Re: Dave Brubeck

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gypsy-tail-wind
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Hab gestern ungefähr von vorne damit begonnen, die Brubeck-Alben seit Morellos Einstieg in die Gruppe zu hören… macht sehr grossen Spass! Mit den drei billigen Avid 2CD-Sets hat man schon mal eine ganze Menge – es fehlen aber „Time Further Out“ und die anderen drei „Time“-Alben, die entweder in der „For All Time“-Box oder dem Original Album Classics-Set von Brubeck alle fünfe – inkl. „Time Out“ – gesammelt sind, ebenso fehlt „Jazz Impressions of Japan“ und das Doppel-Album aus der Carnegie Hall.

Wenn ich mir Brubecks Diskographie anschaue ist das schon ziemlich krass, wieviel er in den Jahren aufgenommen hat! Ted Goia findet denn auch in seinen Liners zur 50th Anniversary Edition von „Time Out“, dass Brubeck für jene Jahre den Titel „hardest working man in show business“ noch eher verdiene denn James Brown.
Die Deluxe Edition von „Time Out“ sollte sehr billig zu finden sein (ich hab sie von JPC für weniger als 10€ gekauft) und lohnt sich für CD2. CD1 enthält „Time Out“ ohne weitere Musik (da gibt’s wohl nichts… wäre sonst wohl schon auf der Legacy-CD von 1997 aufgetaucht) und das ist möglicherweise das Album, das ich bisher am häufigsten gekauft habe… vier mal, und zwar weil ja eben nichts weiter zu finden ist vier mal mit exakt derselben Musik drauf! Aber wie gesagt, ich wollte auch diese Deluxe-Edition haben, weil sich auf CD2 Auszüge von Brubecks Newport-Konzerten von 1961, 1963 und 1964 finden, insgesamt 54 Minuten. Die Newport-Konzerte von 1956 (Seite 2 der LPL enthielt das Set des J.J. Johnsonn & Kai Winding Quintetts, das kurz danach aufgelöst wurde) und 1958 sind bei Columbia veröffentlicht worden, das Set von 1958 gab’s in Japan auf CD und jetzt auf dem ersten Avid-Set und auch aus Spanien (mit einem Bonustrack, der nichts mit dem Newport-Set zu tun hat). Die Musik wurde teilweise nachträglich im Studio eingespielt, Infos bei jazzdisco). Das 1956er Set (ohne die Jay & Kai Tracks, auf denen Brubeck auch nicht spielte) ist gepaart mit dem zuvor bei Moon veröffentlichten Bootleg des 1959er Sets (sowie zwei Radio-Tracks von 1958) auch auf einer spanischen CD zu finden, die ich mir besorgen werde… (ich will auch noch die Wilshire Ebell 1953 CD und wohl auch noch das kanadische Konzert von 1965… und bei Gambit gibt’s zudem noch Gone With the Wind).

Von den Alben mit Bill Smith muss ich auch mal noch was kaufen. „Near-Myth“ gefiel mir ja eben damals nicht sehr gut, „The Riddle“ scheint nicht zu finden zu sein (darf man vielleicht auf ein viertes Avid-Set hoffen?), daher greif ich wohl mal bei „Brubeck à la Mode“ zu. Danach gab’s ja erst 1982 wieder etwas von den beiden.

Leider scheint „The Real Ambassadors“ nicht bezahlbar aufzutreiben sein… für eine dieser alten Masterpieces CD bin ich nicht bereit, auch nur einen hohen Preis zu bezahlen, aber die derzeitigen Angebote bewegen sich eher in exorbitantanten als hohen Regionen.

Was die Musik der Quartetts betrifft… ich glaub sie gefällt mir doch eine Spur besser als das meiste von Brubeck und Desmonds früheren Sachen – prä Morello… denn er ist’s wohl, der den Unterschied macht! Desmond hat anscheinend nach seinem Eintritt in die Gruppe Brubeck ultimativ gefordert, entweder würde er Morelle wieder loswerden oder er, Desmond, würde die Band verlassen. Morellos exaltiertes, frei-swingendes Spiel war Desmond, dem wohl konservativsten Kopf des Quartetts, anfangs zu viel. Die beiden wurden dann aber zu guten Freunden.
Morellos tolles Spiel in Kombination mit Desmonds melodiösen und stets subtilen Soli, Brubecks zupackendem Piano und dem erdigen Bass von Wright ergeben für mich eine perfekte Band, der ich im wahrsten Sinne (wie gestern getan) fast den ganzen Tag lang zuhören mag! Die rhythmischen Experimente setzten Ende der 50er Jahre ein und machen die Musik zusätzlich spannender, aber auch die Tatsache, dass Brubeck alles aufsog, was er auf seinen ausgedehnten Tourneen aufschnappen konnte, hilft, dass die Musik spannend bleibt. So ist der „Calcutta Blues“ (auf „Jazz Impressions of Eurasia“) von Jams mit indischen Musikern geprägt, das Album „Dave Digs Disney“ entstand nach einem Familienausflug ins Disney World (und Desmond spielt über „Someday My Prince Will Come“ ein grossartiges Solo). Sehr schöne Stücke sind auch auf „Jazz Impressions of the U.S.A.“ zu hören, aber „Southern Scene“ ist dann doch eher misslungen (die genannten Alben finden sich alle auf dem zweiten und dritten der Avid-Sets, ebenso wie „The Dave Brubeck Quartet in Europe“ und „Time Out“, sowie „At Storyville: 1954“ und ein paar vereinzelte Bonustracks von Various Artists-Alben; auf dem ersten Avid-Set finden sich „Jazz Red Hot & Cool“, „Jazz Goes to Junior College“, „Newport 1958“ sowie ein weiteres einzelnes Stück von einem Various Artists-Album; von „Dave Digs Disney“ fehlen die beiden CD-Bonustracks bei Avid leider).

