Re: Berlinale 2011 – 10. bis 20. Februar

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witek-dlugosz

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Mumblecore-Miterfinder Joe Swanberg hat zwei recht kurze (70 und 74 Minuten) Filme mitgebracht und zeigt sie im Doppelpack. Eins vorweg: Die beiden Filme sind bislang die einzigen Swanberg-Filme, die ich gesehen habe.

Beide Filme behandeln das Filmen von Low-Budget-Produktionen – aber auf sehr unterschiedliche Art und Weise. „Art History“ erzählt mit einfachsten Mitteln vom Dreh einiger Bettszenen und den Folgen für Darsteller und Filmteam. „Silver Bullets“ ergründet (filmisch und inhaltlich um einiges komplexer) die Nahtstellen, Überschneidungen und Reibungspunkte zwischen Film und Privatleben.

„Silver Bullets“ erzählt von zwei Filmprojekten. Swanberg spielt einen stark mit sich hadernden, erfolglosen und übellaunigen Regisseur, dessen Freundin (Kate Lyn Sheil) die Hauptrolle in einem Werwolf-Film eines erheblich erfolgreicheren Independent-Horror-Regisseur (gespielt vom Independent-Horror-Regisseur Ti West) ergattert. Swanbergs Figur dreht derweil einen nicht genauer bezeichneten Film mit sich selbst in der Hauptrolle und castet die beste Freundin seiner Freundin als seine Liebhaberin, was der Freundin Probleme bereitet, die er nicht verstehen will. Sie knüpft private Bande mit dem Regisseur des Horrorfilms. Mehr und mehr fließen die beiden Filme und die Privatleben ineinander über.
Das Verschwimmen der künstlerischen Arbeit mit dem Privatleben fangen Swanberg (und seine Darsteller, die traditionell den Film zusammen mit Swanberg entwickeln) verblüffend vielschichtig ein. Längere dialoglastige Szenen wechseln sich ab mit Ausschnitten aus den Filmen, HD-Aufnahmen stehen neben Super-8-Ausschnitten. Wie Swanberg all das miteinander verknüpft (und mit einem zwei Jahre später spielenden Nachklapp veredelt), ist bei aller Mumblecore-Lässigkeit schlicht virtuos und beeindruckend.

Swanberg hat, so sagt er, an „Silver Bullets“ insgesamt zweieinhalb Jahre lang gearbeitet – eine extrem lange Zeit, wenn man den enorm schnellen Output des Regisseurs betrachtet. Mit dem Film habe er eine kreative Krise in seinem Schaffen zum Thema gemacht und sie letztlich damit überwunden.

„Art History“ habe er im Anschluss in wenigen Tagen gedreht und geschnitten, um sich von „Silver Bullets“ zu erholen. Der Film ist dann auch narrativ deutlich einfacher gestrickt. Ein Filmteam wohnt für einige Tage zusammen in einem Haus und dreht explizite Bettszenen. Die Hauptdarstellerin und der Hauptdarsteller des Films im Film (gespielt von Josephine Decker und Kent Osborne) machen nach dem Dreh einer Sexszene da weiter, wo sie aufgehört haben. Der Regisseur (wieder gespielt von Swanberg) wird offenkundig eifersüchtig und beginnt seinen eigenen Film zu sabotieren.

„Art History“ ist offenkundig viel spontaner entstanden als „Silver Bullets“. Der Film erzählt viel direkter. Die langen Sexszenen mit den peniblen Anweisungen des Regisseurs machen den Film aber auch brutaler. Beide Filme zusammen zu zeigen, war jedenfalls eine weise Entscheidung, weil sie sich in ihrer Verschiedenheit perfekt ergänzen.

Bei beiden Filmen, sagt Swanberg, sei es ihm darum gegangen, der Wahrnehmung, die viele von seinen Filmen hatten, etwas entgegenzusetzen. Ihm sei etwa oft vorgeworfen werden, er mache seine Filme nur, um andere Frauen als seine Ehefrau (Kris Swanberg, die ebenfalls in seinen Filmen spielt) zu küssen. Wenn er genau das als der Regisseur in „Silver Bullets“ tue, sei das als ironische Antwort auf diese Vorwürfe zu verstehen. Ohne Kenntnis seiner früheren Filme kann ich nicht beurteilen, inwieweit die beiden neuen Filme in dieser Hinsicht erfolgreich sind.

Die Zuschauer bei der Doppel-Weltpremiere reagierten sehr unterschiedlich. Am Ende von „Silver Bullets“ kam der Applaus nur zögerlich. Ein (geschätztes) Sechstel des Publikums verließ den Saal vor oder während „Art History“ – beim Q&A hingegen waren die Reaktionen freundlicher. Die Begeisterung, die Swanberg verdient hätte, war ihm aber bei Weitem nicht vergönnt.

Swanberg hat seinen Frieden mit dem Mumblecore-Stempel gemacht, der seinen Filmen grundsätzlich aufgesetzt wird. Dem Erfolg des Begriffs, so sagt er, verdanke er es, dass er weiterhin Filme drehen könne – und dass er sie auf die ihm eigene Art und Weise machen könne. Schließlich mache der Begriff „Mumblecore“ es Journalisten und letztlich auch Zuschauern leichter, seine Filme zuzuordnen.

Swanbergs ohnehin hohe Produktivität übrigens („Silver Bullets“ und „Art History“ sind der siebte und achte Film, die er seit Beginn seiner Karriere 2005 fertiggestellt hat; Nummer 6 hatte kürzlich in Sundance Premiere) hat sich in den vergangenen Monaten offenbar geradezu überschlagen. Vier weitere Filme seien so gut wie fertig und bis zur nächsten Berlinale könnten es gut und gern zehn sein. Eine Handvoll davon darf er, wenn es nach mir geht, jedenfalls herzlich gern zur Berlinale 2012 mitbringen.

Silver Bullets: * * * * *
Art History: * * * *

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