Re: Berlinale 2011 – 10. bis 20. Februar

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witek-dlugosz

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Maryse und Benoit sind ein Geschwisterpaar in der französischsprachigen Provinz Kanadas. Es ist Winter. Maryse schlittert in eine Krise: Ein Arbeitsunfall in der Fabrik, in deren Verwaltung sie arbeitet, bringt sie ins Grübeln (ein Arbeiter verliert dabei seinen Arm). Maryse tapert verwirrt und auf merkwürdig distanzierte Art und Weise über ihr eigenes Leben staunend durch ihre Tage. In Gesprächen wird sie zunehmend ungehalten, manchmal bricht es aus der sonst so zurückhaltendn Frau heraus. Sie hinterfragt auch ihre Ehe mit Alain.

Benoit ist der klassische Versager: Er wohnt noch bei seinem Vater, der und ohne viele Worte dem Tod der Mutter vor fünf Jahren leidet. Benoit macht alles falsch: Er spielt ohne Talent in seinem Zimmer E-Gitarre, bis der Vater ihn zum Aufhören zwingt, er hat eine unglückliche Affäre mit einer Frau, deren kleines Kind ihn hasst, er muss mitten in der Nacht seinen Vater holen, weil er das Schneemobil nicht wieder in Gang bekommt.

Auf einmal steht ein Mann vor Benoits Tür, der zuvor vor Maryses Haus aufgetaucht ist. Er sagt, er komme aus der Zukunft, wenn auch nur der recht nahen: sechs bis sieben Monate, schätzt er. Der Mann sagt, Maryse werde in einem Blizzard einen Unfall haben und dabei ums Leben kommen. Benoit müsse das verhindern.

Als Maryse beschließt, aus dem entlegenen Wochenendhaus des Vaters einen Anhänger zu holen, während ein Schneesturm angekündigt ist, besteht Benoit darauf sie zu begleiten. Offenkundig geht es ihm dabei aber nicht etwa darum, seine Schwester zu retten, sondern einen eleganten Ausweg aus dem Leben zu finden. Doch am Ende des gemeinsames Wochenendes der Geschwister hat sich das Blatt ein wenig zum Guten gewendet (Details werde ich jetzt natürlich nicht spoilern).

Der Film ist unterteilt in drei „accidents“: der Unfall in der Fabrik, ein Vogel, der vor Benoits Scheibe knallt, und ein Verkehrsunfall am Ende des Films. Eine Aufteilung, die für den Regisseur unvorhergesehene Folgen hatte. Eigentlich habe er einfach nur einen Film mit Kapiteln drehen wollen, weil er diese Struktur möge. Bei der Premiere am Vorabend aber, so erzählt er, habe er beobachtet, wie das Publikum an verschiedenen Stellen zusammengezuckt sei, weil es darauf gepolt gewesen sei, dass es ja zu einem weiteren „accident“ kommen müsse. Die tatsächlichen „accidents“ werden aber so beiläufig erzählt, dass der Effekt, den die Kapitelunterteilung nun unabsichtlich erzielt hat, dem lakonischen Erzählstil des Films entgegenläuft. Der gewagte Kunstgriff, in eine so durch und durch realistisch erzählte Geschichte ein Science-Fiction-Element zu verpassen fügt sich hingegen ohne Irritationen in den Film ein.

Kein großer Wurf, aber immerhin ein spröder, warmherziger kleiner Film, der schöne Bilder aus der trüben Weite der kanadischen Schneelandschaft findet.

* * *1/2

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