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Ganz unrecht hat nail75 natürlich nicht, wenn er das keinesfalls herausragende Songwriting beklagt. Eigentlich sogar zurecht, denn die Songs sind hier im Grunde eher zweitrangig. Wye Oak haben mit „Civilian“ kein Singer/Songwriter Werk mit elektronischem und folkloristischem Einschlag kreiert, sondern im besten Sinne etwas ganz besonderes. Es ist mehr eine Stimmung, die sich konstant durch das Werk zieht, die den Songs Raum gibt, es wird Pop mit Rock, brachiale Ausbrüche mit sanftem Geklimper verknüpft, ich habe „Civilian“ selbst übrigens erst schätzen gelernt, als ich vom Songwriting abließ und die Sache so genommen habe, wie sie nun mal ist. Und da eröffnet sich dann von Mal zu Mal mehr, Wye Oak sind Meister im Erschaffen leicht verschobener, somnambuler Titel, in dieser Unterwasserblase ist alles unscharf, Songs sind mehr Konturen, Melodien mehr Lichtblicke und Schattenwesen, auch die Texte, immer wieder ein Fall für eifrige Rätselratende. Charismatisch an Wye Oak ist auch, dass ihre Musik weitestgehend unausdeutbar, unberechenbar ist, andererseits aber völlig unprätentiös über die Bühne geht. Das gibt „Civilian“ zu jeder Zeit eine schiefe, unkontrollierte Ausrichtung, die mir sehr gefällt. Und irgendwann geht die Formel dann doch auf; Songs schälen sich aus der Soundmasse, Wasners innbrünstiger Vortrag trifft am rechten Punkt. Zuallererst erschließen sich wohl die Single „The alter“, mit seinem holpernden Smoothbeat und seiner schillernden Gitarreneinlage, dann der dunkel funkelnde Titelsong, dem ich jede Sekunde gebannt lausche, wohl auch noch „Hot as day“, veträumt, schunkelig, aufbrausend und farbenreich. Generell Farben: Wye Oak haben ein gewaltiges Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten, vieles versteckt sich freilich unter der brummenden Oberfläche. Mal ist es ein Rasseln, dann ein Gesangsspur, die nach oben geregelt, dem Song Dringlichkeit zuflüstert, mal nur eine verstärkende Basslinie. Fast in jedem Song gibt es etwas Derartiges zu entdecken, ganz sicher ein Album, das „voll“ ist. Und auch nach gut zwei Dutzend Durchgängen, habe ich dort unten am Meeresgrund noch längst nicht alles gesehen. Da hilft wohl nur wieder die Hände um die Knie liegen, Luft anhalten und springen. Lohnt sich!
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Hold on Magnolia to that great highway moon