Momentan stecke ich mitten in „Time Further Out“ – für mich neben „Time Out“ und „Jazz Impressions of Japan“ wohl das beste Album von Brubeck. Wright klingt erdiger als meist, die Musik ist blueslastiger, mit „Charles Matthew Hallelujah“ ist sogar Brubecks Version eines Gospel-Stücks zu hören (gewidmet seinem fünften Sohn und sechstem Kind insgesamt, das zwei Wochen vor der Session zur Welt kam). Zu den Höhepunkten zähnen der Opener, „It’s a Raggy Waltz“, eine Kreuzung aus Walzer und zickigem Ragtime, „Bluette“, eine Mischung aus Chopin und 12-taktigem Blues (mit tollem Desmond-Solo). „Far More Blue“ ist ein weiteres 5/4-Stück, ebenso „Far More Drums“. „Maori Blues“ ist ein stimmungsvoller Blues im 6/4, inspiriert von einer Maori-Begrüssungszeremonie zum Empfang Brubecks im Janr 1959. „Unsquare Dance“ ist eine 7/4-Nummer, die über Wrights Bass aufbaut – ein zweiminütiges Intermezzo, das mir enorm gut gefällt. Diverse Leute (darunter wohl Desmond, der nicht spielt) klatschen die Rhythmen, Brubeck spielt einen Piano-Chorus, Morello schleicht sich mit raffinierten Rhythmen ein, die er wohl mit Sticks auf irgendwas trommelt – und am Ende hört man ihn erleichtert lachen, weil das Stück erfolgreich geklappt hat. Mit „Bru’s Boogie Woogie“ gibt’s ein moderat Boogie-geprägtes Thema im 8/4, und zum Ende mit „Blue Shadows in the Street“ eine weitere 9/8-Nummer (nach dem grossartigen „Blue Rondo à la Turk“, mit dem „Time Out“ begann), ein sehr stimmungsvolles mood piece, wie Brubeck es nennt, in dem die rhythmischen Akzente sich subtil verschieben und Desmond wieder ein grossartiges Solo bläst. Die CD enthält als Bonus noch „Slow and Easy“ von der Session vom 25. Mai (es fehlt auf jazzdisco.org) sowie die Live-Version vom „Raggy Waltz“, die Ende 1963 in der Carnegie Hall eingespielt und auf dem betreffenden Doppel-Album veröffentlicht wurde.
Auf „Countdown – Time in Outer Space“, das teilweise während derselben 1961er Sessions entstand und im Folgejahr fertig gestellt wurde, bin ich nun sehr gespannt, habe es soweit ich weiss erst einmal gehört, vor einiger Zeit.

Und noch eine Notiz zu „Time Out“: das Album war in dreierlei Hinsicht eine Neuheit für Columbia – und bedurfte der Unterstützung nicht nur von Produzent Teo Macero sondern auch von Präsident Goddard Lieberson (der zum Glück auch Musik studiert hatte und in frühen Jahren als Pianist in Nachtklubs über die Runden gekommen ist). Brubeck hatte drei ungeschriebene Columbia-Gesetze gebrochen: 1) Alle Stücke waren Originals, im Gegensatz zu üblichen Vorgehensweise wurden keine Standards beigemischt. 2) Columbia wollte tanzbare Musik, das geht mit 7/4, 5/4 und 9/8 und erst recht mit einem Stück wie „Three to Get Ready“ (in dem jeweils auf zwei 3/4 zwei 4/4 Takte folgen) nicht so einfach. Und 3) war es das erste Columbia-Jazz-Album, dessen Cover von einem Gemälde geziert wurde.

(Edit: hab ein bezahlbares Exemplar von „The Real Ambassadors“ gefunden – mal schauen ob das wirklich kommt.)

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