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Witek DlugoszFür mich ist „Gehen“ Bernhards Essenz. Das Buch umfasst gerade einmal 100 Seiten und doch tauchen alle (?) seine großen Themen und Stilmittel und tauchen hier auf: die Unmöglichkeit zu sich gegen innere und äußere Widerstände geistig zu entfalten, die Krankheit, die Dummheit der eigenen Familie, die Freundschaft als einzige funktionierende Beziehung, die teilweise abstrusen Hasstiraden gegen Österreich, die penetrante Wiederholung, die groteske Uberspitzung. Und was das Buch so besonders macht (und das, nehme ich an, hat es für dich teils unlesbar gemacht: Bernhard zieht mehrere Ebenen der Distanzierung durch indirekte Rede ein, indem er einen erzählen lässt, wie ein Zweiter ihm erzählt, was ein Dritter diesem erzählt hat – und das zieht Bernhard konsequent durch, wechselt dabei mitunter innerhalb eines seiner langen Sätze mehrfach von Ebene zu Ebene, ohne sich je dabei zu verheddern. Das macht „Gehen“ natürlich zu einem seiner schwierigeren Bücher (zumindest was die Lesbarkeit angeht), aber auch zu einem Musterbeispiel an sprachlicher Beherrschung und Durchdringung. Ich habe es mit großer Bewunderung wiedergelesen.
Im Prinzip kann ich das alles nur unterschreiben und würde es ebenfalls so formulieren, das Wort „Essenz“ trifft es absolut. Allerdings ziehe ich für mich einen anderen Schluss: Vielleicht kann ich Bernhard nur in abgemildeter Form (wenn er wirkliche „Geschichten“ erzählt) genießen. Die Essenz kann ich dann nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich nur schwer ertragen. Beeindruckend ist diese Stringenz aber ohne jeden Zweifel.
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