Re: Berlinale 2011 – 10. bis 20. Februar

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witek-dlugosz

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Fischer bei der nächtlichen Arbeit. Sie liegen an Deck herum, reden, ziehen an Schnüren einzelne Fische aus dem Wasser, holen ein Netze ein. Sie sind leicht bekleidet, die Kamera streift immer wieder ihre Unterleiber. Szenenwechsel. Es ist immer noch dunkel. Jetzt wird ausgiebig ein Penis bearbeitet. Wieder Szenenwechsel. Arbeiter im Wald bei der Kautschukernte. Sie ritzen die Bäume an, bringen Schalen an zum Auffangen des Saftes – eine Wiederkehr des Spermas, das in der Szene zuvor dann doch nicht mehr geflossen ist?

Jetzt erst widmet sich der Film deutlicher dem Thema, das er im Vorspann versprochen hat: es geht um das Verdammen der thailändischen Regierung vor dem Hintergrund der blutig niedergeschlagenen Unruhen 2010. Thunska Pansittivorakul nähert sich dem Thema auf verschiedenen Ebenen: mit von ihm wiedergegebenen Erzählungen seiner Mutter über Studentenunruhen in den 1970er Jahren, mit Schrifteinblendungen über die Geschichte Thailands und vor allem der Niederschlagung diverser, vor allem studentischer Versuche des Aufbegehrens, mit (Spiel?-)Szenen aus dem Alltag von Arbeitern, mit Aufnahmen von den Demonstrationen 2010, mit persönlichen Anekdoten aus dem nur scheinbar unpolitischen Familiären – und nicht zuletzt immer wieder mit schwuler Pornographie.

Den zweifelhaften Höhepunkt bildet dabei eine Szene ohne Ton, in der ein junger Mann beim Masturbieren gezeigt wird. Dazu wird in Schrifteinblendungen die Geschichte der blutigen Niederschlagung thailändischer Studentenaufstände referiert. Nachdem er ejakuliert hat, folgen Bilder von Toten und Verletzten. Natürlich ist dermaßen explizite Pornographie in Thailand verboten und natürlich ist sie im Kontext eines politischen Pamphlets gegen die Regierung eine ungeheure Provokation – aber auf mich wirkte dieses direkte Nebeneinander (Wichsen für den Widerstand?) wenig zielführend und letztlich hochgradig albern.

Beeindruckend sind dagegen Szenen vom Rande der Aufstände im Frühjahr 2010. Schade nur, dass sie im Kontext des Films so deplatziert wirken.

„Poo kor karn rai“ trägt den deutschen Titel „Die Terroristen“. Und um die geht es dem Regisseur: die Demonstranten, die von der thailändischen Regierung als Terroristen gebrandmarkt wurden. Die Wut darüber merkt man dem wilden Gemisch des Films und dem überaus engagierten Auftreten des Regisseurs deutlich an: Am Ende der Fragerunde stürmte er durch die Reihen nach hinten und schrie eine Landsfrau an, die sich offenbar despektierlich über seine Anklage der thailändischen Regierung geäußert hatte. Zunächst auf Thai, dann auf Englisch „You don’t live there. He’s a killer! Everybody in Thailand knows it“, brüllte er, und musste von umstehenden Vertrauten im Zaum gehalten werden.

Seine Wut in allen Ehren – aber in ihrer völlig ungefilterten Unmittelbarkeit und der kruden Paarung mit allem anderen, was ihn vom Sex bis zu gerade so umtreibt hat sie ihm dabei im Wege gestanden, einen echten künstlerischen Akzent als Kommentar zu den politischen Umständen in Thailand zu setzen. „Poor kor karn rai“ ist ein Film, der mich weder aufgerüttelt noch verstört, sondern schlicht peinlich berührt hat – und das nicht wegen der Schwänze, sondern wegen der Hilflosigkeit im Ausdruck.

* 1/2

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