Re: BB’s cineastisches Hinterzimmer

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blitzkrieg-bettina

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Full Metal Village, 2005/2006, Cho Sung-hyung

Wacken ist normalerweise ein beschaulicher Ort in Schleswig-Holstein, in dem das Jahr über Landwirtschaft das Thema Nr.1 ist. Doch seit 1990 bricht in jeder ersten Augustwoche die Hölle über die norddeutsche Tiefebene herein: Das Wacken Open Air, eines der grössten Heavy-Metal-Festivals der Welt (vielleicht das grösste?) zieht zehntausende von Zuschauern aus aller Welt in seinen Bann. Ich weiss, liest sich jetzt wie aus einer Touristenbroschüre entnommen, aber es geht hier auch weniger um das Festival. Sondern viel mehr um die Dokumentation mit welcher die Südkoreanerin Cho Sung-hyung 2005/06 den Culture-Clash zwischen der Landbevölkerung und den Metal-Heads einzufangen versuchte.
Im Grossteil des Filmes werden die einzelnen Dorfbewohner vorgestellt, so der Milchbauer Trede, der sein Glück mit Börsenspekulationen versucht, oder der Fleischbauer Plähn, der sinniert was Glück ist. Oder auch die tiefgläubige Oma Schaak, die mit „dieser Metall-Musik“ so gar nichts anfangen kann, und jedes Jahr in der Zeit des Festivals mit ihrem Pastor verreist. Besondere Aufmerksamkeit wird ihrer sechzehnjährigen Enkelin Ann-Kathrin geschenkt, welche vom Landleben angeödet ist und für die das Wacken Open Air so etwas wie einen jährlichen Hoffnungsschimmer darstellt, das es noch etwas spannenderes im Leben geben könnte als Kuhweiden und Chorsingen im Dorfgemeinschaftshaus. Erst im ca. letzten Drittel des Filmes überfluten die Festivalbesucher Wacken.

Eine sehr gelungene Dokumentation, gerade wegen ihres – so scheint es – banalen Themas. Die Ortschaft Wacken ist ja alles andere als ein in sich geschlossener Mikrokosmos, es werden keinerlei verborgene Strukturen oder Abgründe aufgedeckt, auch das Wacken Open Air steht nicht wirklich konträr zum Dorfleben, sondern wird bestens darin integriert. Doch gerade aus dieser Banalität schafft es Cho so etwas wie einen Zauber des alltäglichen (ausgelutschte Vokabel, ich weiss) zu holen, so scheinbar langweilige Szenen wie eine milchtrinkende Katze ist bei ihr einfach nur wunderschön. Eine Rolle spielt eventuell auch das sie als Person aus einem anderen Kulturkreis einen besondes interessierten Blick auf das Leben in einer norddeutschen Kleinstadt hat, und so Besonderheiten zu entdecken vermag die uns eher nicht aufgefallen wären. Wenn sie in den Anfangsszenen die Strassen von Wacken am Sonntagmorgen erkundet erinnert das fast an eine der üblichen Ethno-Dokumentationen mit denen für gewöhnlich wir Westler uns fremde Kulturen erforschen.

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Man hatte uns als Kindern das Ende der Welt versprochen, und dann bekamen wir es nicht.