Re: BB’s cineastisches Hinterzimmer

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blitzkrieg-bettina

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So, jetzt gehts weiter:

Helden sterben anders, 2006, Ivo Sasek

„Remember what the fella said: In Italy for 30 years under the Borgias they had warfare, terror, murder, and bloodshed, but they produced Michelangelo, Leonardo da Vinci, and the Renaissance. In Switzerland they had brotherly love – they had 500 years of democracy and peace, and what did that produce? The cuckoo clock.“

Aber nicht nur die Kuckucksuhr haben unsere helvetischen Nachbarn hervorgebracht, auch grosse Werke der Filmkunst:
„Helden sterben anders“, die Verfilmung der Schlacht von Sempach.
Kurzer geschichtlicher Überblick: Die Schlacht bei Sempach war einer der Höhepunkte der Schweizer Habsburgerkriege, und konsolidierte die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft. In der Geschichtsschreibung der heutigen Schweiz nimmt sie einen zentralen Stellenwert ein, und brachte die Legende um den Nationalhelden Arnold Winkelried hervor (dessen Historizität nicht belegt ist).
Um diese in der Alpenrepublik altbekannte Geschichte wurde nun 2006 von einem gewissen Ivo Sassek als bisher grösster Schweizer Monumentalfilm ins Kino gebracht. Das mag nun nicht sonderlich viel heissen – ist doch die Schweiz eher für Kuckucksuhren, Bankkonten und Schokolade bekannt als für grosse Filmkunst. Nun könnte an dieser Stelle natürlich eine Untersuchung kommen warum dieses Land in Bereichen wie Malerei (Klee, Giacometti, Giger), Literatur (Dürrenmatt, Frisch) oder sogar Musik (Yello) recht eigenständiges hervorgebracht haben, aber cineastisch so gar nichts hervorgebracht haben.
Doch widmen wir uns lieber diesem Meisterwerk: Auf den ersten Blick ziemlich historisch korrekt, jedenfalls was die Kostüme betrifft, aber auch die historischen Fakten scheinen zu stimmen. Lässt man sich allerdings zurückgelehnt im Kinosessel auf diesen Film ein, entdeckt man ganz andere Faktoren die diesen Eindruck etwas trüben können. Sasek schwebte offensichtlich so etwas wie „Braveheart“ vor, aus den schottischen Highlands in die Schweizer Berge verlegt. Leider hatte er (oder sein Ausstatter) zwar Wert auf korrekte Kostümierung gelegt, aber leider reichte das Budget zu keinem Zeitpunkt aus um Drehbuchautoren zu verpflichten die die Dialoge über das Niveau von absoluter Klischeehaftigkeit erheben und die überzeugensten schauspielerischen Leistungen stammen von den beiden Kindern die wir unten auf dem Plakat sehen… Bei den Schlachtszenen kommt man in Versuchung billige Scherze über die sprichwörtliche Langsamkeit der Schweizer zu machen, generell muss man sich zusammenreissen nicht wegen jedem Detail des Films in lautes Lachen auszubrechen…
Doch was war wohl die Intention von Regisseur Ivo Sasek diesen Film zu drehen? Überstiegener Patriotismus, krampfhafter Wille sich mit Hollywood zu messen, naive Kunst? Vielleicht auch nur reines Marketing für das Urlaubsland Schweiz, wenn auch schlechtes?
Ich denke das Problem sitzt etwas tiefer, und man kann – denke ich – durchaus Paralellen zu Mel Gibson ziehen, der ja mit seinem Schotten-Epos Pate gestanden haben dürfte:
Auch Ivo Sasek ist Mitglied in einer sektenähnlichen Religionsgemeinschaft, der „Organischen Christus-Generation“ (deren Gründer und Leiter er sogar ist) welche ein sehr radikales Gottes- und Glaubensverständnis haben.
Wenn man sich bei „Helden sterben anders“ durch die mehr als zähe Handlung und die massenhaft auftretende unfreiwillige Komik durchgequält hat trifft man auf relativ platte Kirchenkritik die man auch als zum Beispiel extremer Religions-Gegner goutieren könnte, die jedoch in erster Linie das puritanische Klischee vom verkommenen Klerus aufgreift, während die Freiheitskämpfer um Winkelried eine Art Aura des Ausserwähltseins bekommen, was sich in dieser Schwarz/Weiss-Sicht ja durchaus mit den Vorstellungen von Saseks Religionsgemeinschaft decken dürfte. In Kombination mit dem nicht minder platten Patriotismus der überall durchscheint hinterlässt dies durchaus einen etwas schalen Beigeschmack.
Ich weiss das das Thema Missionierung durch Kinofilme nicht neu ist, zum Beispiel David Lynch versteht ja seine Werke durchaus als Werbung für TM (Transzedentale Meditation), hier liegt aber ein besonders interessanter Fall von Vermischung relativ platter Missionstätigkeit und absolut kitschigen Vorstellungen der Umsetzung von Religion und Heimatverbundenheit in einen künstlerischen Zusammenhang.
Wenn man sich zu dem Gedanken hinreissen lassen sollte das „Helden sterben anders“ ein reiner filmischer Ausdruck eines verkorksten Sektierertums ist, (so wie ich das auf den letzten Seiten ja getan habe) liegt die Schwäche hier sicher darin das Sasek sein Filmhandwerk bei weitem nicht in dem Masse versteht wie zum Beispiel Lynch oder Gibson und so seine Missionstätigkeit ungleich platter und weniger gebrochen wirkt.

(Ich hoffe ja das Gypsy Tail Wind und andere eidgenössischen Foris die hier mitlesen es mir nicht übel nehmen wenn ich hier allzu platte Schweiz-Klischees verbreitet habe;-))

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Man hatte uns als Kindern das Ende der Welt versprochen, und dann bekamen wir es nicht.