Re: Blindfold Test

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gypsy-tail-wind
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katharsisIch werde erstmal nur meine Eindrücke zu denjenigen Files posten, die als mp3 im Paket enthalten waren. Die anderen habe ich auf einem anderen Rechner und noch nicht oft gehört, folgen aber.
Daher Teil 1:

Entschuldige, ich war mir um die MP3 und M4A bewusst, aber dachte nicht, dass das Probleme bereiten würde… iTunes oder WinAmp, um zwei zu nennen, spielen ja beides ab. Die Musik war jedenfalls schon als „Album“ konzipiert, mit einem gewissen dramatischen Aufbau etc.

Aber ist nicht weiter tragisch, ich warte umso gespannter auf Teil 2, nachdem der erste Teil schon so ausführlich geraten ist!

2. Klar, der erste Gedanke geht in Richtung Monk, aber das wäre zu einfach. Das vorgestellte Motiv erinnert sehr an diese kindliche Naivität Monk’s und sein scheinbares Danebengreifen. Wenn sich das Thema dann aber weiter entwickelt, ist es zu klar und straight für Monk. Die Gitarre verschmelzt recht schön mit der Trompete, so dass ich mir in den ersten Sekunden gar nicht sicher war, ob das nicht der Soundqualität geschuldet ist und nur die Trompete spielt. Das Thema erinnert mich ein bißchen an „What a difference a day makes“, zumindest könnte das eine interessante Variation sein.
Die Soli sind ja leider recht kurz geraten, aber den Trompeter finde ich ganz gut. Trotzdem wäre das kein Stück, welches ich unbedingt öfter hören müsste, dazu passiert mir zu wenig, bleibt die Umsetzung des Themas fast zu bieder.
Ein wilder Rateversuch wäre Art Tatum.

Ja ja, die Trompete… ;-)
Tatum ist das nicht, nein. Ob das Stück einen Bezug zu „What a Diff’rence a Day Makes“ hat weiss ich nicht, muss es ja eh nochmal nachhören später!

4. Irgendwie lässt die Bläserfanfare schon vermuten, dass Gesang folgen wird. Das Stück kenne ich zumindest ohne Denkanstoß nicht, die Sängerin auch nicht. Die Musik bewegt sich fast in sehr zahmen Swing-Gefilden und ich mag diese Fill-ins des Trompeters. Auch diese schattierenden Griffe des Pianisten finde ich sehr gelungen. Fast unnötig erscheinen mir die Streicher, die das Stück etwas mehr auf Hochglanz polieren; hätte nicht sein müssen.
Zu Beginn erinnert mich die Sängerin an eine gesättigtere Billie Holiday, je mehr sie singt, desto reiner wird ihr Klang. Ich finde das Vibrato recht schön eingesetzt, sehr dezent.
Der Text wird insgesamt recht schön umgesetzt, erweckt in mir aber ein bißchen Hochglanz-Hollywood-Assoziationen an ein tanzendes Paar im Abendkleid auf einer Terrasse eines schicken Hauses in der Upper East Side.

Eine gesättigtere Holiday – kein schlechter Vergleich.
Hochglanz ist das ja…

5. Die mäandernden Streicher zu Beginn sind toll, da hätte es die Harfe nicht gebraucht. Die Posaune schmiegt sich sehr schön an die irgendwie schillernd-dunkle Spielweise der Streicher an. Bis der Sänger anfängt ist alles gut, sehr schick, sehr teuer. Doch der Sänger klingt wie jemand, der zu viel intus hat und in einer Düne am Hafen von San Francisco hängend den Mond besingt. Ich konnte mich auch nicht der Assoziation erwehren, dass sein Gebiss irgendwie locker sitzt, das finde ich alles zu betont locker aus dem Ärmel geschüttelt, gerade weil die übrigen Musiker (bis auf den Posaunisten vielleicht) sich bemühen, gerade nicht so zu klingen. Die Musik wäre ein tolles Vehikel für Frank Sinatra gewesen, dann hätte alles nur noch geglitzert. So klingt mir das zu sehr gewollt locker.

Der Sänger war wenige Jahre später tot… hatte wohl insgesamt einfach soviel intus, wie man über ein hartes Leben so intus haben kann – und genau das ist es wohl, was mich hier so anspricht. Dieses bei allem Glanz so kaputte. Aber der Song ist schon toll, nicht?

6. Der Hall erweckt gleich unzählige Assoziationen und während des ganzen Stückes sorgt er auch dafür, dass die Töne sich irgendwie ganz toll verschlucken und biegen. Klasse finde ich, dass der Drummer erst mal auf die Base haut, bevor der Saxophonist beginnt. Keine Ahnung, wer das sein könnte. Referenzpunkt wäre Dexter Gordon, dafür klingt es aber zu wenig technisch perfekt, was manche Läufe und Ideen betrifft. Außerdem habe ich das Gefühl, dass er ein klein wenig daneben spielt, was dem Ganzen aber nicht abträglich ist. Toll finde ich auch, wenn der Drummer langsam das Tempo anzieht und damit dem Saxophonisten ein wenig Feuer macht. Ab da werden die Läufe flüssiger, die Wendungen interessanter und man groovt sich schön ein. Während des ganzen Stückes lässt mich die Frage nicht los, wie es da wohl aussieht, wo die Vier spielen. Club, Aula, Tunnel, alles drin. Schade finde ich, dass der Bassist ein bisschen untergraben wird, da er nämlich ganz tolle Sachen macht, gerade wenn er gleiche Noten kurz hintereinander wiederholt greift. Das Solo des Pianisten ist wunderschön. Keine technisch anspruchsvollen Läufe oder waghalsige Tricks, sondern einfach wunderbar aus dem Ärmel geschüttelter Lyrismus, der vom Bassisten gut gespiegelt wird. Das Klaviersolo könnte ich gerne länger hören. Erinnert mich an Barry Harris oder Hank Jones, ist aber wahrscheinlich später. Mit dem zweiten Solo des Saxophonisten wird es insgesamt dissonant und er selbst spielt ziemlich schräg, was ich persönlich schade finde, da die Musik sich bis dahin wunderbar eingependelt hat.

Hm, ich hab ja oben vorgarten recht gegeben, dass das Piano-Solo auch nicht so inspiriert fände… jetzt muss ich es mir gleich nochmal anhören! Der Bassist ist toll, und weil er so toll und hier so begraben ist im Hall (der wohl auch nur ein Versuch ist, das ganze noch ein wenig aufzupolieren) kommt er auch nachher nochmal ;-)

8. Das Stück fängt ganz toll an, irgendwie ganz feinsinnig gewebt und zutiefst emotional. Der Trompeter ist irgendwie eine muskulösere Variante von Miles Davis und/oder Art Farmer. Im weiteren Verlauf bleibt der Trompeter dann auch der erfindungsreichste Spieler der Band, eigentlich fast nur unterstützt vom Saxophonisten, während ich die Rhyhtmusgruppe ein wenig unspannend empfinde. Schönes Stück, würde mich mal mehr interessieren, gerne auch ohne das Saxophon.

Den Saxophonisten hier hätte ich gerne auch noch mit was eigenem dringehabt, aber ab ich hatte ja schon zwei andere (mit dem Intro und dem Solisten in #7 vier andere) drin… der Trompeter ist der Leader, der Saxophonist hält sich für seine Verhältnisse recht zurück.

9. Auch dieses Stück fängt ganz toll an und macht Lust auf mehr. Das Alt-Saxophon macht dann alles zunichte. Ich hab’s einmal ganz angehört, öfter werde ich’s nicht schaffen. Es ist schade, weil der Saxophonist ganz gute Ideen hat, mich stört aber dieses fast zwanghaft auf Big Band-Swing getrimmte Ensemblespiel, dem der Solist dann so richtig mit Absicht in die Quere kommen kann.
Stellenweise ähnelt das hier den Schwierigkeiten welche ich zuweilen mit Dolphy habe, da er zwar irgendwo ganz toll und virtuos in einem Wahnsinnstempo auf dem Saxophon spielt, aber letztlich nur nervige Kraftmeierei dabei herauskommt.

Für mich ist das einer der emotionalsten, offensten Saxophonisten, ein Lieblingsmusiker jedenfalls!
Aber ich kann verstehen, wo Du herkommst .

11. Ich mag das, wenn der Bass als erstes zu hören ist und einen tollen Groove vorgibt. Das Schlagzeug, das danach kommt erinnert mich sehr an Roy Haynes, in der Art, wie die ganzen Becken bearbeitet werden. Dieses nervöse Suchen auf einem absolut erdigen Groove ist unheimlich spannend. Das Thema, welches der Saxophonist dann als Angelpunkt nimmt ist toll und die davon ausgehenden Exkursionen ebenso. Irgendwie passiert da immer was Neues und ich finde es klasse, wie er zum Thema zurückfindet. Das Schlagzeug-Solo erinnert mich an das von Haynes auf „Just us“. Sehr toll, wie da verschiedene Klangfarben auftauchen und trotzdem der Groove nicht vernachlässigt wird. Insgesamt habe ich diesen Track wohl am häufigsten gehört. Übrigens auch ganz schwer zu sagen, ob das noch 60er sind, wenn dann aber 68/69. Irgendwie muss die Band aber noch im Bop/Avantgardismus verwurzelt sind, das klingt nicht nach Musikern, die in den 70ern erst angefangen haben, aufzunehmen. Sonny Simmons?

Freut mich zu hören, dass Dir das hier so gut gefällt! Hatte hier nämlich auch Zweifel, ob das etwas für Dich ist! Die zeitliche Einordnung ist gut… über die drei Musiker weiss ich wenig, aber ja, sie waren Ende der 60er schon mitten drin im Geschehen.
Nicht Simmons übrigens.

15. Was soll man sagen, fällt aus dem Rahmen. Keine Ahnung wer diesen Humor haben könnte. Swingt irgendwie wie die Hölle, hat ein tolles Thema und unheimlich viel Agilität und hintersinnigen Humor. Vor allem wenn man denkt es ist schon vorbei und der Pianist dann noch einmal den schlussendlichen Abgesang vorgibt. Ich musste laut lachen, beim ersten Mal!

Ja, so hör ich das auch!

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