band ist jedenfalls erstklassig, mit Jackie McLean und Sonny Rollins hat Miles zwei aufregende Solisten an seiner Seite, Blakey und Potter sind ein eingespieltes Team in der Rhythmusgruppe und Walter Bishop bringt am Piano einen lyrischen Touch. Shearings „Conception“ wechselt zwischen Vamps/Pedal Points und swingendem 4/4 hin und her. Miles soliert als erster, scheint nicht ganz fokussiert. Rollins folgt mit einem überzeugenden Statement. Dann soliert Bishop kurz, bevor das Thema wiederholt wird.
„Out of the Blue“ wird relaxter angegangen als im Birdland, Miles soliert erneut als erster, gefolgt von Rollins, der einmal mehr mit Aurität spielt und bei weitem das überzeugtendste Solo bläst. McLean folgt, sein Ton noch viel naher bei Parker als später, seine Intonation noch viel konventioneller (also weniger daneben). Es dauert ein paar Takte, bis er richtig in Fahrt kommt, und dann ist sein Solo auch schon vorüber und Miles setzt wieder ein, dieses mal konzentriert. Gegen Ende ist der Groove gelassen und fett, rhythmisch entspannter als im Bebop.
„Denial“ ist dann eine schnelle Nummer, in der Miles das rudimentäre Thema gleich in ein paar Solo-Chorusse bettet, die dann und wann mit einfachen Saxophon-Linien unterlegt werden. Miles ist mittlerweile wach, sein Spiel ist lyrisch und höchst konzentriert, er spielt lange, schnelle Linien, hie und da wagt er sich sogar mal ins höhere Register vor. Rollins folgt mit einem kurzen Solo, dann übernimmt McLean und jetzt passt auch bei ihm alles. Dann folgen Fours von Miles und Blakey.
Auch in „Bluing“, einem mittelschnellen Blues, hören wir wieder diesen relaxten Groove. Potter walkt mit fettem Sound, Blakey swingt locker, während Bishop ein sehr stimmungsvolles Solo spielt. Nach fast einer Minute setzt Miles ein und bläst ein reduziertes Solo. Nach ein paar Durchgängen beginnen McLean und Rollins hinter ihm zu riffen. Sonny Rollins folgt mit einem grossartigen Solo, das die Atmosphäre des Stücks völlig in sich aufsaugt. Auch McLean soliert hier sehr schön, relaxt, seinen Ton rauht er manchmal etwas auf, lässt viel Raum, setzt Pausen effektiv ein bei der Gestaltung seines Solos. Dann übergibt er an Miles, Blakey fällt kurz in einen fetten Backbeat, bringt dann einen seiner patentierten Rolls, der Miles in eine Doubletime-Passage katapultiert, vor Blakey dann selber kurz in Doubletime wechselt. Am Ende hört das Stück irgendwie ohne Schluss auf… wohl bis dahin abgesehen von den „Birth of the Cool“ Aufnahmen das grösste Highlight, das Miles im Studio zustande gebracht hat!
Weiter geht’s mit „Dig“, einem boppigen Thema. Rollins soliert zuerst, gefolgt von Miles, während dessen Solo Blakey immer aktiver wird. Es folgt McLean und danach Miles wieder mit einem zweiten Solo. Die Ballade „My Old Flame“ gehört am Anfang ganz allein Miles. Potters Begleitung ist stark, Bishop und Blakey agieren sehr zurückhaltend. Nach etwas über vier Minuten übernimmt Rollins für ein kürzeres Solo, er ist schon in diesem jungen Alter ein grosser Balladen-Künstler, mit Geduld, langem Atem, der Fähigkeit, wenn’s angebracht ist, sich zurückzuhalten.
Zum Abschluss folgt eine relaxte Version von „It’s Only a Paper Moon“. Miles präsentiert das Thema wieder ganz alleine und übernimmt das erste Solo. Wie schon auf „My Old Flame“ setzt McLean aus, Rollins spielt ein verhaltenes Solo, er kämpft offenbar mit einem harten Blatt, und das scheint ihn hier ziemlich zu hemmen, was ein wenig schade ist, da Miles das Stück so schön eröffnet und dei Rhythmusgruppe den gelassenen, fetten (hardboppigen) Groove mittlerweile so gut drauf hat. Miles wagt sich in seinem zweiten Solo (Langspielplatte, also musste er eben auch plötzlich mal lang spielen… jedenfalls macht Miles hier zum ersten Mal Gebrauch von den Möglichkeiten, die mit der 10″ LP gegeben waren) ins hohe Register, allerdings mit mittelprächtigem Erfolg.
Ein ziemlich durchzogenes Album, das aber tolle Momente enthält und möglicherweise (nach der Bud Powell Quintett-Session) einen zentralen Schritt auf dem Weg zum Hardbop darstellte, den Miles ein paar Jahre später, als er sich gefangen hatte, die Drogensucht losgeworden war und sein Spiel noch viel konzentrierter und sparsamer wurde, massgeblich prägen sollte.

--

"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba