Re: Albert Ayler

#7834129  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
Moderator
Biomasse

Registriert seit: 25.01.2010

Beiträge: 67,066

Politics and music. They can be related in some way, but music is music and politics is politics . . . . Musicians make music.

~ Albert Ayler, aus: Frank Kofsky, „An Interview with Albert and Donald Ayler.“ Jazz and Pop (September, 1968), p. 21 (Quelle)

Am 4. Februar spielte die Band von Ayler in Cleveland – in einer riesigen Halle vor nur hundert Leuten und mit einer etwas anderen Band als geplant (Samson, den Ayler im Frühling 1966 in Cleveland kennengelernt hatte, war nicht dabei): William Folwell und Clyde Shy (b), Beaver Harris (d), Call Cobbs Jr. (cembalo). Shy hatte schon im April 1966 im Cave mit der Ayler-Band gespielt.
Jon Goldman schrieb darüber einen Bericht, der Mai-Nummer von Coda veröffentlicht wurde (hier nachzulesen). Am Abend zuvor hatte die Gruppe (ohne Folwell und auch ohne Samson) am Antioch College vor 600 Studenten gespielt und gemäss Goldman drei stehende Ovationen erhalten.

Am 25. Februar spielte die Band dann im Village Theatre in New York – die Aufnahmen wurden von Aylers neuem Label Impulse mitgeschnitten, mehr dazu oben. Eine Besprechung davon aus Down Beat (hier nachzulesen) habe ich soweit ich (nicht) sehen kann oben noch nicht erwähnt.

Absent from the music was the nihilistic impulsiveness that has been saxophonist Ayler’s on some of his recordings. His harsh sounds are being replaced by a much more lyrical approach. His brother, with whom he is in close musical alliance, performs with thought waves that emulate, but also offer contrast to, Albert’s playing.
But the most significant facet of Albert’s current group is the rapport and inspiration between the horns and the strings. Albert is able to achieve a saxophone timbre that is near a violin’s.

~ George Hoefer, „Concert Review: Village Theater, New York – 26/2/67“, in: Down Beat Vol. 34 No. 10, 1967

Im Sommer 1967 trat Albert Ayler mit seiner Gruppe am Jazzfestival in Newport auf. Das beschaulische Küstenstädtchen hat einige grossartige Konzerte erlebt, kaum jemand, der Rang und Namen hatte, ist damals nicht dort aufgetreten und vieles ist auf Platten und CDs erschienen.

Das Set der Gruppe (Truth Is Marching In/Omega, Japan/Universal Indians, Our Prayer) sieht soweit ähnlich aus wie jene, die im Herbst 1966 in Europa zu hören waren, es gibt aber einen wesentlichen Unterschied: Milford Graves hatte Beaver Harris am Schlagzeug abgelöst und sein dichtes, trommelndes Spiel macht einen wesentlichen Unterschied und lässt dieses kurze Set zu einem Höhepunkt in Aylers schmalem Werk werden.

We followed the MJQ [Modern Jazz Quartet]; the MJQ followed an all-star group with Max Roach, Dizzy Gillespie, Thelonious Monk, Milt Jackson, I think it was James Moody. … I mean, that was a power night. It was supposed to be the evolution of jazz, „From Africa to the Present Day.“ Olatunji opened it up; Albert represented the avant-garde. We were going to be the anchor leg and end this thing, so naturally we were pumped up and ready to go. Well, the program was running late. It was supposed to end at something like 11:00 p.m. An hour and a half passed by, and we started to wonder if we were going to play. … Finally our time came to play: We went on at 12:30, and it started raining. So people started to get up and walk out before we came on stage. I remember we looked and said, „Let’s get on stage! We’ve waited all this time, we don’t want to play for an empty house!“ This was the opportunity to play for a large audience of traditional listening-type people.

So it must have been about a third of the people from the front of the audience were leaving. We went on that stage – Albert went on first, I followed Albert – we went out there and we BURNED. … And those people were running back into the place. Rain or no rain, they weren’t walking, they were running. All those people who were leaving were running back in, and we burned that night, and we burned, and we burned, and we burned. And when it was over, you should have seen how many people were coming back behind the sage. I’m not saying that we were so much better than the other bands, but the spirit, and the feeling we put in the music that night – „avant-garde“? I don’t care what you want to call it, what notes we played; it was beside the point. It was the feeling that we played with. It was just pure feeling.

~ Milford Graves, zit. in: Ben Young, The Sessions, Liner Notes zu: Albert Ayler, „Holy Ghost: Rare & Unissued Recordings (1962-70), Revenant, ca. 2004, S. 155f.

Das Stück „Japan“ baut auf einer pentatonischen Figur auf, gemäss Ben Young ist das Coltranes Einfluss, den wir hier hören. Dieser studierte Nicolas Slominskys „Thesaurus of Scales and Melodic Patterns“ und hat Ayler wohl (und gewiss Pharoah Sanders) darauf aufmerksam gemacht. Die erste Performance des Stückes fand in Stockholm im Jahr zuvor statt, einen Tag bevor Sanders das Stück für sein Album „Tauhid“ aufnahm. Ayler ist im ersten Chorus zum ersten Mal als Vokalist zu hören.

Das Ayler-Set aus Stockhom wird bald (ich wage nicht zu schreiben demnächst) zusammen mit dem Set aus Berlin auf einer hatOLOGY-CD erscheinen. Seltsame Entscheidung, da das Berliner-Set schon in der „Holy Ghost“-Box zu hören ist und das Set aus Kopenhagen damit allein unveröffentlicht bleibt.

Schon im Auftakt von „Truth Is Marching In“ macht Graves sich stark bemerkbar, trommelt dichte Rhythmen, und lässt die Becken dazu sirren und krachen. Die Aylers und Samson spielen das Thema in einem sich verzahnenden Geflecht, Albert setzt aus und stösst dazu, während Donald die Linie endlos wiederholt und Samson wild fiedelt. Graves spielt dann das erste eigentliche Solo, von den Bässen begleitet, es folgt Don Ayler mit einem kurzen stechenden Trompetensolo, bevor die Gruppe wieder zusammenfindet und dicht gewebt zum Thema zurückkehrt und daraus dann in „Omega“ überleitet. Graves‘ Spiel ist unglaublich dicht und zugleich luftig, frei und zugleich mitreissend, er bietet einen grossartigen Kontrapunkt zum Stimmengewebe der Bläser und Streicher.
„Japan“ ist ein eigenartiges Stück, Ayler setzt solo ein, dann übernimmt Samson, Ayler schaltet sich ein und aus und singt dann. Die Becken erinnern in diesem Kontext hie und da an Gongs, Graves bearbeitet aber auch hier vornehmlich die Toms. Aylers Gesang ist hoch, fein, rührend – irgendwie komplett unerwartet, von Zorn oder Wut kann man jedenfalls nicht im entferntesten reden. Er setzt dann an zu einem wild schreienden Solo, das aus dem Gebräu der Band auftaucht und dann wieder in ihm verschwindet. Ebenso Dons Trompetensolo. Das sind keine eigentlichen Soli sondern eher Variationen des gesamten musikalischen Gewebes, das von Samson, Folwell und Graves getragen wird. Albert had dabei die grösste Freiheit, klinkt sich immer wieder aus oder spielt Melodie-Fragmente, während Donald und Samson näher am Ganzen sind. Jedenfalls ist es erstaunlich, wie dicht diese bloss fünfköpfige Gruppe hier klingt!
Donalds „Our Prayer“, das Highlight des Sets, öffnet er im Duo mit Samson, bevor sich die anderen dazugesellen, Graves sparsam, Ayler mit Linien, die mit denen von Samson zu verschmelzen scheinen – das Timbre des Saxophones und der Violine (oder Viola?) gleichen sich immer stärker an. Donalds Ton ist gross, rund, sehr blechig. Ayler und Samson umgarnen ihn, Graves Rhythmen werden immer dichter, Donald setzt dann zu seinem Solo an, nur von Graves und Folwell begleitet, bevor Albert mit kreischenden Linien einsetzt und übernimmt. Graves schaltet einen Gang hoch, Folwell bleibt am tiefen Ende und am Bogen, ist leider grösstenteils schlecht zu hören. Aylers Solo in diesem Stück gehört mit Sicherheit zu den intensivsten seiner kurzen Karriere. Graves‘ Begleitung ist grossartig, es setzt auch mal kurz aus und lässst Ayler bei allem Getrommel sehr viel Raum. Samson übernimmt dann mit einem virtuosen Solo, in dem er streckenweise mit sich selbst einen Dialog zu führen scheint. Folwell greift stärker ins Geschehen ein, ist plötzlich besser zu hören… dann gesellen sich die Aylers wieder hinzu und das Ensemble spielt gemeinsam einen krönenden intensiven Abschluss (man beachte Graves‘ Bass-Drum-Attacke um 6:40!)

Dan Morgenstern und Ira Gitler berichteten für Down Beat über das Festival, ihren Eindruck vom Ayler-Set fassten sie wie folgt zusammen:

THE UNDISGUISED NEW THING was represented solely by the Albert Ayler quintet. The leader, playing both tenor, alto, and soprano saxophones, is an original—there can be no doubt that he plays the way he does because he feels it.
The group sounded at times like a Salvation Army band on LSD, with Michel Sampson’s expert, sophisticated, wholly non-jazz fiddling adding a diabolical note. They closed the Friday night show with a set unusually succinct and varied (in terms of selections played, at least) for an avant-garde group. Sincerity, alas, has never yet sufficed to make notable art.

~ Dan Morgenstern & Ira Gitler, „Concert Review: Newport ‘67 30/6/67“, in: Down Beat Vol. 34, No. 16, August 10, 1967 (Auszug) (Quelle)


Coltranes Begräbnis am 21. Juli 1967, St. Peter’s Lutheran Church, New York, NY (Photo: Ray Ross)

Der nächste Auftritt Aylers fand am 21. Juli 1967 statt – am Begräbnis von John Coltrane. Dieser wünschte sich auf dem Sterbebett, dass Ayler und Ornette seine Beisetzung musikalisch ummalen sollten, was denn auch geschah, Ayler spielte mit seinem Bruder Donald an der Trompete, Graves am Schlagzeug und Richard Davis am Bass. Ayler spielte eine über sechsminütige Abfolge der Stücke „Love Cry“, „Truth Is Marching I“ und „Our Prayer“. Die Energie in dieser Aufnahme ist unglaulich. Graves trommelt dicht, leider geht die Präzision im Hall der Kirche etwas verloren, umso eindrücklicher donnern seine Trommeln dafür, und umso eindrücklicher klingen Trompete und Saxophon in diesem Raum.
Man kann das etwas über sechs Minuten lange Stück auch auf Youtube nachhören.
Ornette trat am Ende der Feier mit David Izenzon und Charlie Haden (b) sowie Charles Moffett (d) auf und spielte das Stück „Holiday for Graveyard“, eine dreiminütige, klagende Hymne mit dichtem Trommelgewitter von Moffett.
Weitere Bilder von Coltranes Begräbnis hatte ich schon einmal verlinkt, aber sie sind mittlerweile an einen etwas anderen Ort umgezogen: hier.

Am Tag nach dem Begräbnis Coltranes gelang es Frank Kofsky endlich, das lang ersehnte Interview mit Ayler abzuhalten – er erwähnt es in seinen Liner Notes zu Love Cry (Impulse AS-9165), dem ersten Impulse Studio-Album, dessen Aufnahme Ayler am 31. August in den Capitol Studios in New York begann. Sein Interview kreiste natürlich um Coltrane, worüber Kofsky nicht sehr glücklich war. Er nimmt das in den Liner Notes zum Anlass, über Aylers Verhältnis zu Coltrane nachzudenken und schreibt u.a.:

Some of the things that Albert had to say about his own relation to Coltrane on that gloomy Friday struck me as especially relevant as I was composing the notes for this, Albert’s second Impulse! album. Referring, for instance, to Coltrane’s MEDITATIONS recording with Pharoah Sanders, Albert remarked: „The father, son, and holy ghost. What Coltrane was talking about there – maybe it was a biblical term: he was the father. Pharoah was the son, and I was the holy ghost. And only he could tell me things like that.“

[…]

The logical place to begin with is with Albert’s own view: „I would say when I was in the Army, in 1960 and ’61, when I spent two years training, when I first started playing, I had a thing that was free at that time, you know? But when he (Coltrane) started playing, I had to listen… just to his tone you understand? To listen… to him play was just like he was talking to me, saying, ‚Brother, get yourself together spiritually.‘ Just one sound – that’s how profound this man was…“
Appropriately enough, it is in Albert’s lovely, sonorous tone that one can first and most readily detect the Coltrane presence: his opening notes on the appropriately titled LOVE CRY, the selection that gives the album its name, have the same sense of simultaneous exaltation and serenity that characterized Coltrane’s playing on, say A LOVE SUPREME. And of course there is another similarity with A LOVE SUPREME in this piece, in the use which Albert makes of his own voice. To Coltrane’s singing on A LOVE SUPREME we can now add Albert’s mournful vocalizings (to this writer reminiscent of flamenco) on LOVE CRY and UNIVERSAL INDIANS on the present recording, and Pharoah’s delightful chanting (in what one presumes to be an African tongue) in the latter portion of UPPER AND LOWER EGYPT on his TAUHID LP.

[…]

Even merely to imply that Albert was in any sense of the word a derivative player, however, would be doing him a gross injustice. For if Coltrane was one of his points of origin – and what better one could be chosen? – there can be no denying the flair and artistry with which he has transmuted the Coltrane vernacular into his own highly personal and emotionally challenged Weltanschauung. One of the most engaging qualities associate particularly with Albert is hi use of themes that are almost folk-like in their simplicity. Earlier, I referred to his vocal cries as suggestive of flamenco (the ensemble chorus of BELLS is also reminiscent of this Moorish music); others, for their part, have likened Albert’s ensembles to those of the old New Orleans marching bands. The point is, these straightforward and uncomplicated melodic strains serve to give Albert a near-universal appeal, besides providing a dramatic juxtaposition and frame of reference for the passion-laden solos that will follow. Speak to Albert, and you will learn firsthand of his abiding concern with the folk, or universal, aspects of his music, „Because the spiritual forces are unitign through the folk, through the folk. …My drummer, Milford Graves, he plays rhythms from all over the world… We play folk from all over the world… Like very, very old tunes, you know before I was even born, just come in my mind. It’s fantastic, fantastic. I talked to somebody today who said, ‚I heard a little of this, and I heard a little of that.‘ And I said to him, ‚Well, if you heard that, that was beautiful. Thanks for telling me.‘ ‚Cause I’m trying to play as much as I can in my lifetime, like being a true messenger. All I do is meditate – I practice and I meditate. You have to go all the way, because that’s what Coltrane did. The picture that he showed me when I looked into his eyes, that was the universal man.“

~ Frank Kofsky, Liner Notes zu: Albert Ayler: „Love Cry“, Impulse AS 9165, zitiert aus dem Booklet des CD-Reissues GRD-108

Die erste Seite der LP bestand aus sechs kurzen Stücken, die am 31. August 1967 anscheindend in derselben Reihenfolge eingespielt worden sind, in der sie später auf der LP veröffentlicht wurden. Wir hören eine Art Revue der Ayler’schen Musik, die Singsang-Stücke, die Marschmusik-Anklänge, die freien Rhythmen von Graves, das kinderliedhafte „Ghosts“ wird ebenfalls neu eingespielt wie auch „Bells“ – die Musik gerät keineswegs komerziell (das hatte man Ayler damals bei seinem Wechsel zu einem Major-Label anscheinend vorgeworfen, auf diese Aufnahmen trifft es nicht zu). Ayler ist in zwei Stücken wieder als Vokalist zu hören, das Zusammenspiel mit Donald ist durchwegs sehr gut, Alan Silva hat am Bass eine viel stärkere Präsenz als Folwell und ist für Graves ein ebenbürtiger Partner – das kurz geratene „Ghosts“ erreicht jedenfalls ähnliches musikalisches Niveau wie die Einspielung von 1964, wenn sie auch dieser an Intensität unterlegen bleibt (kein Wunder, denn die Neueinspielung ist mit 2:45 sehr kurz geraten).
Auf drei Stücken stösst Call Cobbs am Cembalo zur Gruppe – ein neuer Klang, der erstaunlich gut passt, auch wenn er die grosse Lücke, die Michel Samson hinterlässt, nicht zu füllen vermag.

Milford Graves hat sich im Rahmen diverser WKCR-Interviews an eine schöne Episode erinnert:

„Albert came to my house one time when I was living in Brooklyn. I was in one of those OLD apartment houses in the East New York section. … He was very humble, very respectful, because he was in my apartment. He came into my room and looked at my room, which was like a matchbox – a little, small room – and he looked at the ceiling. Albert took out this big rag and he stuffed it into his horn to mute it. I said, ‚What are you doing that for?‘ He said, ‚I don’t want to crack your ceiling.‘ I had heard Albert had this reputation for cracking ceilings [with his playing], and I believe he would have cracked that ceiling. It hardly made a difference anyway, because it sounded like he didn’t have a rag in there. …

We played a lot of duets at my house – just the two of us. The things that we did when he came over to my house aren’t on any records; people hear the records and they don’t hear the real Albert Ayler – the Albert who’s relaxed when he’s not around a major audience for which he’s going to have to play something that people will dig, or play a tune that he has recorded so he can sell some records.“

WKCR interviews with Fred Seibert, November 1971; Mitch Goldman and Andy Rotman, July 1987; and Ben Young, July 1995.
~ Witnesses, Compiled by Ben Young, Liner Notes zu: Albert Ayler, „Holy Ghost: Rare & Unissued Recordings (1962-70), Revenant, ca. 2004, S. 122.

Die bekannten Daten im Herbst 1967:
– 12.-17. September 1967: Slugs, NYC (Don Ayler, Call Cobbs, Alan Silva, Milford Graves)
– September 1967: L’Atelier du Jazz, Montréal (gleiche Band, Albert am Tenor- und Altsax, ev. auch am Sopran)
– ca. September 1967: Rochester, NY (Don Ayler, Cobbs, Bill Davis, Rashied Ali)
– ca. September 1967: Umgebung von Montréal (gleiche Gruppe)
– spät 1967 oder früh 1968: Café au Go Go, NYC (Cobbs, vermutlich Muhammad Ali)

Über ein Konzert im „Atelier du Jazz“ hat Patrick Straram im Jazz Magazine (November 1967, S.12-13) berichtet, man kann die Kritik hier eingescannt nachlesen:

Entendre le quintette Ayler, ne serait-ce qu’une heure c’est supporter une épreuve sans précédent, physiquement, mentalement, c’est se découvrir intensément plus vivant.

~ Patrick Straram, „Jazz libre en Quebec“ [Concert Review: L’ Atelier de Jazz, Montreal, September 1967], in: Jazz Magazine, November 1967, S.12-13

Am 21. Januar 1968 fand im Renaissance Ballroom in New York ein Treffen des Sohnes und des Heiligen Geistes statt – im Rahmen dessen wir wohl einen kleinen Eindruck des „real Albert Ayler“ kriegen können. Pharoah Sanders und Albert Ayler spielten im Rahmen eines politischen Festival, dessen andere Hauptattraktion eine Rede von Amiri Baraka war, der die Musik von Sanders/Ayler eigentlich auf seinem Jihad-Label als LP 1003 unter dem Titel Black Renaissance herausgeben wollte. Diese LP erschien nie. Sie hätte auf Seite 2 die Rede Barakas enthalten, das 23 Minuten lange Stück von Sanders und Ayler ist in der „Holy Ghost“ Box zu finden.
Neben den beiden Tenoristen trat im Rahmen des „evening of Soul and African culture“ auch Sun Ra mit seinem Arkesta auf. Ayler ist der Gast, die added attraction in einer Gruppe, die ganz klar Sanders‘ Musik präsentiert – das Resultat erinnert ein wenig an „Tauhid“, an dem mehrere Musiker auch schon beteiligt waren (eigentlich spielte Bobby Kapp mit der Gruppe Schlagzeug, aber er passte nichts in Farbschema von Barackas Anlass [und ich vermute Gesinnung], daher griff Sanders auf Roger Blank zurück, einen alten Freund und eben auch Drummer auf „Tauhid“). Blank ist denn auch das schwächste Glied der Gruppe, macht aus dem 7/4-Beat des Stückes „Venus“ oft ein gerades Metrum und ist dem tollen Bass-Spiel Sirones nicht gewachsen. Dave Burrell sitzt am Piano, Chris Capers spielt Trompete, und es sind zudem ein unbekannter Altsaxophonist und ein unbekannter Tenorsaxophonist zu hören.
In den ersten zehn Minuten ist nur Sanders am Sax zu hören, Ayler stösst erstmals bei 10:55 dazu, soliert dann von 12:11 bis 15:05, gefolgt von Capers (16:03) im Duett mit dem unbekannten Altsaxophonisten, dann folgt bei 17:19 der unbekannte dritte Tenorist. Am Ende spielt Sanders noch einmal das Thema von „Venus“ ,in das zwischenzeitlich auch der zweite Teil von „Upper and Lower Egypt“ eingearbeitet wird.

Ben Young schreibt in den Session-Kommentaren zu „Holy Ghost“:

Working away from his regular group was like a free kick for which Ayler was not going to be held publicly accountable, and so he didn’t feel constrained to fit the personality he showed with his band. His contribution is at least slightly turbo-charged by the competitive thrill of following Pharoah Sanders on Sanders’s turf, and trying to come up with something surpassingly novel. Sanders himself has long since jettisoned any recollection of this date or its particulars. Chalk it up to the Holy Ghost Syndrome that Capers and Blank identify themselves unequivocally in this recording, though neither specifically recalls or even corroborates the presence of Ayler. But it could hardly be anyone else.

Compared to Pharoah’s solo before his, compared to Trane’s style, Shepp’s, or even to Frank Wright’s windy rasp on Disc 4, Ayler has a remarkably focused and penetrating altissimo sound on any instrument. Coltrane’s and Pharoah’s upper register playing depicts the boundary of one’s ability to produce sound, where conventional tone production ends and blowing wind begins. They often enter the upper story as a declaration that they’ve come to the brink in development, reached as far as can be done, and correspondingly, their lines become uninterrupted blunt grasps into infinity. Design collapses, and expelling breath alone determines the duration and shape of the phrase. Albert Ayler, on the other hand, moves upstairs to the altissimo like shifting into a high gear where he still could articulate at liberty and at length – and with breath and embouchure control to spare.

At the Renaissance, he quickly enters this very purely-projected altissimo (which he also arrives at through technical means different from the Coltrane-school harmonics – see Woidecks discussion of this on p. 190), after a few seconds breaks free with a parody of the still-cycling „Egypt“ theme two octaves up, and doesn’t relent. Through his last years, Ayler spent a lot of solo time in the briarpatch of the top octave. His spot in „Upper and Lower Egypt“ ranks with „Light in Darkness“ from the Village Theater as a prime illustration. It encompasses a couple of 1964 devices resituated to the upper register, and a couple that would carry over into his unaccompanied „New Grass“ later that year. High placement of the microphone also conveys an uncommonly clear view of Ayler’s sound: The mic aims at the froth on Sanders’s mouthpiece but Albert, leaning back to raise is horn into the air, is perfectly placed.

~ Ben Young, The Sessions, Liner Notes zu: Albert Ayler, „Holy Ghost: Rare & Unissued Recordings (1962-70), Revenant, ca. 2004, S. 159.

Höchst faszinierend jedenfalls, dieses Solo Aylers!

Woideck berichtet in „Close Encounter with Holy Ghost (and Horn)“ (auf S. 190f. des „Holy Ghost“ Buches), wie er im April 1966 über Jon Goldman (siehe auch ganz oben in diesem Post) die Bekanntschaft von Ayler machte. Er sei schon (vermutlich) Ende 1965 mal in den Club 100 in Cleveland gegangen, weil es hiess, Ayler würde eventuell als Gast mit der Gruppe von Joe Alexander spielen (was nicht der Fall war). Jedenfalls hörte Woideck die Gruppe dann im April 1966 und sass im Wagen mit Goldman, der die Ayler Brüder zum Haus ihrer Eltern fuhr, wo sie während ihres Aufenthalts in Cleveland wohnten.

I got a chance to ask Albert a few questions. I was a fledgling alto saxophonist and was struggling to produce altissimo pitches (those above the nominally highest built-in notes of the sax). He was patient with me and suggested that the alternate high-F key (the top pearl key on saxophones of the time) was the gateway to the altissimo range. he also said that he used a plastic reed, the Selmer-distributed Fibercane. This reed was not known for subtlety or warmth, but is associated with the broad sound and ease of altissimo that are such a part of the Albert Ayler sound. Soon thereafter, I too started using them, looking for similar results.

[…]

But the most unusual answer I got from the Ayler brothers that evening came when I asked them how to pronounce their surname. Don said A-ler (rhyming with „tailor“) and Albert said Eye-ler!

~ Carl Woideck, Appendix A: „Close Encounter with Holy Ghost (and Horn)“, Liner Notes zu: Albert Ayler, „Holy Ghost: Rare & Unissued Recordings (1962-70), Revenant, ca. 2004, S. 190.

Am 13. Februar 1968 waren die Ayler Brüder, Call Cobbs, Alan Silva und Milford Graves erneut in den Capitol Studios, um die zweite Seite von Love Cry aufzunehmen. Im Rahmen der Session wurden am Ende die beiden Master Takes „Zion Hill“ und „Universal Indians“ (auf dem Original-Album um 2:20 gekürzt) eingespielt, davor wurde eine zweite Version von „Love Cry“ und je ein Alternate Take der anderen beiden Stücke aufgenommen. Auf dem CD-Reissue (GRD-108) ist die ganze Session in der Reihenfolge der Aufnahme zu hören, d.h. die Seite B des Albums folgt auf die drei zuvor unveröffentlichten Stücke (und das letzte Stück, „Universal Indians“, ist ungekürzt und dauert 9:49).
Ayler spielt das zweite, längere „Love Cry“ – übrigens ein komplett anderes Stück als das gleich betitelte von Titelstück des Albums, das in der ersten Session enstand – am Tenor (der Master ist das einzige Stück der ersten Session, auf dem er am Altsax zu hören ist). Die Musik ist frei und intensiv, Silva und Graves begleiten auch hier wieder grossartig und dicht, Ayler steht am Anfang im Zentrum, Donald bläst dann ein kurzes Solo und dann folgt in der zweiten Hälfte ein energetischer Ayler. Grossartige Musik!
Der erste (alternate) Take von „Zion Hill“ ist kürzer, Call Cobbs ist am Cembalo zu hören. Er und Donald Ayler sind nur auf einem Stück der ersten Session, „Omega“, gemeinsam zu hören, eine Trio-Nummer gibt’s leider von den Sessions nicht, das hätte mich enorm gewundert, wäre möglicherweise an die Höhen von „Spiritual Unity“ herangekommen, wenn Ayler das mit dieser eindrücklichen Rhythmusgruppe versucht hätte! Nach Aylers längerem Solo spielt Cobbs ein sehr kurzes, eher konventionelles, aber der Sound des Cembalos passt hier ziemlich gut.
Auch der erste (alternate) Take von „Universal Indians“ ist kürzer als der Master, allerdings wurde der Master ja ursprünglich gekürzt und war am Ende ein wenig kürzer als der erste Take… Donald Ayler spielt das Thema, Albert singt dazu eine ziemlich verblüffende Linie in Kastratenlage… wechselt dann aufs Tenor, während Graves wieder tolle Rhythmen klopft – diese sehr lose Art Schlagzeug zu spielen gefällt mir enorm gut! Ayler übernimmt dann schnell mit einem Solo, sofort ist er im Falsett und es wird hier schön deutlich, was mit seiner Kontrolle in der Lage in den obigen Zitaten gemeint ist. Mühelos wechselt er kurz in die normalen Lagen, gestaltet auch im Altissimo problemlos sein Solo mit Phrasen, Pausen und viel Sinn für Dramatik – das ist kein blosses brünftiges oder zorniges Schreien sondern grosses Drama (oder doch Melodrama?). Donald gesellt sich dazu, übernimmt, Albert schleicht sich wieder ein es folgt eine kollektive Passage, bevor Ayler das Thema am Ende zunächst wieder singend, dann spielend bestreitet. Nach fünfeinhalb Minuten ist das Thema dann durch und Ayler setzt zu einem zweiten Tenorsolo an, dieses Mal etwas länger in den normalen Lagen, geht dann aber auch hoch – sehr eindrücklich, aber das Stück als ganzes wirkt etwas ziellos, auch weil nach zwei Dritteln schon das scheinbar endende Thema wiederholt wird. Auch Donald spielt nochmal ein kurzes Solo, dann setzt Albert mit dem Thema ein, das er zum Ausklang nur am Tenor spielt (und im ganzen Stück scheint er hie und da Probleme mit dem Blatt zu haben, es kiekst ein paar Mal).
Der Master Take von „Zion Hill“ beginnt mit Cobbs Cembalo-Clustern – sein Spiel erinnert mich ein wenig an Alice Coltrane, flächig, schematisch, ohne grosse Entwicklung. Ayler setzt dann mit dem Alt zum gesanglichen Thema an. Die Musik entwickelt sich sehr langsam, getragen vom Cembalo-Teppich, umgarnt von Silvas Bass und Graves tollen Rubato-Rhythmen spielt Ayler das einfache Thema – er singt es quasi durch sein Altsax (das hier ist das einzige Stück der zweiten Session, das er am Altsax spielt, er klingt über weite Strecken aber als spiele er Tenor – mit dem Stück könnte man mich wohl reinlegen…).
Mit „Universal Indians“ folgt zum Ende nochmal ein Highlight. Der ungekürzte Take ist mit fast zehn Minuten das längste Stück des Albums, Ayler steht im Zentrum auch wenn Donald zwischendurch mal soliert. Silva streicht die meiste Zeit, Graves wirkt etwas, wie soll ich sagen, enger, konzentrierter, was zur Abwechslung auch gut kommt. In einigen Passagen ist Ayler wieder als Vokalist zu hören, die Linie, die er singt ist aber einfacher (und die Intonation unsicherer) als im frühen Take. Am Tenor hat er wieder Probleme mit dem Blatt. Auch hier wird das Thema auf halbem Weg wiederholt, danach folgt allerdings ein tolles gestrichenes Bass-Solo, von Graves mit Gong-artigen klängen an den Becken unterlegt (ich nehme an, u.a. diese Stelle wurde rausgeschnitten auf der LP?).

Die weiteren bekannten Daten aus dem Frühling & Sommer 1968:
– 9. März: Second Buffalo Festival of the Arts Today, Rockwell Hall, Buffalo State University, Buffalo, NY
(Konzert nicht bestätigt, angekündigt waren: Albert und Donald Ayler, Call Cobbs, Mary Maria-harp, John [ev. Paul] Smith-perc, Milford Graves, sowie die Sängerinnen Vicki Kelley, Janet RRose, Charlott Richardson, Tmam Tracy und Grace Joyce)
– 16.-21. Juli: Café au Go Go, NYC (Cobbs, Bill Folwell, Beaver Harris, sowie an Harris‘ Stelle an einem Abend für ein paar Stücke Roy Blumenfeld)
– 23.-28. Juli: Café au Go Go, NYC (Cobbs, Folwell, Harris)
– August oder September: Slugs‘, NYC (Cobbs, möglicherweise Juni Both, Harris)

Zum Abschluss dieses Posts möchte ich noch auf den spannenden Artikel „Misconceptions in Linking Free Jazz with the Civil Rights Movement“ von Mark Gridley hinweisen, den man hier (oder hier als PDF) lesen kann (College Music Symposium, Vol. 47, p. 139-155, Fall 2007). Eine Replik von Brian Harker folgte in Vol. 48 (hier auf jstor für jene, die dort reinkönnen).
Aus Ridleys Aufsatz habe ich das Ayler-Zitat, das zuoberst in diesem Post steht – falls jemand weiss, wo man das Kofsky-Interview heute finden kann, würde ich mich über einen Hinweis oder Link freuen (oder ein PDF per Mail oder was auch immer). Kofsky (1935-1997) war übrigens weiss und Marxist und wird in einer Buchrezension (das Buch ist Harold Cruses „The Crisis of the Negro Intellectual“) im Black World/Negro Digest vom April 1969 als „self-acclaimed jazz authority“ bezeichnet (Quelle). In Jet vom 19. November 1970 findet sich zudem eine kurze Erwähnung von Kofskys eigenem neuen Buch „Black Nationalism and the Revolution in Music“ (Quelle – Gridley hätte wohl auch mit Kofsky streiten können), eine weitere in Ebony vom Januar 1971 (hier). Sonst scheinen Informationen zu Kofsky im Netz derzeit noch dünn gesät zu sein. Auch sein Wiki-Eintrag gibt nicht sehr viel her.

--

"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba